Die juristische Presseschau vom 21. bis 23. Dezember 2019: Kli­maur­teil in den Nie­der­landen / SPD-Poli­tiker für Abschaf­fung von 219a / kein Schutz für Loriots Lamet­ta­s­pruch.

23.12.2019

Der Oberste Gerichtshof der Niederlande hat das Land zu mehr Klimaschutz verpflichtet. Außerdem in der Presseschau: SPD-Politiker sprechen sich gegen §219a StGB aus und Loriots "Früher war mehr Lametta" genießt keinen Urheberrechtsschutz.

Thema des Tages

Niederlande – erfolgreiche Klimaklage: In den Niederlanden hat der dortige Oberste Gerichtshof einer Klage von Klimaaktivisten stattgegeben, mit der die Regierung zu Maßnahmen zum Klimaschutz verpflichtet werden sollte. Die Niederlande müssen nach dem Richterspruch vom vergangenen Freitag im kommenden Jahr den Treibhausgasausstoß des Landes drastisch senken. Das Gericht bestätigte damit in letzter Instanz den Spruch eines Gerichts aus dem Jahr 2015, berichten Mo-FAZ (Thomas Gutschker), spiegel.de (Claus Hecking) und lto.de. Gegen die Entscheidung ist kein Rechtsmittel mehr möglich.

Rechtsprofessor Bernhard Wegener analysiert auf verfassungsblog.de die niederländische Entscheidung und vergleicht sie mit dem Urteil des Verwaltungsgerichtes Berlin, das Ende Oktober eine ähnliche Klage mit dem Hinweis auf den der Bundesregierung zustehenden Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum abgewiesen hatte. Der Autor warnt vor allzu hohen Erwartungen nach der aktuellen niederländischen Entscheidung: Ein ambitioniertes Klimaschutzurteil sei noch keine Garantie für gesellschaftliche Folgebereitschaft. Es erscheine jedenfalls nicht ungefährlich, statt auf die Mühen demokratischer Überzeugungsarbeit und konkreter administrativer Planung zu sehr auf das vergleichsweise einfache judikative Urteilen zu setzen.

Rechtspolitik

§ 219a StGB: Führende SPD-Politiker, darunter Bundesfamilienministerin Franziska Giffey und der rechtspolitische Sprecher der Fraktion im Bundestag Johannes Fechner haben sich laut eines Artikels in der Sa-taz (Dinah Riese) für eine Abschaffung des §219a StGB, der die Werbung für den Abbruch einer Schwangerschaft unter Strafe stellt, ausgesprochen. Erst Anfang des Jahres hatte sich die Koalition auf eine Modifizierung des bisherigen Verbotes geeinigt, der die beiden Politiker seinerzeit auch zugestimmt hatten.

Kinderrechte im Grundgesetz: Laut Spiegel (Ann-Katrin Müller/Ralf Neukirch u.a.) bleibt der Gesetzesvorschlag des Bundesjustizministeriums zur Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz zu zaghaft, um tatsächlich etwas zu verändern. Der aktuelle Gesetzentwurf sei schwach und bleibe deutlich hinter der UN-Kinderrechtskonvention zurück, kritisieren beispielsweise die Grünen, ohne deren Zustimmung die für eine Verfassungsänderung auch im Bundesrat nötige Zweidrittelmehrheit nicht zu erreichen ist.

Hasskriminalität: Johannes Boie (WamS) kritisiert die Pläne des Bundesjustizministeriums zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes zur besseren Bekämpfung von Hass und Hetze im Netz. Er befürchtet, dass beispielsweise eine Verpflichtung der Netzwerke künftig nicht nur zu löschen, sondern auch gleich das Bundeskriminalamt einzuschalten zu einer Vervielfachung der Strafanzeigen führen würde und dazu, dass noch weniger abgewogen werde zwischen dem, was man sagen darf, und dem, was verboten ist. Boie wünscht sich vielmehr, dass sich das Justizministerium des Problems mit Augenmaß und Verständnis für Technik, Nutzer und Grundgesetz annehme.

Waffenrecht: Der Bundesrat hat in der vergangenen Woche der Änderung des Waffenrechts zugestimmt, wie lto.de meldet. Hauptziel ist es, den Zugang zu Waffen für Extremisten zu erschweren. Deshalb müssen beispielsweise die Behörden künftig immer beim Verfassungsschutz nachfragen, bevor sie Waffenerlaubnisse vergeben.

Justiz

BVerfG zur Zusatzversorgung bei Lebenspartnern: Das Bundesverfassungsgericht hat laut lto.de festgestellt, dass die Berechnung der Rentenzusatzversorgung für ehemalige Bedienstete im öffentlichen Dienst bei eingetragenen Lebenspartnern genauso wie für Verheiratete auf Antrag nach der günstigeren Steuerklasse zu erfolgen hat. Das gilt bei Lebenspartnern unter Umständen auch, wenn ein entsprechender Antrag erst später gestellt wurde.

