Die juristische Presseschau vom 21. Februar 2020: Anschlag in Hanau / Haf­tung für Kun­den­be­wer­tungen / Gerichts­saal 600

21.02.2020

Generalbundesanwalt übernimmt Ermittlungen zu rechtsextremistischen Anschlägen in Hanau. Keine Haftung für irreführende Kundenbewertungen im Online-Handel und Gerichtssaal 600 im Nürnberger Justizpalast wird Museum.

Thema des Tages

Anschlag in Hanau: Im Zusammenhang mit dem mutmaßlich rechtsextremistisch motivierten Anschlag in Hanau hat nun der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen. Dieser geht von einem rassistischen Hintergrund der Tat aus, wie unter anderem lto.de berichtet. Ferner seien derzeit keine Vorstrafen oder Ermittlungsverfahren mit politischem Bezug gegen den mutmaßlichen Täter Tobias R. bekannt. Das Bundeskriminalamt ist in Kooperation mit dem Landeskriminalamt Hessen für die weiteren Ermittlungen zuständig.

In einem Kommentar in der SZ weist Annette Ramelsberger unter anderem darauf hin, dass selbst ein verwirrter oder verbohrter Täter wisse, dass man Menschen für seine politischen Ziele nicht einfach umbringen dürfe und daher "im juristischen Sinne […] diese Menschen in den allermeisten Fällen verantwortlich für ihre Taten und schuldfähig" sind.

Der FAZ (Constantin van Lijnden) liegen Videos und anderes Beweismaterial vor, aus dem hervorgehe, dass Tobias R. geisteskrank war und ausländerfeindliche Motive eventuell nicht im Vordergrund der Tat stünden. Die tagesschau.de (Chrisoph Kehlbach/Michael Nordhardt) und SZ (Annette Ramelsberger) reihen den Anschlag in Hanau in die Chronologie der jüngst in Deutschland stattgefundenen rechtsterroristischen Gewalttaten ein.

Justiz

EuGH zu Annullierung von Anschlussflügen: Wird ein Flug einer mehrteiligen Flugverbindung annulliert, kann der Anspruch der Passagiere auf Ausgleichszahlung auch am Gericht des Abflugortes geltend gemacht werden. Dies entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag und reagierte damit auf eine Anfrage des Amtsgerichts Hamburg in dieser Sache. Wie lto.de berichtet, hat das Unternehmen Flightright vor dem AG im Namen einiger Passagiere geklagt, die drei Teilflüge von Deutschland über London nach Spanien gebuchten hatten, wobei der Flug in Spanien jedoch kurzfristig annulliert wurde.

BGH zu Kundenbewertungen: Wie der Bundesgerichtshof nun entschied, müssen sich Online-Händler, die ihre Produkte auf Plattformen wie Amazon anbieten, Kundenbewertungen in der Regel nicht zurechnen lassen. Damit wies der BGH die Revision des Verbands sozialen Wettbewerbs (VSW) gegen ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamm zurück. Der Verband klagte gegen einen Online-Anbieter von sogenannten Kinesio-Tapes und verlangte von diesem Amazon aufzufordern irreführende Kundenkommentare zu beseitigen. Würde Amazon sich weigern, solle der Anbieter dort nichts mehr verkaufen. Wie unter anderem faz.de (Hendrik Wieduwilt), die taz (Christian Rath), tagesschau.de (Klaus Hempel) und das Hbl (Florian Kolf) berichten, führt der BGH an, dass Händler keine Verantwortung für die Richtigkeit von Kundenbewertungen haben und letztere auch durch die Meinungsfreiheit geschützt sind. Nur wenn irreführende Kundenaussagen zu Gesundheitsgefahren führen, bestehe eine Pflicht zu Richtigstellung. In einem Gastbeitrag auf lto.de weist Rechtsanwalt Dr. Thomas Utzerath darüber hinaus auf ein ähnliches Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg hin.

