Die juristische Presseschau vom 9. bis 11. November 2019: Dro­hungen im Frei­burger Pro­zess/Kom­men­tare zu Hartz-IV-Ent­schei­dung/Rück­ho­lung von IS-Kin­dern

11.11.2019

Verteidiger und Opferanwältin im Freiburger Vergewaltigungsprozess haben Drohungen erhalten – von vollkommen unbeteiligten Personen. Außerdem in der Presseschau: Kommentare zum Hartz-IV-Urteil des BVerfG und Rückholung aus IS-Gebiet.

Thema des Tages

Drohungen im Freiburger Vergewaltigungsprozess: U.a. faz.net meldet, dass im Freiburger Prozess um die mutmaßliche Vergewaltigung einer jungen Frau durch mehrere Männer Verteidiger und die Nebenklagevertreterin Drohungen erhalten haben. Das sei ein allgemeiner Trend, wird der Sprecher der Freiburger Staatsanwaltschaft Thorsten Krapp zitiert. Drohungen und Hasskommentare gingen häufig telefonisch, per E-Mail und Post sowie über soziale Medien ein, sagte Krapp. Sie stammten von „vollkommen unbeteiligten Personen“, die Strafverfahren über die Medien verfolgten und ihre Meinung äußern wollten.

Rechtspolitik

Dokumentation der Hauptverhandlung: Laut lto.de (Annelie Kaufmann) drängt die SPD-Bundestagsfraktion auf Regelungen zur Dokumentation der Hauptverhandlung im Strafverfahren. Bisher wurde dieser Komplex aus den Beratungen zum Gesetzentwurf zur Modernisierung des Strafverfahrens ausgeklammert. Derzeit verlassen sich Richter bei der Beweiswürdigung und der Urteilsbegründung nur auf ihre eigenen Mitschriften. Strafverteidiger fordern schon seit Langem, dass die Hauptverhandlung aufgezeichnet wird. In den meisten anderen EU-Mitgliedstaaten ist eine umfassende Dokumentation der Hauptverhandlung – per Wortprotokoll, Tonaufzeichnung oder Video – bereits Standard.

Sorgerecht: Im Bundesjustizministerium wird über eine umfassende Änderung des Sorgerechts nachgedacht. Danach sollen unverheiratete Väter automatisch sorgeberechtigt sein. Grundlage der Überlegungen ist ein Papier mit 50 Thesen und Empfehlungen für eine Reform des Kindschaftsrechts, das von acht Familienrechtlern aus Wissenschaft, Justiz und Anwaltschaft erarbeitet wurde. lto.de (Hasso Suliak) stellt die Diskussion dar.

Bundesrat – Neue Gesetze und Beschlüsse: lto.de fasst die wichtigsten Entscheidungen aus der vergangenen Sitzung des Bundesrates zusammen. So stimmte die Länderkammer der Reform der Grundsteuer, der Erhöhung der Regelstudienzeit für Juristen und der Erhöhung des Wohngeldes zu. Außerdem soll ein Gesetzentwurf zur Strafbarkeit des "Unter-den-Rock-Fotografierens" (Upskirting) beim Bundestag eingebracht werden.

Cybermobbing: Familienministerin Franziska Giffey hat – wie das Hbl (Sabine Menkes) meldet – angekündigt, noch vor Weihnachten einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Jugendschutz in den digitalen Medien verbessern soll. Alle großen interaktiven Internetdienste sollen verpflichtet werden, ihre Angebote so zu gestalten, dass Minderjährige etwa durch sichere Voreinstellungen und gut funktionierende Melde- und Beschwerdesysteme besser geschützt werden.

Tanja Tricarico (Mo-taz) meint, dass Gesetze allerdings gegen internationale Firmen nicht weiterhelfen würden. Die Firmen agierten aus dem außereuropäischen Ausland, und weil kriminelle User auch gute Kunden seien, würden Filter nicht in dem Maße eingesetzt, wie es technisch möglich wäre.

Gleichstellung: In einem Gastbeitrag für die Sa-SZ kritisiert die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes Maria Wersig die mangelnde Umsetzung der vor 25 Jahren in das Grundgesetz eingefügten Ergänzung zum Gleichberechtigungsgrundsatz. Es fehlten vor allem professionelle Strukturen, die Politik belasse es dabei, Gleichstellung als Fleißarbeit zu behandeln und weitestgehend an ein Frauenministerium zu delegieren, dem es an nötigen Stellen und Mitteln fehle, so Wersig.

Opferentschädigung: Laut Sa-SZ hat der Bundestag beschlossen, die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten oder Terrorakten zu erhöhen. Außerdem soll traumatisierten und durch Gewaltakte geschädigten Menschen künftig schneller und gezielter geholfen werden.

