Die juristische Presseschau vom 1. bis 3. Juni 2019: Dia­log­pro­zesse zum EU-Urhe­ber­recht / E-Evi­dence-Ver­hand­lungen mit USA / Deutsch­land ver­passt Umset­zung zu Pflicht­ver­tei­di­gung

03.06.2019

Die Bundesregierung hofft, beim neuen EU-Urheberrecht doch ohne Uploadfilter auszukommen. Außerdem in der Presseschau: Die Kommission berät über Verhandlungen zum Zugriff auf E-Evidence und Deutschland verpasst die Anpassung des Pflichtverteidigerrechts.

Thema des Tages

EU-Urheberrecht: Wie die Mo-taz (Christian Rath) berichtet, will die Bundesregierung über den jetzt von der EU-Kommission eingeleiteten Dialogprozess eine Umsetzung der kürzlich verabschiedeten EU-Urheberrechtsrichtlinie ohne die umstrittenen Uploadfilter ermöglichen. Bereits in der nächsten Woche soll ein Workshop von Kommission und Mitgliedstaaten stattfinden, in den dann folgenden Dialogprozess sollen die Plattformen (z.B. Youtube und Facebook), die Rechteinhaber (zB. Platten- und Filmfirmen, Verwertungsgesellschaften) sowie Nutzerorganisationen einbezogen werden. Ziel ist letztlich die Verabschiedung von Leitlinien der Kommission für die Umsetzung der Richtlinie.

Rechtspolitik

Pflichtverteidigung: Eigentlich sieht eine EU-Richtlinie vor, dass mittellose Beschuldigte spätestens bei der Befragung durch die Polizei Anspruch auf einen Pflichtverteidiger haben. Allerdings hat Deutschland, so meldet es der Spiegel (Dietmar Hipp), die Richtlinie noch nicht umgesetzt, obwohl die Frist dafür bereits am 25. Mai abgelaufen ist. Grund ist der Widerstand der Länder, die hohe Kosten befürchten.

Messerverbote: Wie der Spiegel (Jan Friedmann) meldet, fürchtet der Freistaat Bayern um seine Brotzeit, sollte die von Niedersachsen und Bremen initiierte Verschärfung des Waffenrechts tatsächlich in Kraft treten. Die beiden Bundesländer wollen, des es künftig verboten wird, Messer mit einer feststehenden Klinge ab mehr als sechs (bislang zwölf) Zentimetern mitzuführen. Obwohl eine Ausnahme für die Brauchtumspflege bestehen bleiben soll, meint der Leiter der bayerischen Staatskanzlei, Florian Habermann, das von dem Verbot auch Brotzeitmesser betroffen werden sein könnten.

Straffreiheit für das "Containern": Hamburg will das so genannte "Containern", die Suche nach noch verzehrbaren Lebensmitteln in Abfallcontainern, straffrei stellen und einen entsprechenden Vorstoß auf der Justizministerkonferenz, die in dieser Woche stattfindet, vorstellen. Darüber berichten u.a. die Sa-FAZ (Hendrik Wieduwilt) und die Sa-taz (Anja Krüger). Bisher gilt das als Diebstahl. Laut Mo-taz (Claudius Prösser) haben die Justizressorts in Berlin und Brandenburg bereits Unterstützung für den Hamburger Vorstoß signalisiert.

In einem separaten Kommentar spricht sich Hendrik Wieduwilt (Sa-FAZ) dagegen aus, Abfallcontainer zu einem "rechtsfreien Raum" zu machen. Das plakative Strafrecht sei Transportmittel für eine wichtige Botschaft: Schmeißt nicht so viel Essen weg, meint Wieduwilt.

Ausreisepflicht-Durchsetzungsgesetz: An dem von Horst Seehofer vorgelegten Ausreisepflicht-Durchsetzungsgesetz (auch "Geordnete-Rückkehr-Gesetz") mehrt sich die Kritik. Wie die Sa-SZ (Bernd Kastner) berichtet, warnen nicht nur 22 zivilgesellschaftliche Organisationen, sondern jetzt auch die Gewerkschaft der Polizei vor den geplanten Neuregelungen. So wird befürchtet, dass, wenn wie vorgesehen, Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Staat Schutz erhalten haben, sich aber trotzdem in Deutschland aufhalten, keine staatliche Hilfe mehr erhalten, dies zu einer Steigerung der Kriminalität führen werde. Die Gewerkschaft kritisiert auch, dass dem Staat künftig die Abschiebung eines Straftäters wichtiger sein soll als dessen Strafverfolgung, heißt es im Artikel. Dies widerspreche nicht nur dem Interesse der Öffentlichkeit an einer Ahndung der Taten, es laufe auch dem der Opfer zuwider, dem jede Möglichkeit genommen werde, "Sühne für das Erlittene zu erlangen".

