Die juristische Presseschau vom 7. bis 9. September 2019: Inter­view mit Jus­tiz­mi­nis­terin/Wider­stand gegen Berufs­rechts­re­form/USA – Ermitt­lungen gegen Google und Face­book

09.09.2019

Justizministerin Lambrecht spricht im Hbl über das geplante Unternehmenssanktionsrecht. Außerdem in der Presseschau: Der Widerstand gegen eine Lockerung des Fremdbesitzverbotes wächst und in den USA wird gegen Google und Facebook ermittelt.

Thema des Tages

Lambrecht zu Unternehmenssanktionen, Soli und Vermögensteuer: Das Hbl (Heike Anger/Dietmar Neuer) hat sich mit Justizministerin Christine Lambrecht u.a. zu den jüngst vorgestellten Vorschlägen für ein neues Unternehmenssanktionsrecht unterhalten. Sie könne die Vorwürfe, die Wirtschaft würde drangsaliert und unter Generalverdacht gestellt, nicht nachvollziehen, sagte die Ministerin. Die große Mehrheit der Unternehmen verhalte sich absolut rechtstreu und die gelte es zu schützen. Außerdem sei gegen rechtswidrig handelnde Unternehmen bisher völlig unterschiedlich vorgegangen worden, es dürfe aber nicht vom Firmensitz abhängen, ob jemand mit staatsanwaltlichen Ermittlungen zu rechnen habe oder nicht. Deshalb müsse nach dem neuen Gesetz in Zukunft jeder Anfangsverdacht untersucht werden. Dass Unternehmen künftig weniger intensiv interne Aufklärung betreiben, weil die entsprechenden Ergebnisse von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt werden könnten, befürchtet Lambrecht nicht. Wenn die internen Untersuchungen so durchgeführt würden, wie im Gesetz vorgeschrieben, könne das die Strafe mildern. Also hätten Unternehmen selbstverständlich auch ein Interesse daran, entsprechend aufzuklären. Bei Soli und Vermögensteuer geht die Ministerin davon aus, dass in beiden Fällen eine Regelung gefunden wird, die verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht.

Rechtspolitik

Anwaltliches Berufsrecht: Wie lto.de meldet, hat sich nach den Anwaltsorganisationen jetzt auch die CDU/CSU gegen eine Aufweichung des anwaltlichen Fremdbesitzverbotes ausgesprochen. Das BMJV hatte in seinen Eckpunkten zur BRAO-Reform Lockerungen vorgeschlagen, um insbesondere Wagniskapitalbeteiligungen etwa im Bereich von Legal Tech zu ermöglichen. "Die Aufrechterhaltung des Fremdkapitalverbots halten wir für unabdingbar", wird die rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Winkelmeier-Becker im Beitrag zitiert. Sie sei eine tragende Säule der Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft.

Inkassogebühren: Aus dem Bundesjustizministerium gibt es einen neuen Vorstoß zur Deckelung der Inkassogebühren. Laut einer Meldung der Sa-SZ soll es bei Forderungen bis 500 Euro eine Gebühren-Höchstgrenze von 37,80 Euro geben.

Wahlalter: Warum aus verfassungsrechtlicher Sicht der Gesetzgeber das Wahlalter auf 16 Jahre absenken kann, aber nicht muss, erläutert Referendar Simon Gelze im FAZ-Einspruch. Für eine Absenkung bei den Europawahlen sprechen zwar gute Gründe, diese seien aber nicht verfassungsrechtlicher Natur, sagt der Autor.

EU-Rule-of-Law-Kommissar/in: Die bisherige Justizkommissarin Vera Jourova könnte, wie Daniel Hegedüs auf verfassungsblog.de ausführt, in der neuen EU-Kommission die Rule-of-Law-Zuständigkeit von Frans Timmermans übernehmen. Ihre Nominierung könnte u.a. dazu führen, dass sich die Tschechische Republik, die Heimat Jourovas, stärker als bisher von seinen Nachbarn Polen und Ungarn distanziert, so der Autor.

Justiz

EuGH zu Lastschrift: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die Deutsche Bahn Zahlungen per Lastschriftverfahren auch dann akzeptieren muss, wenn das verwendete Konto nicht in Deutschland geführt wird. Geklagt hatten österreichische Verbraucherschützer. Über die Entscheidung berichtet jetzt auch lto.de.

