Die juristische Presseschau vom 28. bis 30. Dezember 2019: Neue deut­sche EGMR-Rich­terin / Dis­kus­sion um Wahl­recht / 850 Mil­lionen Euro Kar­tell­bußen

30.12.2019

Zum 1.1. nimmt die Heidelberger Rechtsprofessorin Anja Seibert-Fohr ihre Arbeit als Richterin beim EGMR auf. CDU/CSU wirbt für Wahlrechtsrechtsreform – zu ihren Gunsten und das BKartA hat 2019 Geldbußen von etwa 850 Mio Euro verhängt.

Thema des Tages

EGMR – neue Richterin: Die Mo-taz (Christian Rath) stellt Anja Seibert-Fohr, die ab Januar neue Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, vor. Die 50-Jährige war zuletzt Rechtsprofessorin in Heidelberg. Von 2013 bis 2017 war sie Mitglied im UN-Menschenrechtsausschuss in Genf, die letzten zwei Jahre als Vizepräsidentin. Seibert-Fohr folgt in ihrer neuen Funktion Angelika Nußberger nach, die nach neun Jahren auf ihren Lehrstuhl an der Universität Köln zurückkehrt.

Rechtspolitik

Europarat: Über den Reformbedarf beim Europarat und darüber, warum es eines zusätzlichen Sanktionsinstrumentes bedarf, schreibt die Forschungsassistentin und Doktorandin Silvia Steininger auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache).

Wahlrecht: Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag wirbt weiterhin für ihren Vorschlag für eine Änderung des Wahlrechts, den die anderen Bundestagsfraktionen bereits im Frühjahr abgelehnt hatten. 24 Unionspolitiker haben sich in einem Brief an Fraktionschef Ralph Brinkhaus für das Konzept ausgesprochen, das die Zahl der Parlamentarier auf dauerhaft 598 festlegen soll. Wie u.a. bild.de (Ralf Schuler) und spiegel.de (Marius Mestermann/Dietmar Hipp) erläutern, soll danach die Hälfte der Abgeordneten per Erststimme und die andere Hälfte nach dem Verhältniswahlrecht bestimmt werden. Profitieren würden von einer solchen Regelung vor allem Parteien, die viele Direktmandate erringen – derzeit wohl vor allem CDU und CSU und im Osten auch die AfD.

"Unverfroren" nennt Daniel Deckers (Sa-FAZ) den Vorschlag, der vor allem der eigenen Fraktion diene: Wer wie die Union derart unverfroren auf den eigenen Vorteil spekuliere und gleichzeitig eine Verständigung auf eine Reform mit Augenmaß verhindere, dem sollte sich eine Phalanx aller anderen Parteien einschließlich der SPD entschlossen entgegenstellen, Koalition hin oder her.

Autodaten: Der Automobilclub ADAC fordert eine gesetzliche Regelung, die sicherstellen soll, dass Fahrzeugbesitzer "selbstbestimmt über ihre Daten verfügen". Gemeint sind damit die digitalen Informationen der Bordelektronik. Bisher seien es nur die Hersteller, welche die Daten aus dem vernetzten Fahrzeug auslesen und jeden anderen ausschließen können, erläutert die Sa-FAZ (Hendrik Wieduwilt).

Neue Gesetze: zeit.de (Alexander Eydlin) gibt einen Überblick über Neuregelungen, die zum Jahresanfang in Kraft treten, zum Beispiel zur Mindestvergütung für Auszubildende, zum Mindestlohn und zu den Hartz-IV-Sätzen.

Justiz

BVerfG 2019: Den Überblick über wichtige Entscheidungen der obersten Gerichte setzt lto.de (Markus Sehl) mit dem Bundesverfassungsgericht fort. Besonders erinnernswert sind danach u.a. die Entscheidungen zum Recht auf Vergessenwerden I und II, zur Mietenbremse, zur Stiefkindadoption und zu den Hartz-IV-Sanktionen.

Für Jost Müller-Neuhof (Tsp) sind die Beschlüsse "Recht auf Vergessenwerden I" und "Recht auf Vergessenwerden II" die wichtigsten Entscheidungen des vergangenen Jahres. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg habe sich mit der Auslegung der EU-Grundrechtecharta Gebiete erobert, die man in Karlsruhe früher allein verteidigte. Mit den Beschlüssen hätten sich die Deutschen Terrain zurückgeholt.

OLG München – tödlicher Angriff in Augsburg: Die Verdächtigen des tödlichen Angriffs in Augsburg sind wieder in Haft. Wie die Mo-FAZ meldet, sieht das Oberlandesgericht München u.a. Flucht- und Verdunkelungsgefahr und hat daher die vor einigen Tagen vom Landgericht aufgehobenen bzw. außer Vollzug gesetzten Haftbefehle wieder in Kraft gesetzt.