Verfassungsschutzgesetz: Die Sa-SZ (Ronen Steinke) stellt nun vertieft einen Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums vor, in dem u.a. vorgesehen sein soll, dass künftig eine Online-Durchsuchung auch gegen Journalisten eingesetzt werden kann. Die Entscheidung für eine Online-Durchsuchung bei Journalisten solle künftig nicht ein Richter treffen, sondern ein Geheimdienst, der nur durch Geheimgremien kontrolliert wird - und der auch nicht konkrete Straftaten sucht, sondern allgemein politisch extremistische "Bestrebungen", so die SZ. Journalistenverbände warnen vor der Reform des Verfassungsschutzgesetzes, berichtet netzpolitik.org (Markus Beckedahl) Der vorliegende Entwurf für das Gesetz würde den Schutz der Pressefreiheit von Redaktionen und Journalisten beschneiden und den Geheimdiensten mehr Überwachungsbefugnisse bringen. Zeit.de meldete am Freitag, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer angekündigt habe, den Gesetzentwurf überarbeiten zu wollen. Er wolle Terroristen und Extremisten bekämpfen, keine Journalisten, wird der Minister zitiert.

E-Evidence-Verhandlungen mit USA: Am Donnerstag werden die EU-Justizministerinnen und -minister über das Mandat für die Verhandlungen mit den USA über ein Abkommen über den Zugang zu elektronischen Beweismitteln beraten. Die Mo-taz (Christian Rath) erläutert, warum Deutschland das geplante Abkommen kritisch sieht. Ein Grund dafür sind die noch nicht abgeschlossenen Beratungen über eine europäische EU-Evidence-Verordnung, die klären soll, wie innerhalb der EU der Zugang zu elektronischen Beweismitteln ausgestaltet werden soll. Auch hier hatte die frühere Bundesjustizministerin Katarina Barley an mehreren Punkten deutliche Kritik geäußert.

Kinderrechte im Grundgesetz: Die Grünen wollen in dieser Woche einen Antrag in den Bundestag einbringen, in dem sie die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz fordern. Christian Rath (Mo-taz) meint, dass es sich dabei nur um Symbolpolitik ohne praktische Auswirkungen handelt. "Die Grünen wollen mit ihrem Vorschlag eine Lücke schließen, die es nicht gibt, mit Mitteln, die nichts bewirken." Das sei durchaus die Art von "Wohlfühlpolitik", die ihnen zurzeit häufiger vorgeworfen werde.

"Anwalt für das Kind": Die Mo-SZ (Rainer Stadler) stellt den früheren Familienrichter Hans-Christian Prestien vor, der sich seit Jahrzehnten dafür einsetzt, dass Kindern in Familienverfahren ein eigener Rechtsanwalt bzw. eine eigene Rechtsanwältin zur Seite gestellt wird. Prestien schwebt, so heißt es im Text, ein multiprofessionelles Team für Kinder an jedem Landgericht vor, besetzt nicht nur mit Juristen, sondern auch Psychologen, Pädagogen und Kinderärzten, das allein den Interessen des Kindes verpflichtet ist, unabhängig von Gericht oder Jugendamt.

Transparenzregister: Rechtsprofessor Ulrich Noack teilt auf Handelsblatt-Rechtsboard mit, dass das vom Bundesanzeiger geführte Transparenzregister künftig der Öffentlichkeit offenstehen soll. Das sehe ein Gesetzentwurf aus dem Bundesfinanzministerium vor. Bislang ist die Einsichtnahme nur bestimmten Behörden und Personen, die ein berechtigtes Interesse haben, möglich. Das Transparenzregister dokumentiert "wirtschaftliche Berechtigte" an juristischen Personen und eingetragenen Personengesellschaften.

