Die juristische Presseschau vom 3. März 2020: Ent­wurf zu Frau­en­quote / Reak­tionen auf BVerfG-Urteile / Mord­fall Lübcke

03.03.2020

Ein neuer Gesetzentwurf sieht die Ausweitung der Frauenquote vor. Die BVerfG-Entscheidungen der vergangenen Woche werden weiter kontrovers diskutiert. Im Mordfall Lübcke steht die Anklage von Stephan E. vor dem OLG Frankfurt/M. kurz bevor.

Thema des Tages

Frauenquote: Ein Gesetzentwurf von Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) und Frauenministerin Franziska Giffey (SPD) sieht eine Frauenquote für Führungspositionen in Bundesverwaltung und Unternehmen vor, die sich im unmittelbaren oder mittelbaren Alleineigentum des Bundes befinden. Bis 2025 soll die Hälfte aller Führungspositionen mit Frauen besetzt sein. Dies soll im Bundesgleichstellungsgesetz festgeschrieben werden. Geplant sind zudem strikte Vorgaben für börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Unternehmen. Dort soll künftig ein "Mindestbeteiligungsgebot" gelten, sodass in Vorständen mit mehr als drei Mitgliedern mindestens eine Frau sein muss. Schließlich soll die seit 2016 geltende fixe Frauenquote für Aufsichtsräte auf mehr Unternehmen ausgeweitet werden. Künftig soll sie für alle paritätisch mitbestimmten Unternehmen gelten und das weitere Kriterium der Börsennotierung wegfallen. Die SZ (Henrike Roßbach) stellt die Pläne vor.

In einem gesonderten Kommentar begrüßt Henrike Roßbach (SZ) die Pläne der Ministerinnen. Sie seien ein notwendiger Eingriff in die unternehmerische Freiheit. Die bisherigen, deprimierenden Zahlen zeigten, dass sich die Unternehmen nur bewegen, wenn sie müssen. Bislang reizte "eine erschütternd große Zahl Firmen" die "windelweiche Vorgabe, sich wenigstens Ziele für mehr Frauen in Führung zu setzen", aus. Die Quote lehnt Caroline Turzer (Welt) hingegen ab. Sie sei lediglich ein symbolpolitischer Akt und ändere nichts am Kernproblem einer rückschrittlichen Familien- und Bildungspolitik, "weil sich derzeit gar nicht genügend junge Frauen einen Chefposten zutrauen oder die nötigen Fähigkeiten dafür entwickeln konnten". 

Rechtspolitik

Waffenrecht: Die SZ (Claudia Henzler) nimmt den Ortstermin bei einem Schießsportverein zum Anlass, die bestehenden gesetzlichen Anforderungen für Sportschützen und Schützenvereine darzustellen.

Kinderrechte und Wahlalter: In einem kritischen Beitrag für FAZ-Einspruch spricht sich Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof gegen Einschränkungen der "elterlichen Begleitung" bei der Entfaltung von Kindern aus. Die aktuellen Debatten über ein Wahlrecht ab 16 Jahren und über neue Kinderrechte verkennten den "Wert eines beherzt wahrgenommenen Elternrechts für die Entwicklung der Kinder". Sie drängten "Kinder in die Rolle politischer Sprecher" und diskreditierten Eltern als Vorbilder. 

Leistungsschutzrecht: Die FAZ (Michael Hanfeld) sieht Urheber und Verlage im Streit um das Urheberrecht mit Digitalkonzernen in schwacher Position. Der Entwurf des Justizministeriums zum Urheberrechtsgesetz drohe, erneut ein wertloses Leistungsschutzrecht der Verlage zu produzieren. Zudem drohe der Entwurf des Medienstaatsvertrags der Länder, Leistungsschutzrechte weiter zu beschränken. Gegen Letzteren rege sich nun jedoch Widerstand seitens der Senatsregierung von Hamburg, die die Länder zur Zurückhaltung angemahnt habe.  

Arbeitszeiterfassung: Das Hbl (Frank Specht) berichtet über ein Gutachten zur Arbeitszeiterfassung, das die Juristen Volker Rieble und Stephan Vielmeier für das Wirtschaftsministerium verfasst haben. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte im Mai 2019 entschieden, dass Arbeitgeber ein System einrichten müssen, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Dem Gutachten zufolge genügen weder die in Deutschland praktizierte Erfassung der Überstunden noch das Überwachungsrecht des Betriebsrats diesen Anforderungen. Der Gesetzgeber müsse den vom EuGH aufgezeigten Gestaltungsspielraum nutzen und das deutsche Recht anpassen.

Der Rechtsanwalt Paul Schreiner plädiert in einem Beitrag für lto.de dafür, das EuGH-Urteil zum Anlass zu nehmen, die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) für Rechtsanwälte zu lockern. Anwälte in Großkanzleien seien in aller Regel nicht in der Lage, Überschreitungen der gesetzlichen Vorgaben zur Arbeitszeit zu vermeiden. Diese Realität werde durch die Politik ignoriert. Die dem ArbZG zugrundeliegende Arbeitszeitrichtlinie gebe dem Gesetzgeber Spielraum. Ausnahmen des ArbZG sollten bei Überschreitung einer Gehaltsgrenze zugelassen werden.