BAG zu männlichem Sportlehrer für Schülerinnen: Rechtsanwalt Michael Fuhlrott stellt auf lto.de ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vor. Ein Sportlehrer hatte geklagt, weil seine Bewerbung um eine Stelle an einer bayerischen Waldorfschule abgelehnt wurde. Die Schule hatte die Stelle ausdrücklich nur für Lehrerinnen ausgeschrieben. Das BAG hat nun entschieden, dass das unzulässig war und dem Kläger grundsätzlich eine Entschädigung nach dem AGG zugesprochen. Grundsätzlich sei auch die Sportlehrertätigkeit geschlechtsunabhängig zu sehen.

BGH zum "Kuhglockenstreit": Der seit Jahren währende "Kuhglockenstreit" zwischen einer bayerischen Bäuerin und den Bewohnern des an ihre Weide angrenzenden Grundstückes ist zumindest in einem der anhängigen Verfahren nun beendet. Der Bundesgerichtshof hat die Nichtzulassungsbeschwerde des Ehemannes abgewiesen, heißt es bei lto.de. Allerdings läuft derzeit beim OLG München noch das Verfahren der Ehefrau.

VerfGH NRW zur Stichwahl bei Kommunalwahl: In der vergangenen Woche hat der nordrhein-westfälische Verfassungsgerichtshof entschieden, dass die Abschaffung der Stichwahlen bei den Kommunalwahlen unzulässig war. Das Landesparlament habe seine Prognose hinsichtlich der Auswirkungen auf die demokratische Legitimation nicht hinreichend vorbereitet, so das Gericht. Die Entscheidung erläutern Rechtsanwalt Robert Hotstegs auf lto.de und die Sa-FAZ (Reiner Burger).

OLG München zu Loriots Lametta: "Früher war mehr Lametta" – der legendäre Spruch aus einem Sketch von Loriot genießt nach einer jetzt bekanntgemachten Entscheidung des Oberlandesgerichtes München vom August dieses Jahres keinen urheberrechtlichen Schutz. Dem Satz fehle die dafür nötige "hinreichende Schöpfungshöhe", begründete das Gericht seine Entscheidung zur Klage der Erben Loriots gegen einen T-Shirt-Hersteller. lto.de und spiegel.de berichten.

OLG Frankfurt/M. zur Verkehrsüberwachung durch Private: Das Oberlandesgericht Frankfurt/M. hat laut lto.de seine Entscheidung vom November bestätigt, wonach eine Verkehrsüberwachung durch private Dienstleister unzulässig ist.

OLG Frankfurt/M. – FC Carl Zeiss Jena vs. DFB: Der FC Carl Zeiss Jena klagt gegen den Deutschen Fußballbund (DFB) wegen einer gegen den Fußballclub verhängten Strafe nach dem Einsatz von Pyrotechnik durch Fans. Das Besondere daran ist laut einem Artikel auf lto.de, dass der FC – nachdem er alle DFB-internen Instanzen ausgeschöpft hat, nunmehr vor einem ordentlichen Gericht klagt.

LG Berlin zu sexuellem Missbrauch durch Youtuber "Yo Oli": Die Sa-FAZ (Julia Schaaf) berichtet über die Verurteilung des Youtubers Junus W. ("Yo Oli") durch das Landgericht Berlin. Junus W. wurde zu einer achtmonatigen Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt und muss 100 Stunden gemeinnützige Arbeit sowie 30 sozialpädagogische Einzelgespräche absolvieren. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm vorgeworfen, mehrere Mädchen im Alter von 13 bis 16 Jahren aufgesucht und gegen ihren Willen zu sexuellen Handlungen gezwungen zu haben. In der überwiegenden Zahl der Fälle war das Gericht allerdings nicht überzeugt, dass die sexuellen Kontakte nicht einvernehmlich erfolgten, lediglich beim jüngsten der Mädchen habe "Yo Oli die fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung und damit das Machtgefälle, das zwischen den beiden bestand, ausgenutzt".

Weihnachtsamnestien: lto.de (Hasso Suliak), FAS (Justus Bender) und spiegel.de beleuchten die Praxis der so genannten Weihnachtsamnestien in den Bundesländern. Bis zu 2.000 Gefangene werden auch in diesem Jahr die anstehenden Feiertage mit der Familie oder Freunden verbringen dürfen, obwohl ihr ursprüngliches Haftende eigentlich erst später käme. Dabei handele es sich strenggenommen nicht um eine Amnestie, vielmehr erfolge bei jedem in Betracht kommenden Fall eine gnadenrechtliche Einzelfallprüfung durch die jeweils zuständige Staatsanwaltschaft.