BGH zu Pferdezüchter: Rechtmäßiger Züchter eines Fohlens der erfolgreichen Dressurstute Weihegold ist der Reitmeister Johann Hinnemann und nicht Weihegolds Eigentümerin Christine Arns-Krogmann. Dies entschied nun der Bundesgerichtshof und wies damit die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm zurück. Arns-Krogmann hatte gegen Hinnemann geklagt, da dieser sich für das Fohlen Aweih als Züchter eintragen ließ, melden die SZ und lto.de.

BGH zu Fairnessparagraphen: In seinem aktuellen Urteil bestätigt der BGH, dass dem Chefkameramann des Erfolgsfilms "Das Boot" grundsätzlich eine Nachvergütung aufgrund des Erfolgs des Films zusteht. Dem derzeit zugesprochenen Nachschlag liege aber ein Berechnungsfehler zugrunde. Deshalb muss das Oberlandesgericht Stuttgart den Fall nun neu verhandeln. Wie die SZ (Wolfgang Janisch) und lto.de berichten, klagt der Kameramann Jost Vacano auf Grundlage des sogenannten Fairnessparagraphen im Urheberrecht derzeit gegen acht ARD-Anstalten, die den Film ausgestrahlt haben.

OLG Braunschweig – Musterfeststellungsklage VW: Wie das Oberlandessgericht Braunschweig mitteilte, haben Volkswagen (VW) und der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) auf Antraten des Gerichts beschlossen, die Vergleichsverhandlungen im Prozess um die Musterfeststellungsklage wieder aufzunehmen. Der vzbv klagt dabei stellvertretend für über 400.000 mutmaßlich durch den Abgasskandal geschädigte VW-Kunden gegen VW. Die Vergleichsverhandlungen vor dem Güterichter waren zuletzt von beiden Seiten als gescheitert betrachtet worden. Es berichten die SZ, die taz (Anja Krüger) und lto.de.

Grund für das Scheitern sollen die Gebührenforderungen der vzbv-Anwälte gewesen sein. Wie sich die Anwaltsgebühren bei einer Musterfeststellungsklage generell zusammensetzen und welche rechtliche Konstruktion im vorliegenden Fall den Gebührenanspruch begründen sollte, erläutert Rechtsanwalt Niko Härting in einem Gastbeitrag im FAZ-Einspruch.  

OLG Celle zu Haftung Minderjähriger: Das Oberlandesgericht Celle verurteilte eine Achtjährige zu Schadensersatz und Schmerzensgeld, da diese beim Fahrradfahren nicht nach vorne schaute und deshalb mit einer Fußgängerin zusammenstieß. Die Eltern haften in diesem Fall nicht, da sie ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt haben. Wie die FAZ und lto.de melden, war nach Auffassung des Gerichts dem Mädchen bewusst, dass ihre Fahrweise gefährlich war und ihr der Unfall damit voll zurechenbar.

LG Stuttgart zu Tichy gegen Roth: Das Landgericht Stuttgart lehnt den Antrag des Publizisten Roland Tichy auf eine einstweilige Verfügung gegen Claudia Roth (Grüne) ab. Diese hatte im Interview mit einer Tageszeitung Tichy und seinen Kollegen Henryk M. Broder in einem Satz mit Hetze und Falschbehauptungen genannt. Bei der Aussage Roths handle es sich laut dem LG aber um eine grundrechtlich geschützte Meinungsäußerung. Die SZ (Thomas Hummel) meldet weiter, dass wegen des gleichen Satzes auch Broder gegen Roth klagt. Das Urteil steht noch aus.

