Die juristische Presseschau vom 10. bis 12. August 2019: Abschaf­fung des Soli / Stief­kin­da­d­op­tion für Unver­hei­ra­tete / Dis­kus­sion um Rich­ter­wahl in der Schweiz

12.08.2019

Gegen die Pläne des BFinM, den Soli nicht für alle Bürger abzuschaffen gibt es verfassungsrechtliche Bedenken. Außerdem in der Presseschau: Stiefkindadoption soll auch Unverheirateten erlaubt werden und die Schweiz diskutiert Richterwahl.

Thema des Tages

Abschaffung des Soli: Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) will den Solidaritätszuschlag nicht für alle, sondern nur für gut 90 Prozent der Bürger abschaffen. Wie Mo-SZ (Detlef Esslinger) und Mo-FAZ (Hendrik Wieduwilt) berichten, ist darüber nun ein verfassungsrechtlicher Streit entbrannt. Nach Ansicht von CDU, FDP und AfD entspricht die komplette Abschaffung einem verfassungsrechtlichen Gebot. Die FDP droht laut SZ sogar mit Verfassungsbeschwerde. Wenn die Koalition diesen Weg weiter beschreite, werde sie "krachend in Karlsruhe scheitern", sagte danach der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki

Hendrik Wieduwilt (Mo-FAZ) weist darauf hin, dass der "Soli" stets als haushalterischer Flicken verkauft worden sei, auch wenn er längst zu einer allgemeinen Steuer mutiert sei – immer in der Vorstellung, dass die Belastung irgendwann wieder ende. Auch für Glaubwürdigkeit gebe es eine Art Haushalt, sagt Wieduwilt, und den belaste der Soli schwer.

Rechtspolitik

Vorratsdatenspeicherung: In einem Gastbeitrag für die Sa-SZ befasst sich Ex-NRW-Innenminister Burkhard Hirsch mit der Vorratsdatenspeicherung, die auf EU-Ebene wieder zum Thema geworden ist. Es sei die Wiederkehr eines erfolglosen Albtraums, sagt Hirsch und erinnert gleichzeitig daran, dass eine entsprechende Verfassungsbeschwerde von 2016 noch immer nicht entschieden wurde.

Adoptionsrecht: Der Spiegel (Ralf Neukirch) meldet, dass ein Gesetzentwurf aus dem Bundesjustizministerium vorsieht, dass künftig Männer und Frauen die Kinder ihrer Partnerin oder ihres Partners adoptieren können sollen, auch wenn sie nicht miteinander verheiratet sind. Damit soll eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes umgesetzt werden, die die Beschränkung der so genannten Stiefkindadoption auf Verheiratete für verfassungswidrig erklärt hatte.

Pkw-Maut: lto.de berichtet über Überlegungen für ein alternatives Modell zu der vom Europäischen Gerichtshof für unzulässig erklärten Pkw-Maut. Aus Sicht des Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber bestehen dabei keine grundsätzlichen Bedenken gegen einen Umstieg auf ein Streckenmodell. Die geplatzte Maut sah dagegen pauschale Zeit-Tarife vor.

Justiz

VG Berlin – Klage wegen Klimapolitik: Die Sa-SZ (Michael Bauchmüller) berichtet über eine Klage von Landwirten, die sich gegen die Klimapolitik der Bundesregierung wenden. Ende Oktober soll die erste mündliche Verhandlung in dem Verfahren stattfinden, in dem drei Bauernfamilien und die Umweltorganisation Greenpeace von der Bundesregierung fordern, alles zu tun, um die deutschen Klimaziele bis 2020 noch zu erreichen. Allerdings müsse das Gericht erst einmal klären, auf welche Norm sich die Kläger überhaupt stützen können, heißt es in der SZ. Erst dann falle die Entscheidung, ob über das deutsche Klimaziel vor Gericht verhandelt werde.

OLG Stuttgart zum Tatbestand "Verbotene KFZ-Rennen": Das Oberlandesgericht Stuttgart hat festgestellt, dass den Tatbestand des § 315d StGB (Verbotene Kraftfahrzeugrennen) auch verwirklichen kann, wer "nur" vor der Polizei flieht. Über die Entscheidung berichtet lto.de. Die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, müsse nicht Haupt- oder Alleinbeweggrund für die Fahrt sein, so das Gericht. Wenn die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen im Einzelfall festgestellt werden, könne in den Fällen der "Polizeiflucht" eine Strafbarkeit nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB vorliegen.

StA München II – Vorwürfe gegen Stadler: Die Sa-SZ (Klaus Ott) hat Einzelheiten aus der Anklageschrift gegen den früheren Audi-Chef Rupert Stadler erfahren. Danach werfen die Ermittler Stadler vor, für 120.000 manipulierte Diesel-Autos in Europa verantwortlich zu sein. Der Schaden habe durchschnittlich knapp 230 Euro pro Fahrzeug betragen, was in der Summe rund 27,5 Millionen Euro ergebe.