Transparenzgesetz für Berlin: In ihrem Berlinteil berichtet die Mo-taz (Jonas Wahmkow) über eine Initiative, die per Volksentscheid ein Transparenzgesetz für die Hauptstadt fordern will. Die Initiative hat einen 64-seitigen Gesetzentwurf erarbeitet, der parallel zu den Bundestagswahlen im Herbst 2021 abgestimmt werden soll, heißt es im Artikel. Vorgesehen ist darin, dass Behörden nicht erst auf Anfrage Informationen herausgeben müssen, sondern, dass alle staatlichen Institutionen, einschließlich landeseigener Unternehmen und Verfassungsschutz, sämtliche anfallenden Informationen in einem zentralen und frei zugänglichen Transparenzportal online veröffentlichen.

Führungswechsel im BMJV: Der frühere Hauptgeschäftsführer des Deutschen Anwaltvereins Cord Brügmann stellt auf lto.de dar, welche Erwartungen er an den/die neue Justizminister/in hat. Dazu gehört die Erhöhung der Anwaltsgebühren und außerdem fordert er eine Untersuchung darüber, wo in der Gesellschaft ein unbefriedigter Rechtsberatungsbedarf existiert (Unmet-Legal-Needs-Studie). Hintergrund sind nicht zuletzt neue Dienstleister auf dem Rechtsmarkt und damit zusammenhängender möglicher Regelungsbedarf.

Justiz

EuGH zur Unabhängigkeit deutscher Staatsanwälte: In der vergangenen Woche hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass deutsche Staatsanwälte nicht ausreichend unabhängig sind, um Europäische Haftbefehle auszustellen. Im Interview mit dem Spiegel (Dietmar Hipp) erläutert der Münchener Rechtsprofessor Helmut Satzger, warum der Ausschluss politischer Einflussnahme wichtig ist bei Entscheidungen über Europäische Haftbefehle.

Heribert Prantl (Sa-SZ) meint, dass die Entscheidung des EuGH "hart, richtig und zukunftsweisend" ist. Es sei ein "präventives Urteil": Am deutschen Rechtsstaat werde ein Exempel statuiert, um massive Rechtsstaatgefährder zu warnen. Rechtsprofessor Bernd von Heintschel-Heinegg meint auf beck-community, dass es sich jetzt lohne, die Diskussion um eine Reform des Weisungsrechts wieder aufzunehmen.

BSG – Selbstständigkeit von Honorarärzten: Das Bundessozialgericht wird am Dienstag eine Entscheidung verkünden, in der es darum geht, ob Honorarärzte tatsächlich selbstständig oder doch nur scheinselbstständig sind, wenn sie in Krankenhäusern arbeiten. Kommen die Richter zu dem Ergebnis, dass im zu entscheidenden Verfahren ein Fall von Scheinselbständigkeit vorliegt, könnten auf die betroffenen Kliniken erheblich Nachzahlungen an die Sozialkassen zukommen. Die Mo-FAZ (Britta Beeger/Marcus Jung) erläutert den zugrundeliegenden Fall und die Hintergründe.

OLG München zu Zahlungsabwicklung bei Online-Glücksspiel: Rechtsanwalt Claus Hambach fordert auf lto.de, dass die Länder endlich einheitliche Regeln für das Glücksspiel schaffen. Hintergrund ist eine Entscheidung des Oberlandesgerichtes München, die klargestellt hat, dass Online-Spieler ihre Verluste nicht einfach bei den Banken zurückfordern können.

LG Frankfurt/Main – Datenmissbrauch bei Eintracht Frankfurt: Die International Soccer Bank, Betreiberin einer großen Fußballdatenbank, hat Klage gegen Eintracht Frankfurt eingereicht. Gegen den Fußballverein steht der Vorwurf der Urheberrechtsverletzung und des Datenmissbrauchs im Raum, berichtet lto.de. Mehrere tausend Mal soll sich der Club Zugriff auf sensible Daten des Rivalen RB Leipzig verschafft haben.

LG Hamburg – Wedel-Berichterstattung-Anwaltskosten: lto.de (Pia Lorenz) berichtet über ein Verfahren vor dem Landgericht Hamburg, in dem derzeit über die Kosten des anwaltlichen Zeugenvertreters im Ermittlungsverfahren gegen den Regisseur Dieter Wedel wegen möglicher Sexualstraftaten gestritten wird. Es geht darum, ob die Wochenzeitung Die Zeit, wie von dem Anwalt behauptet, tatsächlich zugesagt hat, diese Kosten zu übernehmen.