EuGH – Vorratsdatenspeicherung: lto.de (Markus Sehl) widmet sich einem beim Europäischen Gerichtshof anhängigen Verfahren zur europäischen Vorratsdatenspeicherung. Es geht um drei Vorlagen aus Großbritannien, Frankreich und Belgien. Die Beschwerden richteten sich gegen verschiedene Aspekte der im Prinzip gleichen Überwachungspraxis, heißt es bei lto.de: Polizei- und Nachrichtendienste verlangten von privaten Telekommunikationsanbietern, dass sie Internet- und Telefondaten ihrer Nutzer den Sicherheitsbehörden zur Verfügung stellen. Der EuGH verhandelt am Montag.

LG Stralsund zu Mord auf Usedom: Über die Urteilsverkündung wegen der Ermordung einer schwangeren Frau auf der Ostseeinsel Usedom berichten die Sa-FAZ (Matthias Wyssuwa), die Sa-SZ (Peter Burghardt) und spiegel.de. Einer der beiden Angeklagten wurde zu einer zwölfjährigen Jugendstrafe, der zweite zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Sie hätten wissen wollen, "wie es ist, einen Menschen zu töten" und sehen wollen, wie ein Mensch stirbt, so die Staatsanwaltschaft.

LG Gera – EuGH-Vorlage wegen Dieselmanipulationen: Das Landgericht Gera hat dem EuGH Fragen im Rahmen eines Verfahrens, das sich mit Manipulationen an einem Kraftfahrzeug befasst, vorgelegt. Unter anderem geht es um mögliche Kundenrechte, weil das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattete Fahrzeug nie den EU-Genehmigungsvoraussetzungen entsprochen hat, heißt es jetzt auch in der Sa-FAZ (Marcus Jung). Zudem wollten die Richter wissen, ob auch das Vermögen von Kunden und ihre Freiheit, das Fahrzeug auf dem Gebrauchtwagenmarkt weiterzuveräußern, durch eine EU-Richtlinie geschützt sind.

LG Hamburg – SS-Wachmann Bruno D.: Mitte Oktober beginnt vor der Großen Strafkammer des Jugendschwurgerichtes beim Landgericht Hamburg der Prozess gegen den 92-jährigen ehemaligen SS-Wachmann Bruno D., dem die Staatsanwaltschaft Beihilfe zum Mord in 5.320 Fällen vorwirft. Vor 75 Jahren war der damals 17-Jährige als SS-Schütze in der 1. Kompanie des Totenkopfsturmbanns als Wachmann im KZ Stutthof, 40 Kilometer entfernt von Danzig, stationiert. Durch diese Tätigkeit habe Bruno D. „die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt“, wirft ihm die Anklage vor. Die Mo-taz (Andreas Speit) berichtet über den Fall und die Hintergründe.

VG Koblenz zur Tauglichkeit für den Polizeidienst: Ein Bewerber für den Polizeidienst, der unter Laktose/Fruktose-Unverträglichkeit leidet, darf deshalb nicht grundsätzlich vom Auswahlverfahren ausgeschlossen werden. Das hat laut lto.de das Verwaltungsgericht Koblenz im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens entschieden.

FG Nürnberg – Klage gegen Solidaritätszuschlag: Die Mo-SZ (Cerstin Cammelin) stellt den früheren Ministerialbeamten im Bundesfinanzministerium und jetzigen Rechtsanwalt Michael Sell vor. Er hat im August im Namen eines bayerischen Ehepaares eine Klage gegen die weitere Erhebung des Solidaritätszuschlages eingelegt.

Elektronische Akte: lto.de stellt den aktuellen Umsetzungsstand bei der Einführung der elektronischen Akte an rheinland-pfälzischen Gerichten dar. Bis 2014 will das Land die elektronische Gerichtsakte flächendeckend eingeführt haben.

StA Berlin – Kompetenzzentrum gegen Rechtsextremismus: Laut Mo-taz soll die Berliner Staatsanwaltschaft ein Kompetenzzentrum gegen Rechtsextremismus bekommen. Ziel sei ein „Gefährdermanagement“, das mit den gegen islamischen Terrorismus entwickelten täterorientierten Maßnahmen vergleichbar sei. Ermittlungen gegen rechtsextreme Täter sollen künftig gebündelt in einer Abteilung laufen und nicht mehr nach Deliktarten getrennt.