LG Freiburg – Verfahren wegen Vergewaltigung vor Disko: Spiegel.de (Wiebke Ramm) und Sa-Welt (Per Hinrichs) berichten über den Prozess vor dem Landgericht Freiburg, in dem über die mutmaßliche mehrfache Vergewaltigung einer jungen Frau vor einer Diskothek verhandelt wird. Angeklagt sind elf junge Männer – zehn Flüchtlinge und ein Deutscher – so spiegel.de.

LG Mönchengladbach zu Rechtsmittel gegen Ingewahrsamsnahme: Das Landgericht Mönchengladbach hat laut lto.de die Beschwerden von mehreren Braunkohlegegnern gegen ihre Ingewahrsamsnahme zur Identitätsfeststellung nach dem neuen Polizeigesetz zurückgewiesen. Die Aktivisten hatten sich die Fingerkuppen mit Sekundenkleber verklebt und weigerten sich, Angaben zu ihren Personalien zu machen. Vor dem LG wollten sie die Rechtswidrigkeit ihrer Ingewahrsamsnahme festgestellt sehen – allerdings ebenfalls ohne ihre Identität preiszugeben. Die Anträge wurden aus prozessualen Gründen als unzulässig verworfen.

LG Braunschweig – Schadensersatz wegen Organspendeskandal: lto.de meldet, dass der Arzt, der im so genannten Organspendeskandal freigesprochen wurde, jetzt Schadensersatz in Millionenhöhe fordert. Wegen der Untersuchungshaft habe er eine gut dotierte Stelle in Jordanien mit einem Monatsgehalt von 50.000 US-Dollar nicht antreten können, sagte der Chirurg am Freitag vor dem LG Braunschweig. Insgesamt fordert der Mediziner gut 1,2 Millionen Euro vom Land Niedersachsen.

VG Potsdam – Streit um Hohenzollern-Vermögen: Im FAZ-Einspruch erläutert der Rechtshistoriker Heinz Holzhauer das "Gesetz über die Vermögensauseinandersetzung zwischen dem Preußischen Staat und den Mitgliedern des vormals regierenden Preußischen Königshauses" vom 20. Oktober 1926 und dessen Bedeutung für die jetzige Auseinandersetzung um eine Rückgabe von früherem Vermögen des Hohenzollernhauses an Prinz Georg Friedrich von Preußen, dem Ururenkel des letzten preußischen Kaisers.

Recht in der Welt

Schweiz – Richterwahlen: Die Rechtsprofessorin und frühere Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff erläutert auf verfassungsblog.de das System der Richterwahl in der Schweiz und die aktuelle Diskussion um mögliche Reformen. In der Schweiz ist es üblich, auch Berufsrichter jeweils nur für kurze Amtszeiten von einigen Jahren zu bestellen, heißt es im Text. Und während nicht wenige Länder eine Parteimitgliedschaft amtierender Richter generell oder zumindest für die Richter des jeweiligen Verfassungsgerichts verbieten, ist in der Schweiz eine Parteimitgliedschaft de facto Voraussetzung der Wählbarkeit zum Bundesgericht. Eine "Justiz-Initiative" will die Rechtslage nun im Wege der Volksgesetzgebung ändern.

Großbritannien – Justizsystem: Die Mo-FAZ (Gina Thomas) berichtet im Feuilleton über eine Rede des kürzlich in den Ruhestand verabschiedete Richters des Obersten Gerichtshofs Jonathan Sumption, in der er die schleichende Machtausdehnung der Judikative als eine Bedrohung des fragilen Konstrukts der Demokratie kritisiert. Unter dem Sammeltitel "Recht und der Niedergang der Politik" kennzeichnet er in fünf Vorträgen die Verschiebungen im komplizierten Verhältnis von Recht und Politik und beklagt die Neigung, eine rechtliche Lösung für jedes menschliche Dilemma zu suchen, statt strittige moralische Fragen, wie etwa die Beihilfe zur Selbsttötung, dem parlamentarischen Prozess zu überlassen, heißt es in der FAZ.

USA – Prozessfinanzierer Burford: Wie sich die derzeitigen finanziellen Schwierigkeiten des amerikanischen Prozessfinanzierer Burford auch in Deutschland auswirken könnten, beschreibt Marcus Jung in einem Kommentar der Sa-FAZ. Burford ist hierzulande der größte Finanzierer und unter anderem in den Kundenklagen gegen Volkswagen oder im Streit mit dem LKW-Kartell tätig. Es brauche jetzt mehr als die angekündigten Finanzspritzen, damit nicht die Verbraucher ihr Vertrauen verlören und insbesondere den VW-Klagen die Puste ausgehe, so Jung.

Brasilien – Einstellung des Verfahrens gegen Neymar: Das Verfahren wegen Vergewaltigung gegen den brasilianischen Fußballprofi Neymar ist eingestellt worden. Das meldet lto.de. "Die polizeilichen Ermittlungen haben nicht genug Beweise dafür gebracht, dass es eine Vergewaltigung gab", wird die zuständige Staatsanwältin Flávia Merlini zitiert. Ein brasilianisches Model hatte Neymar vorgeworfen, sie Mitte Mai in Paris in angetrunkenem Zustand und mit Anwendung von Gewalt zum Sex gezwungen zu haben.