Justiz

BVerfG zu Kopftuchverbot: In seiner Kolumne auf spiegel.de widmet sich Ex-BGH-Richter Thomas Fischer kritisch dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuch einer Rechtsreferendarin aus der letzten Woche. Es scheine, als würden an Kopftücher andere Maßstäbe angelegt als an andere religiöse Symbole. Das Urteil zeige "ein solches Maß an verhärmter Furchtsamkeit, menschenfernem Beharren und verdrehtem Vertauschen von Objektivität mit Ressentiment, dass man ganz schwermütig wird". Dem Urteil steht auch die wissenschaftliche Mitarbeiterin Shino Ibold auf juwiss.de skeptisch gegenüber. Hier sei der Grundrechtsschutz kopftuchtragender, muslimischer Juristinnen vereitelt worden.

BVerfG – Impfpflicht: Nun berichtet auch lto.de über die beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingereichten Verfassungsbeschwerden von mehreren Familien zur seit Anfang März 2020 geltenden Masern-Impfpflicht. 

Zudem findet sich auf lto.de (Hasso Suliak) ein Gespräch mit dem Rechtsprofessor Stephan Rixen, der die Beschwerdeführer vor dem BVerfG vertritt. Seines Erachtens wird durch das Masernschutzgesetz das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit sowie das Elternrecht und der Gleichheitssatz verletzt. Mildere, aber gleichfalls wirksame Alternativen seien im Gesetzgebungsverfahren nicht erwogen worden. Er möchte nun vor dem BVerfG eine einstweilige Anordnung erwirken.

BVerfG zu Suizidhilfe: Matthias Dobrinski (SZ) erkennt im Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Suizidhilfe aus der letzten Woche eine Ausprägung des schwindenden Einflusses der Positionen und ethischen Maximen der christlichen Kirchen in Deutschland. Für das BVerfG sei offenbar "der Freitod der letzte heroische Akt der Selbstbestimmung und Menschenwürde". Damit erkläre es, wie vormals die Kirchen, "Grauzonen für inexistent, die den meisten, ja fast allen Todeswünschen zu eigen sind". Vorbei sei die Zeit, in der sich Urteile des BVerfG "selbstverständlich in der Nähe der kirchlichen und christlichen Normvorstellungen bewegten". 

KG Berlin zu Alleinrennen: community.beck.de (Carsten Krumm) stellt ein Urteil des Berliner Kammergerichts vor, in dem dieses dem § 315d Strafgesetzbuch die Verfassungsmäßigkeit attestiert. Auch insoweit die Vorschrift ein nachgestelltes Fahrzeugrennen nur eines Fahrers unter Strafe stelle, sei bei einschränkender Auslegung der verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz gewahrt.  

LG Bad Kreuznach zu Fraudsters: Das Landgericht Bad Kreuznach hat den Administrator der Darknetplattform "Fraudsters" zu sechs Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Er sei der Bildung einer kriminellen Vereinigung und der Beihilfe zu hunderten auf der Plattform begangenen Straftaten schuldig, darunter Geldfälschung und -wäsche, Datenhehlerei und unerlaubter Handel mit Betäubungsmitteln. faz.net berichtet.

LG Berlin – Tot geschütteltes Baby: Vor dem Berliner Landgericht hat der Prozess gegen einen Mann begonnen, der durch heftiges Schütteln seiner neugeborenen Tochter deren Tod verursacht haben soll. Zum Prozessauftakt erklärte der Angeklagte laut spiegel.de, er könne sich nicht erklären, wie und wann es zu dem später festgestellten Schütteltrauma gekommen sein könnte. 

LG Darmstadt zu Homöopathie: Einer Entscheidung des Landgerichts Darmstadt zufolge ist der Name eines homöopathischen Produkts nicht irreführend oder wettbewerbswidrig, wenn es den Wirkstoff im Namen führt, obwohl dieser aufgrund der extremen Verdünnung nicht mehr nachweisbar ist. Dies berichtet ausführlich das Hbl (Norbert Häring)

LG Freiburg – Auftragsmord: Vor dem Freiburger Landgericht hat der Prozess gegen einen 33-Jährigen begonnen, dem die Ausführung eines Auftragsmords zur Last gelegt wird. Zu Prozessbeginn räumte er die Schüsse auf einen 24-jährigen Drogenhändler ein, sagte dann aber, er habe lediglich in Boden und Luft geschossen und habe Angst vor einer Attacke durch den Getöteten gehabt. Auch in Bezug auf sein Verhältnis zum Auftraggeber, einem mittlerweile verstorbenen Freiburger Rechtsanwalt, machte der Angeklagte widersprüchliche Angaben. Ausführlich berichten spiegel.de (Wiebke Ramm) und die FAZ (Rüdiger Soldt)

SG Dortmund zu Firmenlauf: Einer Entscheidung des Sozialgerichts Dortmund zufolge ist der Sturz einer Frau bei einem Firmenlauf kein Arbeitsunfall, da er nicht mit ihrer Tätigkeit als Mitarbeiterin eines Jobcenters in Zusammenhang steht. Es handele sich auch nicht um Betriebssport. Die Frau sei deshalb nicht über die gesetzliche Unfallversicherung abgesichert, so das Gericht laut lto.de.