Recht in der Welt

Spanien – MdEP Carles Puigdemont: Der Spiegel (Helene Zuber) erläutert das Dilemma, vor dem der frühere katalanische Ministerpräsident Carles Puidgemont steht, will er sein Mandat im EU-Parlament ausüben. Denn dazu muss Puidgemont bis zum 17. Juni persönlich seine Ernennungsurkunde in Madrid abholen. Dort droht ihm allerdings die Verhaftung wegen der Anklage der Rebellion.

USA – Anklage gegen Julian Assange: In einem Gastbeitrag in der FAZ befürchtet der amerikanische Rechtsanwalt Daren Firestone eine Bedrohung der Pressefreiheit, sollte es tatsächlich zu einem Verfahren gegen Julian Assange wegen der Weitergabe von Geheiminformationen kommen. Ausschlaggebend wird dabei sein, ob Assange als Journalist, der seinen Beruf ausgeübt hat, angesehen wird.

USA – L.A. verklagt Monsanto: Wie die Sa-FAZ (Brigitte Koch) und lto.de melden, hat der Landkreis Los Angelos beim zuständigen kalifornischen Bundesbezirksgericht Klage wegen angeblich vor Jahrzehnten verursachter Umweltschäden durch Monsanto eingereicht. Bayer teilte auf Nachfrage der FAZ mit, die Klage noch zu prüfen. Der Konzern gehe aber davon aus, dass die Vorwürfe haltlos seien und kündigte an, sich energisch verteidigen zu wollen.

Österreich – "Ehe für Alle": Universitätsassistentin Hannah Mautner beschreibt auf juwiss.de den Weg Österreichs von der "eingetragenen Lebenspartnerschaft" bis hin zur "Ehe für Alle".

Juristenausbildung

Referendarstation: Rechtsreferendar Lukas Kleinert erzählt auf lto.de von seinen Erfahrungen beim Auswärtigen Dienst der EU

Sonstiges

Ein Jahr DSGVO: Die Mo-FAZ (Marcus Jung) blickt auf ein Jahr DSGVO zurück und hat sich dafür mit dem Compliance-Chef von Daimler unterhalten. Olaf Schick hält in der praktischen Rückschau des letzten Jahres die in der DSGVO vorgesehene Form der reformierten Einwilligung für "vollkommen richtig". "In jeder unserer Diskussionen vor einer Anpassung einer Erklärung steht die Perspektive des Kunden im Mittelpunkt", wird er zitiert.

Cum-Cum-Erstattungen: Laut lto.de will sich das Land Nordrhein-Westfalen das Geld, das Unternehmen durch die so genannten Cum-Cum-Geschäfte erlangt haben, zurückholen. Das nordrhein-westfälische Finanzministerium rechne im Zuge der Aufklärung umstrittener Aktien- und Steuerdeals mit Mehreinnahmen in dreistelliger Millionenhöhe, heißt es bei lto.de.

beA-Probleme: Auch in der vergangenen Woche gab es wieder Probleme mit dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach. Laut lto.de (Pia Lorenz) war am Mittwoch eine Anmeldung im System überhaupt nicht möglich und am Freitag erhielten einige Anwender Fehlermeldungen.

"Der Würger von Regensburg": Die Sa-SZ (Andreas Glas) erinnert an einen Kriminalfall von vor 25 Jahren. Damals gestand der so genannte "Würger von Regensburg" sieben Morde. Der mittlerweile 80-Jährige verbüßt bis heute seine Strafe im Gefängnis in Straubing.

Rechtsgeschichte – "Stalin-Lumpen-Fall: Martin Rath erinnert auf lto.de an einen Fall aus der Anfangszeit der Bundeswehr, in dem über die "Würdigkeit" beziehungsweise "Unwürdigkeit" eines früheren Wehrmachtssoldaten, in der Bundeswehr zu dienen, zu entscheiden war.

 

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lto/pf

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 1. bis 3. Juni 2019: Dialogprozesse zum EU-Urheberrecht / E-Evidence-Verhandlungen mit USA / Deutschland verpasst Umsetzung zu Pflichtverteidigung . In: Legal Tribune Online, 03.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35713/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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