Sonstiges

Interview mit Hans Herbert von Arnim: Die Sa-Welt (Andrea Siebel) hat mit dem Verfassungsrechtler und Parteienrechtler Hans Herbert von Arnim über das derzeitige System der Parteienfinanzierung, das Wahlrecht und eine Entfremdung des Bürgers von der Politik, die damit zusammenhängen könnte, gesprochen.

Presserecht: Am Beispiel des Rappers "Kollegah" erläutert die Mo-SZ (Kathrin Müller-Lancé), wie mittels so genannter "presserechtlicher Informationsschreiben" gegen unliebsame Presseberichterstattung vorgegangen wird. Bezug genommen wird im Artikel auch auf die jüngst präsentierte Studie der Otto-Brenner-Stiftung zu präventiven Anwaltsstrategien gegenüber Medien, die allerdings zu dem Ergebnis kommt, dass anwaltliche Tätigkeit der Gegenseite gemeinhin nicht zu einer Einschüchterung, wohl aber zu erhöhter journalistischer Sorgfalt führt.

Patentstreit um Gräserart "Teff": In einem Interview mit lto.de (Anja Hall) erläutert Rechtsanwalt Anton Horn, warum er eine Nichtigkeitsklage gegen die deutsche Patenteintragung für die Gräserart "Teff", die aus Afrika stammt und dort als Grundnahrungsmittel verwendet wird, eingelegt hat. Teff-Mehl ist glutenfrei und reich an Proteinen, Vitaminen sowie Mineralien – damit ist es auch interessant für Menschen mit Glutenunverträglichkeit in Europa.

"Schülergerichte": lto.de (Annelie Kaufmann) berichtet über Schülergerichte oder Teen Courts, in denen Schüler, in der Regel auf Initiative der Polizei oder der Staatsanwaltschaft, mit jugendlichen Straftätern sprechen und ggf. erzieherische Maßnahmen vorschlagen. Hat der beschuldigte Jugendliche teilgenommen und die vereinbarte Aufgabe erfüllt, kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren gemäß § 45 Abs. 2 Jugendgerichtsgesetz einstellen.

"Werkswohnungen": Den arbeits- und steuerrechtlichen Umgang mit Mitarbeiterwohnungen erklären die Rechtanwältinnen Marion Bernhard und Elin Reiter auf lto.de. Denn um für Arbeitnehmer attraktiver zu werden, bieten Unternehmen ihren Mitarbeitern wieder verstärkt Dienstwohnungen an.

Weimarer Reichsverfassung: Martin Rath widmet sich auf lto.de der unprätentiösen Unterzeichnung der Weimarer Reichsverfassung vor einhundert Jahren. Der Grund lag darin, dass sich der amtierende Reichspräsident Friedrich Ebert seinerzeit in den Ferien befand und die Ausfertigung daher im thüringischen Schwarzburg erfolgte. So sympathisch nüchtern es gewesen war, die Verfassung ohne Pomp in der Ferienfrische auszufertigen, sagt Martin Rath, Respekt konnten sich die Urheber dieses großartigen juristischen Dokuments damit nicht verschaffen.

Gute Gesetzgebung: Wie Regierung und Parlament versuchen, die Gesetzgebung in sprachlicher Hinsicht zu verbessern beschreibt die FAS (Frank Pergande). Mittlerweile gibt es dazu mehrere Redaktionsstäbe, durch deren Endredaktion Gesetzentwürfe laufen.

Nur Bares ist Wahres? Angesichts der entsprechenden Diskussion im Nachbarland Österreich über eine Aufnahme einer Bargeldgarantie in die Verfassung, befasst sich die Sa-FAZ (Franz Nestler) mit den Pro- und Contra-Argumenten hierzulande. Die FDP beispielsweise hatte bereits 2016 gefordert, dass der Schutz des Bargeldes im Grundgesetz verankert gehört. Auf der anderen Seite ist eine Beschränkung ohnehin rechtlich nicht möglich, sagt zumindest der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichtes Hans-Jürgen Papier. "Dies wären nicht gerechtfertigte Eingriffe in Freiheitsrechte, nämlich in die Vertragsfreiheit und Privatautonomie", wird er im Artikel zitiert.

Dresscode – Promis vor Gericht: Wenn sich Promis vor Gericht verantworten müssen, wird der Look ganz besonders sorgfältig geplant, heißt es in der WamS (Silvia Ihring) und illustriert wird der Beitrag auch mit Beispielen: Die Rapperin Cardi B., die wegen Körperverletzung angeklagt war, die Schauspielerin Winona Ryder, die wegen Diebstahls vor Gericht stand und Lindsay Lohan, die bereits vielfach wegen Drogenkonsums mit der Strafverfolgung zu tun hatte.

 

 

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lto/pf

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 10. bis 12. August 2019: Abschaffung des Soli / Stiefkindadoption für Unverheiratete / Diskussion um Richterwahl in der Schweiz . In: Legal Tribune Online, 12.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36981/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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