Rechtsausschussvorsitzender: Der Rechtsausschuss im Bundestag will seinen Vorsitzenden Stephan Brandner wegen dessen diffamierenden Tweets in dieser Woche von seinem Amt abwählen. Das meldet die Sa-SZ (Jens Schneider). Es wäre das erste Mal in der Geschichte des Parlamentes, dass ein Ausschussvorsitzender abgewählt würde.

Christoph Herwartz (Hbl) meint, die Mitglieder des Rechtsausschusses von CDU, CSU, SPD, Linken und Grünen könnten gemeinsam die Gebräuche des Bundestages so auslegen, dass die Wahl eines Ausschussvorsitzenden an ein Mindestmaß an Anstand gebunden ist – und dass ein Fehlen dieses Anstandes eine Abwahl rechtfertigen würde.

Meinungsfreiheit: Helene Bubrowski (Mo-FAZ) widmet sich der Diskussion um vermeintliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit und erläutert, warum sich der Rechtsstaat zwischen den Extremen von rechtsfreien Räumen und Totalüberwachung bewegt.

Justiz

BVerfG zu Hartz-IV-Kürzungen: Für Heribert Prantl (Sa-SZ) lässt das Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung "das kalte Herz von Hartz IV weiterschlagen". Zu Kürzungen bis weit unter das Existenzminimum habe Karlsruhe nicht Nein, sondern nur Jain gesagt. Im Jahr des 70. Grundgesetzjubiläums hätte man sich ein Urteil gewünscht, das mehr Gespür dafür hat, dass Armut auch Armut an Demokratie ist, und das der Bedeutung des Sozialstaatsgebots mehr und besser Rechnung getragen hätte, so Prantl. Barbara Dribbusch (Mo-taz) bezeichnet das Urteil dagegen als "erfreulich und fortschrittlich". Es sei nachvollziehbar, die Sanktionsmöglichkeiten nicht völlig abzuschaffen, denn es wäre kaum zu vermitteln, wenn Leute jahrelang Hartz IV beziehen könnten, ohne jemals beim Jobcenter vorsprechen zu müssen, während sich andere im ersten Arbeitsmarkt abrackerten. In einem Pro und Contra beantworten Dorothea Siems und Annette Dowideit (Hbl) die Frage, ob wir Sanktionen bei Hartz IV brauchen. Ja, sagt die eine, wer Geldleistungen nicht mehr an die Bedingung knüpft, dass der Empfänger aktiv mitarbeiten muss, um der Notsituation irgendwann auch wieder zu entkommen, der gebe ein verheerendes Signal. Nein, meint die andere, das Prinzip Zuckerbrot und Peitsche habe noch nie funktioniert.

BGH – "Schleuserprozess": Die Frage, ob der 30-jährige Afghane Ismail G. ein Schleuserhelfer ist oder sich lediglich um seine vier weiblichen Mitflüchtlinge und deren vier Kinder gekümmert hat, wird der Bundesgerichtshof am kommenden Donnerstag beantworten. Die Mo-taz (Christian Rath) erläutert, worum es in dem Fall geht.

LG Coburg zu Glatteisschaden: Das Landgericht Coburg hat entschieden, dass sich die allgemeine Verkehrssicherungspflicht einer Gemeinde für Wanderwege nur auf diejenigen Gefahren bezieht, mit denen ein durchschnittlicher Wanderer im Normalfall nicht rechnen muss. Das Gericht hat damit den Schadensersatzanspruch einer Frau abgelehnt, die auf einem öffentlich beworbenen Wanderweg auf einer vereisten, nicht gestreuten Stelle gestürzt war. lto.de berichtet über die Entscheidung.

LG Dortmund zum Onlineauftritt einer Gemeinde: Das Landgericht Dortmund hat den Onlineauftritt der Stadt Dortmund aus dem Jahre 2017 als zu presseähnlich gerügt. Der Dortmunder Verlag Lensing-Wolff, der u.a. die Ruhr-Nachrichten herausbringt, hatte geklagt, weil er wettbewerbsrechtliche Verstöße durch das staatlich finanzierte Angebot sah. Es war das bundesweit erste Verfahren zum Internetangebot einer Kommune und möglichen Konkurrenz für verlegerische Zeitungs- und Onlineangebote, heißt es in der Meldung der Sa-SZ.

OVG Berlin-Brandenburg zur Rückholung aus IS-Gebiet: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat, wie lto.de meldet, entschieden, dass drei Kinder und ihre aus Wolfsburg stammende Mutter aus einem syrischen Lager zurückgeholt werden müssen. Das Auswärtige Amt wollte ursprünglich nur die drei Kinder zurückholen. Das OVG meinte nun aber, dass keine Tatsachen oder Anhaltspunkte für eine Gefährlichkeit der Mutter dargelegt wurden, die Kinder aber aufgrund ihrer Traumatisierung zwingend auf den Schutz des familiären Bundes angewiesen seien.