Mieterhöhungen: Die Mo-SZ meldet, dass immer mehr Auseinandersetzungen wegen Mieterhöhungen vor Gericht landen. Mehr als jedes fünfte Mietrechtsverfahren betreffe laut Angaben des Deutschen Mieterbundes mittlerweile die Miethöhe. Insgesamt ist die Zahl der gerichtlichen Mietauseinandersetzungen aber zurückgegangen – um mehr als ein Drittel seit 1996.

Erweiterte DNA-Analyse: Die Mo-FAZ (Karin Truscheit) erläutert, welche Vorteile die erweiterte DNA-Analyse bringt, die mit der vor wenigen Wochen erfolgten Verabschiedung des Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens jetzt auch für deutsche Strafverfolger ermöglicht wurde, und verweist dabei auf andere Länder, in denen diese Möglichkeit bereits seit längerem besteht.

Recht in der Welt

Polen – Justizreform: Erneut hat die EU-Kommission Polen wegen rechtsstaatlicher Defizite gerügt, wie die Sa-FAZ (Reinhard Veser) berichtet. Es geht um das in der vergangenen Woche im Eilverfahren vom Parlament beschlossene Gesetz über die Organisation von Gerichten, das nach Ansicht der EU-Kommission die Unabhängigkeit der Richter unterminiert und in Widerspruch zu EU-Recht steht. Rechtsprofessor Paweł Marcisz stellt auf verfassungsblog.de das Gesetz mit kritischen Erläuterungen vor (in englischer Sprache).

Reinhard Veser (Sa-FAZ) findet es gut, dass die Kommission schon reagiert hat, bevor das Gesetz beschlossen war und sieht es als gutes Zeichen an, dass auch viele polnische Staatsanwälte und Richter gegen die Politik ihres Landes rebellieren. So werde es für die PiS selbst dann schwierig sein, die volle Kontrolle über die Justiz zu erringen, sollte sie ihr Gesetz durchbringen.

USA – Jens Söring/Elizabeth Haysom: Nachdem nach mehr als 33 Jahren Haft der wegen Mordes verurteilte Deutsche Jens Söring in der vergangenen Woche entlassen wurde, durfte einer Meldung der Sa-FAZ zufolge jetzt auch seine mutmaßliche Komplizin Elizabeth Haysom das Gefängnis verlassen. Söring und seiner damaligen Freundin war vorgeworfen worden, Haysoms Eltern ermordet zu haben. Die Sa-FAZ (Christiane Heil) fasst die Geschehnisse noch einmal zusammen.

IStGH – Untersuchungen in palästinensischen Gebieten und Ostjerusalem: Wie die Sa-SZ meldet, sieht die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes Fatou Bensouda ausreichend Grund für eine Untersuchung zur Lage in den palästinensischen Gebieten und in Ostjerusalem. Sie sei überzeugt, dass dort Kriegsverbrechen begangen wurden oder werden, wird Fatou Bensouda zitiert. Israel kritisierte die Erklärung scharf.

Belgien – Tutsi-Ermordung vor Gericht: Ein belgisches Gericht hat den ehemaligen Direktor der ruandischen Kaffeebehörde Fabien Neretse wegen Völkermordes verurteilt. In dem Prozess ging es um Neretses Rolle bei der organisierten Ermordung von rund einer Million Tutsi sowie Hutu-Regierungsgegnern in Ruanda zwischen April und Juli 1994, wie die Sa-taz (Dominic Johnson) berichtet. Es ist das erste Völkermordurteil Belgiens.

Sonstiges

Verschlusssachen: Jost Müller-Neuhof (Tsp) meint, dass die Opposition im Bundestag öfter gegen die Einstufung von Unterlagen als "Verschlusssache" klagen sollte. Der "Verschlusssachen-Stempel" sei in der Verwaltung viel zu schnell bei der Hand. So hatte kürzlich Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer Regierungsakten zur Mauteinführung nachträglich als "Verschlusssache-vertraulich" eingestuft und sie damit der öffentlichen Erörterung im Ausschuss entzogen.

Völkerrecht und Unternehmensverantwortung: Inwieweit Rüstungsunternehmen auch über die innerstaatliche Genehmigungspflicht hinaus Sorgfaltspflichten direkt aus dem Völkerrecht treffen könnten, untersucht der Göttinger Straf- und Völkerrechtler Kai Ambos in einem Gastbeitrag für FAZ-Einspruch.

Dreyfus-Affäre: Martin Rath erinnert auf lto.de an die Verurteilung des französischen Hauptmanns Alfred Dreyfus wegen Spionage in Paris am 22. Dezember 1894. Dem Verfahren schloss sich eine beispiellose Kampagne an, Rath nennt sie die "Mutter aller PR-Litigation-Schlachten".

 

 

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lto/pf

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 21. bis 23. Dezember 2019: Klimaurteil in den Niederlanden / SPD-Politiker für Abschaffung von 219a / kein Schutz für Loriots Lamettaspruch. . In: Legal Tribune Online, 23.12.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39387/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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