LG Frankfurt/M. – Alexander Falk: Die FAS (Anna-Sophia Lang) berichtet ausführlich über den Prozess gegen den Erben des Stadtplan-Verlages Alexander Falk, das im Artikel als "eines der spektakulärsten Verfahren im Jahr 2019" benannt wird. Falk soll den Mord an einem Rechtsanwalt in Auftrag gegeben haben.

AG Frankfurt/M. zur Kündigung eines Fitnessvertrages: Das Amtsgericht Frankfurt/M. hat laut einer Meldung von lto.de entschieden, dass ein Fitnesstudiovertrag nicht pauschal "aus gesundheitlichen Gründen" fristlos gekündigt werden kann. Der Kunde hätte darüber hinaus angeben müssen, welche gesundheitlichen Einschränkungen ihn konkret an dem Fitness-Training hinderten. Ohne diese Angaben seien Risiken und Auswirkungen nicht nachprüfbar gewesen.

Manager vor Gericht: Die Sa-SZ (Margarita Chiari) gibt Beispiele für Verfahren, in denen sich Manager oder Unternehmer im vergangenen Jahr vor Gericht verantworten mussten: Ex-Siemens-Chef Heinrich von Pierer hat angekündigt, gegen eine Verurteilung wegen Korruption durch ein griechisches Gericht Rechtsmittel einzulegen. Bernard Tapie, ehemaliger französischer Unternehmer, wurde im Juli vom Verdacht des "organisierten Bandenbetrugs und der Unterschlagung" freigesprochen und Catherine von Fürstenberg-Dussmann, Ehefrau von Peter Dussmann, dem Gründer der Dussmann-Gruppe, muss sich weiter mit seiner Tochter um das Erbe streiten.

Recht in der Welt

Polen – Justizreform: Der deutsch-polnische Rechtswissenschaftler Oscar Szerkus widmet sich auf lto.de dem aktuellen Stand der "Justizreform" in Polen. Jüngstes Puzzleteil: Der bereits von einer der Parlamentskammern kürzlich beschlossene Gesetzesentwurf zur Neuregelung des richterlichen Disziplinarrechtes.

Österreich – VW: Laut Mo-FAZ haben sich Österreich und der Automobilkonzern VW auf eine Entschädigung wegen der Wertminderung an etwa 2100 Dieselfahrzeugen der österreichischen Polizei geeinigt. Die konkrete Summe wurde nicht genannt. Ein Sprecher von VW betonte, die Einigung mit Österreich bedeute keinen Präzedenzfall und habe keine Auswirkungen auf andere anhängige Verfahren.

Sonstiges

Bundeskartellamt: Wie lto.de, Sa-FAZ (Kerstin Schwenn) und Mo-SZ (Carsten Busse) melden, hat das Bundeskartellamt im Jahr 2019 Bußgelder in Höhe von insgesamt 848 Millionen Euro wegen illegaler Kartellabsprachen verhängt. Das ist deutlich mehr als im Jahr zuvor (376 Mio. Euro).

Die Geldbußen spiegelten die vielfältigen Versuche der Wirtschaft, Wettbewerb durch verbotene Absprachen auszuhebeln um die Kunden bei Preis oder Qualität übers Ohr zu hauen, kommentiert Heike Göbel (Sa-FAZ). Es sei gut zu wissen, dass Kartellamtspräsident Andreas Mundt keinen Kampf scheue.

Jobticket und Steuern: Rechtsanwalt Maximilian Krämer und Steuerberaterin Rebecca Haß erläutern auf lto.de die steuerlichen Tücken bei der Berücksichtigung eines vom Arbeitgeber gewährten steuerfreien Jobtickets, die das kürzlich verabschiedete Jahressteuergesetz 2019 beseitigen will. Ob die mit der Neuregelung bezweckte Lenkungswirkung tatsächlich auch flächendeckend eintritt, bezweifeln die Autoren allerdings.

Digitales Erbe: Tipps zur Regelung des digitalen Erbes gibt die Sa-FAZ (Hanno Mußler). Es geht dabei zum Beispiel um Verträge mit Internetdiensten, Fotos auf Facebook und Inhalte von E-Mail-Accounts.

Nanotechnik und Recht: Auf welche juristischen Fallstricke die Nanotechnologie vor deutschen Gerichten stieß, stellt Martin Rath auf lto.de vor.

Künstliche Intelligenz, Zufall und Recht: FAZ-Einspruch (Katja Gelinsky) befasst sich mit der Frage, inwieweit der Zufall eine Rolle bei rechtlichen Entscheidungen haben darf oder sogar muss. Die Autorin berichtet von einer Veranstaltung an der Humboldt-Universität, bei der der Hannoveraner Junior-Professor Timo Rademacher zum rechtlichen Wert des Zufalls in der KI-Gesellschaft vorgetragen hatte.

 

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lto/pf

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 28. bis 30. Dezember 2019: Neue deutsche EGMR-Richterin / Diskussion um Wahlrecht / 850 Millionen Euro Kartellbußen . In: Legal Tribune Online, 30.12.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39441/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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