BGH zu Strafanzeige gegen Grönemeyer: Wie lto.de meldet, hat der Bundesgerichtshof die Revisionen zweier Promi-Fotografen, die angeblich von Herbert Grönemeyer verprügelt wurden, verworfen. Sie hatten Strafanzeige gegen den Sänger erstattet – und wurden dann wegen falscher Verdächtigung selbst verurteilt.

AG Tiergarten – vorläufige Verfahrenseinstellung: Der Spiegel (Ansgar Siemens) berichtet über ein Strafverfahren wegen Vergewaltigung, das der zuständige Richter wegen angeblicher Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten eingestellt hatte, obwohl in einem entsprechenden Gutachten eine Verhandlungsfähigkeit für zwei maximal zweistündige Termine pro Woche festgestellt wurde.

BVerfG – Containern: Wie jetzt auch lto.de (Pia Lorenz) berichtet, haben in der vergangenen Woche zwei Studentinnen mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte Verfassungsbeschwerde gegen ihre Verteilung wegen Diebstahls erhoben. Die beiden hatten aus den Müllcontainern eines Supermarktes Obst und Gemüse genommen (so genanntes Containern). Auf spiegel.de heißt es dazu, dass die Klägerinnen mit ihrer Verfassungsbeschwerde mehr Menschen auf das Problem der Lebensmittelverschwendung aufmerksam machen wollen. Ihrer Ansicht nach sollte das Containern nicht als Straftat verfolgt werden.

Wolfgang Janisch (Sa-SZ) meint, dass der "Essensklau aus dem Container" ein legitimes Mittel sei, um Staat und Gesellschaft auf den Widersinn aufmerksam zu machen, dass nicht bestraft werde, wer umweltschädigend Lebensmittel entsorgt, sondern wer sie wieder aus den Containern hervorholt. Er sagt aber auch, dass eine Liberalisierung des Strafrechts wohl nicht die Lösung sei, es müssten andere Mittel her.

Recht in der Welt

Indien – Landstreit: Im Streit zwischen Hindus und Muslimen um ein etwa ein Hektar großes Stück Land mit religiöser Bedeutung für beide Gruppen hat das indische Verfassungsgericht eine Entscheidung zu Gunsten der Hindus getroffen. Die Auseinandersetzung schwelte bereits seit mehr als 120 Jahren, während der Unruhen 1992 starben mehr als 2000 Menschen. Die Mo-SZ (Arne Perras) und die Mo-taz (Natalie Mayroth) berichten über die Entscheidung und die Reaktionen darauf.

Sonstiges

Asylrecht – Fall Miri: Zu viel Aktionismus wirft Gudula Geuther (deutschlandfunk.de) Bundesinnenminister Horst Seehofer bei seiner Reaktion auf das Wiederauftauchen des erst vor wenigen Monaten abgeschobenen Schwerkriminellen Ibrahim Miri vor. Nicht nur seien die Grenzkontrollen intensiviert worden, sie würden jetzt auch so durchgeführt, dass sie mit der Schleierfahndung verwischt würden, so dass das ohnehin durchlöcherte Schengen-System weiter umgangen würde.

Wolfgang Janisch (Mo-SZ) meint, dass die Lehre aus Miris Rückkehr allenfalls lauten könne, wirksame Verfahren und effiziente Abschiebemechanismen zu schaffen, nicht aber von höheren Zäunen zu reden.

Rechtsgeschichte – Justizaufbau im Osten: im Interview mit lto.de (Annelie Kaufmann) erzählt die frühere thüringische Justizministerin Marion Walsmann vom Aufbau der Justiz in den fünf neuen Bundesländern nach dem Mauerfall. Als Mitglied des "Politisch beratenden Ausschusses zur Bildung des Landes Thüringen" hat sie mit dafür zu gesorgt, dass es mit der Neugründung des Landes Thüringen auch gleich eine funktionierende Justizverwaltung gab.

Rechtsgeschichte – Der Fall Victor L. Berger: Martin Rath erinnert auf lto.de an den deutschstämmigen Mitgründer der Socialist Party of America Victor L. Berger, dem 1919 sein Sitz im Repräsentantenhaus verweigert wurde, obwohl er ordnungsgemäß gewählt worden war.

Rechtsgeschichte – deutsch-deutsche Fluchthelfer: Anlässlich des 30-jährigen Mauerfalljubiläums erläutert FAZ-Einspruch (Reinhard Müller), wie die westdeutsche Justiz mit Fluchthelfern, die Menschen von Ost nach West über die Grenze geholfen haben, umgegangen ist.

 

 

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lto/pf

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 9. bis 11. November 2019: Drohungen im Freiburger Prozess/Kommentare zu Hartz-IV-Entscheidung/Rückholung von IS-Kindern . In: Legal Tribune Online, 11.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38631/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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