GBA – Mord an Walter Lübcke: Die FAZ (Katharina Iskandar u.a.) porträtiert anlässlich der wohl kurz bevorstehenden Anklageerhebung vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/M. den mutmaßlichen Mörder von Walter Lübcke, Stephan E., und stellt ausführlich die bisherigen Ermittlungen dar. 

StA Köln – Durchsuchungen bei Clifford Chance: Nach der Durchsuchung der Kanzleiräume von Clifford Chance in der vergangenen Woche hat die Kanzlei nun erklärt, selbst keine Gutachten erstellt zu haben, in denen Cum-Ex-Steuermodelle befürwortet wurden. Der Vorwurf der Kölner Staatsanwaltschaft hinsichtlich einer versuchten Strafvereitelung durch Clifford Chance-Anwälte sei "völlig unberechtigt", so die Kanzlei laut lto.de.

Justizpersonal: Das Hbl (Heike Anger) fragt nach der personellen Ausstattung der Justiz in Deutschland und der Umsetzung des im Januar 2019 beschlossenen "Paktes für den Rechtsstaat". Bis Ende 2020 dürften zehn Bundesländer alle erforderlichen neuen Stellen geschaffen haben mit insgesamt 1650 Positionen für Richter und Staatsanwälte mehr als vor dem Pakt. Im Jahr 2021 müssten dann noch 73 Stellen in sechs Bundesländern geschaffen werden, um die jeweiligen Länderanteile zu schaffen. Der Deutsche Richterbund meint hingegen, zahlreiche Aufgaben zehrten den Personalzuwachs wieder auf. Es fehlten weiterhin einige Tausend Stellen.

Recht in der Welt

Russland – Passportisierung: In einem Beitrag für lto.de erläutert Johann Verhaelen die völkerrechtlichen Hintergründe der Praxis Russlands, Ostukrainer im Eilverfahren einzubürgern. Die systematische Vergabe von Staatsbürgerschaften an bestimmte Bevölkerungsgruppen sei zwar ein gewieftes geopolitisches Instrument. Sie stehe jedoch mit den Anforderungen des Nottebohm-Urteils des Internationalen Gerichtshofs in Einklang. Letztlich genieße die Ukraine keinen bindenden Schutz gegen die "Passportisierung" Russlands, da jeder Staat selbst entscheiden darf, wer seine Staatsbürgerschaft erhält.

Israel – Benjamin Netanjahu: Die SZ (Alexandra Föderl-Schmid) schreibt über den in zwei Wochen beginnenden Strafprozess gegen Benjamin Netanjahu. Sein ehemaliger Pressesprecher behauptet, Netanjahu habe während eines offiziellen Moskau-Besuchs die Rechnung in einem Restaurant in Höhe von 24.000 Dollar von einem Milliardär bezahlen lassen, der an einem Tisch nebenan saß. Er habe sich damit gerühmt, dass er nie in einem Restaurant zahlen müsse. Außerdem soll er Geschenke angenommen und Gesetze willkürlich geändert haben. Wegen Bestechung, Betrug und Untreue in drei Fällen drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft.   

Sonstiges

Coronavirus und Hauptversammlung: Vor dem Hintergrund des Coronavirus erklärt Hbl-Rechtsboard (Ulrich Noack) die Konsequenzen für die anstehenden Hauptversammlungen aktiennotierter Großunternehmen und die rechtlichen Möglichkeiten einer Absage oder Verschiebung.

Infektionsschutzrecht: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Andrea Kießling nimmt auf verfassungsblog.de das Coronavirus und die nun geltende Masernimpfpflicht zum Anlass, das Rechtsgebiet des Infektionsschutzrechts näher zu beleuchten.

Im Leitartikel schreibt Reinhard Müller (FAZ) über "das Virus im föderalen Rechtsstaat" und hebt die Möglichkeit gerichtlicher Überprüfung von Schutzmaßnahmen anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hervor. Zudem betont er die Rolle von Ländern und Kommunen bei der Bekämpfung des Coronavirus. Ein gut eingespieltes föderales System mit Entscheidungsträgern auf allen Ebenen sei im Endeffekt effektiver als zentrale Befehlsstrukturen wie etwa in China.

Ben Ferencz: lto.de porträtiert den Chefankläger der Nürnberger Prozesse, Ben Ferencz, anlässlich dessen hundertsten Geburtstags.

 

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lto/jng

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 3. März 2020: Entwurf zu Frauenquote / Reaktionen auf BVerfG-Urteile / Mordfall Lübcke . In: Legal Tribune Online, 03.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40585/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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