Recht in der Welt

Großbritannien – Parlamentspause: Der High Court in London hat, wie lto.de berichtet, eine Klage gegen die von Premierminister Boris Johnson verhängte mehrwöchige Zwangspause des britischen Parlaments abgewiesen. Allerdings wurde die Berufung zum Supreme Court zugelassen. Geklagt hatten unter anderem die Geschäftsfrau und Aktivistin Gina Miller und Ex-Premierminister John Major. Sie sehen in der bis zu fünf Wochen langen Sitzungsunterbrechung ein unzulässiges politisches Manöver Johnsons, um seinen Brexit-Kurs durchzudrücken.

USA – Ermittlungen gegen Google: Das Hbl (Katharina Kort/Axel Postinett u.a.) berichtet, dass ab Montag zwei Dutzend US-Generalstaatsanwälte eine Untersuchung gegen Google wegen möglicher Wettbewerbsverbote einleiten wollen und auch Facebook im Blick haben. In dem Artikel heißt es, dass die Staatsanwälte der Bundesstaaten allerdings nicht einfach eine Strafe verhängen könnten, sondern zunächst vor Gericht ziehen müssten.

Österreich – negative Hotelbewertung: Ob die in einem Hotel hängende Schwarz-Weiß-Aufnahme eines älteren Herrn in Wehrmachtsuniform, die mit dem damals obligatorischen Hakenkreuz-Aufnäher versehen war, zu einer negativen Bewertung auf Buchungsplattformen berechtigt, verhandelt derzeit das Landgericht Innsbruck. Wie die Sa-SZ meldet, hatte der Tourist nach seinem Besuch des Hotels auf booking.com eine Anmerkung mit der Überschrift "Am Hoteleingang: Bild vom Nazi-Opa" hinterlassen und wurde dafür von der Hotelbesitzerin wegen Beleidigung und falscher Tatsachenbehauptung verklagt.

Juristenausbildung

Korrektur juristischer Klausuren: lto.de (Marcel Schneider) berichtet über einen Test an der Bucerius Law School, in dessen Rahmen Klausuren nicht mehr wie bisher mit Randnotizen oder individueller Klausurbesprechung, sondern mit Videokorrekturen bewertet werden. Der Prüfling erhält dabei einen Link, über den er das Video herunterladen kann. Das Feedback der Studenten ist bisher überaus positiv.

Sonstiges

eSport: Rechtsanwalt Oliver Daumer erläutert auf lto.de, warum er entgegen eines Gutachtens, das der Deutsche Olympische Sportbund in Auftrag gegeben hat, auch die Anerkennungsfähigkeit von eSport als gemeinnützig für zumindest erwägenswert hält. Das Gutachten des DOSB lasse kein gutes Haar an den eSports – und müsse sich damit den Vorwurf gefallen lassen, ein Parteigutachten zu sein. Ein Gutachten über die Vor- und Nachteile einer Anerkennung der eSports als gemeinnützig wäre zur Lösung des Konflikts die bessere Wahl gewesen, so der Autor.

Strafzwecke: Dass bei der Antwort auf die Frage, warum wir strafen, die Vergeltung eine größere Rolle spielt, als die Mehrheit der Rechtslehrer zugeben will, meint Rechtsprofessor Tonio Walter auf lto.de. Insbesondere gehe es nicht um Resozialisierung, denn Resozialisierung und Strafen hätten genau besehen gar nichts miteinander zu tun: "Resozialisierung bestraft nicht, und Strafen können nicht resozialisieren", so Walter.

Entzug statt Vollzug: Im "München und Region"-Teil der Sa-SZ (Susi Wimmer) wird anhand von mehreren Beispielen erläutert, welche Auswirkungen die Vorgaben des Bundesgerichtshofes auf eine Unterbringung von alkoholkranken verurteilten Straftätern in Entzugskliniken statt in JVAen in der Praxis haben. Die forensischen Kliniken beispielsweise im Bezirk Oberbayern seien hoffnungslos überbelegt, das Aggressionspotenzial unter den Patienten steige und "effektive Therapiebedingungen werden mehr und mehr infrage gestellt", wird die Pressesprecherin des Bezirks zitiert.

Analphabetismus: Mit Defiziten beim Lesen und Schreiben und Gerichtsverfahren dazu befasst sich Martin Rath auf lto.de. Anlass ist der Weltalphabetisierungstag am 8. September.

 

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lto/pf

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 7. bis 9. September 2019: Interview mit Justizministerin/Widerstand gegen Berufsrechtsreform/USA – Ermittlungen gegen Google und Facebook . In: Legal Tribune Online, 09.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37507/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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