LG Berlin zu Goldmünzendiebstahl: Wegen des Diebstahls der Goldmünze "Big Maple Leaf" aus dem Berliner Bode-Museum im März 2017 wurden nun drei Täter vom Landgericht Berlin verurteilt. Wegen Diebstahls in besonders schwerem Fall wurden zwei Männer im Alter von 23 und 21 Jahren zu einer Jugendstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Zudem müssen sie den Goldwert der nicht mehr auffindbaren Münze in Höhe von 3,3 Millionen Euro zurückzahlen. Der 21-jährige Museumswachmann Denis W. wurde ferner zu einer Jugendhaftstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Wie die FAZ und lto.de ferner melden, wurde ein weiterer Tatverdächtiger freigesprochen. Ausführlich zum Prozess und dem Hintergrund der Täter berichtet spiegel.de (Wiebke Ramm).

AG Schwalmstadt zu Bürgermeisterhaftung: Wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen wurde der Bürgermeister von Neukirchen, Klemens Olbrich (CDU), vom Amtsgericht Schwalmstadt zu einer Geldstrafe in Höhe von 12.000 Euro verurteilt. Im Juni 2016 ertranken drei Kinder zwischen fünf und neun Jahren im Löschteich von Neukirchen. Wie spiegel.de erörtert, würde laut dem Gericht der Teich erhebliches Gefahrenpotential aufweisen, weshalb der Bügermeister seiner Verkehrssicherungspflicht hätte nachkommen müssen.

Reinhard Müller (FAZ) kommentiert, dass ein solches Urteil den Beruf des Bürgermeisters nicht attraktiver macht und "es nicht immer einen Schuldigen [gibt]. Jedenfalls nicht im strafrechtlichen Sinn."

Recht in der Welt

Türkei – Ermittlungen gegen Richter: Nach der erneuten Festnahme des Intellektuellen Osman Kavala am Mittwoch berichtet die taz, dass nun Ermittlungen gegen Richter des für schwere Straftaten zuständigen 30. Gerichts eingeleitet wurden. Das Gericht hatte Kavala und acht weitere Angeklagte vom Vorwurf des Umsturzversuchs freigesprochen.

USA – Haft für Stone: Der frühere Wahlkampfberater von US-Präsident Donald Trump, Roger Stone, ist wegen des Versuchs, die Untersuchungen des Kongresses in der Russland-Affäre zu verhindern, zu einer Haftstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt worden. Die FAZ (Majid Sattar) und die SZ berichten weiter, dass Trump sich via Twitter-Nachrichten immer wieder in das Verfahren gegen Stone einmischte.

In der SZ (Stefan Kornelius) wird anlässlich des Verfahrens erörtert, inwiefern Trump das Justizsystem des Landes sukzessive lahm legt und die Gewaltenteilung aushebelt.

Sonstiges

Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange: In einem Interview mit lto.de (Tanja Podolski) erläutert Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck das rechtliche Spektrum, in dem sich das Auslieferungsverfahren gegen den Wikileaks-Gründer Julian Assange vor dem britischen Woolwich Crown Court bewegt. Kaleck befürchtet, dass das Verfahren, dessen Anhörungen am Montag beginnen, zu Ungunsten der Pressefreiheit und Assange ausgehen wird.

Gerichtssaal 600: Nach über 100jähriger Nutzung wurde der Gerichtssaal 600 des Nürnberger Justizpalastes am Donnerstag ein letztes Mal genutzt. Wie die SZ berichtet wird aus dem 1916 von König Ludwig III. eingeweihten Raum nun ein Museum. In dem Saal wurden nach dem Zweiten Weltkrieg unter anderem Hermann Göring und Rudolf Heß verurteilt.

Das Letzte zum Schluss

Gefängnistheater: Die FAZ (Irene Bazinger) berichtet von der Aufführung des Berliner Gefängnistheaters "aufBruch", welches zur Zeit in der Justizvollzugsanstalt Tegel Beethovens Oper "Fidelio" gemeinsam mit einem Projekt der Berliner Philharmoniker aufführt.


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Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/ali

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 21. Februar 2020: Anschlag in Hanau / Haftung für Kundenbewertungen / Gerichtssaal 600 . In: Legal Tribune Online, 21.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40411/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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