Die juristische Presseschau vom 27. bis 29. April 2019: Stopp für NPD-Wahl­wer­bung / Ab­trei­bungs­gegner darf benannt werden / Ent­ste­hung der Rechts­bruch­these 2015

29.04.2019

Das BVerfG erlaubt dem ZDF, eine NPD-Wahlwerbung abzulehnen. Außerdem in der Presseschau: Prominenter Abtreibungsgegner muss damit leben, dass sein Name genannt wird und Untersuchung zur Herkunft der Rechtsbruchthese nach 2015 liegt vor.

Thema des Tages

BVerfG – Wahlwerbespot der NPD: Am Samstag hat das Bundesverfassungsgericht einen Eilantrag der NPD, mit dem die Ausstrahlung eines Wahlwerbespots begehrt wurde, abgelehnt. Die Partei wollte eine Wahlwerbung schalten, in der es hieß, "Deutsche würden seit der willkürlichen Grenzöffnung 2015 und der seither unkontrollierten Massenzuwanderung fast täglich zu Opfern ausländischer Messermänner". Das ZDF lehnte die Ausstrahlung des Werbespots in den dafür vorgesehenen Zeitfenstern am 29. April und 15. Mai 2019 ab, da dieser den Straftatbestand der Volksverhetzung erfülle, und hat dabei von den Karlsruher Richtern, wie zuvor schon von den Verwaltungsgerichten, Recht bekommen. Der Tsp (Kurt Sagatz) und die Mo-SZ erläutern den Fall.

Rechtspolitik

Kommunalwahlrecht Nordrhein-Westfalen: Vor wenigen Tagen hat der niedersächsische Landtag beschlossen, die Stichwahl bei (Ober-) Bürgermeister- und Landratswahlen abzuschaffen. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter Sven Jürgensen und Jerome Schröder beleuchten auf verfassungsblog.de die verfassungsrechtlichen Fragen, die sich dabei stellen, und die Aussichten der von der Opposition bereits angekündigten Klage vor dem Landesverfassungsgericht.

Wahlrecht Bundestag: Einem Bericht auf zeit.de zufolge werfen Grünen- und FDP-Fraktion der Union vor, eine Reform des Wahlrechts mit dem Ziel eines kleineren Bundestags zu blockieren. "Der Spielraum für eine solche Wahlrechtsreform ist da, und den müssen wir jetzt nutzen. Bislang war die Union jedoch nicht bereit, sich auf echte Lösungen einzulassen", wird die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann, zitiert. Allerdings wurde der jüngste Vorschlag von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble von FDP, Linke und Grüne und auch vom Koalitionspartner SPD abgelehnt.

Gemeinnützigkeit: Nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofes zur Gemeinnützigkeit des globalisierungskritischen Vereins Attac spricht sich in der Mo-FAZ die politische Geschäftsführerin von Lobbycontrol, Imke Dierßen, für eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts aus. Bundestag und Bundesregierung müssten endlich Rechtssicherheit schaffen und gesetzlich klarstellen, dass sich gemeinnützige Organisationen politisch einmischen dürfen, ohne steuerliche Nachteile befürchten zu müssen. Das mache unsere Demokratie lebendig und fördere ausgewogene und am Gemeinwohl orientierte politische Entscheidungen, sagt die Autorin.

Gesetze mit schönen Namen: Dem Trend, Gesetze mit wohlklingenden Namen zu versehen, widmet sich die Mo-SZ (Kristiana Ludwig). Mittlerweile kommen "Gute", "Starke" und "Faire" Gesetze nicht mehr nur aus dem Giffey-Ministerium, sondern Gesundheits- und Innenministerium haben nachgezogen.

Justiz

BVerfG – Suizidhilfe: In einem Kommentar erläutert Waltraud Schwab (Sa-taz) die Problemgemengelage bei der Frage, wer darüber entscheiden sollte, ob Hilfestellung gegeben wird, wenn sich jemand das Leben nehmen will. Die Autorin hofft, dass die Karlsruher Richter eine Entscheidung treffen werden, die nicht unterstellt, dass es bei der Suizidunterstützung ausschließlich ums Geschäftemachen gehe. In einem Gastbeitrag im Feuilleton der Mo-FAZ fordert die Ethikprofessorin Bettina Schöne-Seifert, dass der freie und selbstverantwortliche Suizidwunsch respektiert werden müsse.

BGH – Deutsche Umwelthilfe: In der vergangenen Woche wurde vor dem Bundesgerichtshof die Frage verhandelt, ob die Deutsche Umwelthilfe (DHU) bei Abmahnungen gegen Autohändler rechtsmissbräuchlich handelt. Ein Kfz-Händler wirft der Umwelthilfe unter anderem vor, es unzulässigerweise vorrangig auf finanziellen Gewinn abgesehen zu haben und damit ihre Klageberechtigung zu missbrauchen. Stefan Radomsky (Sa-SZ) findet es richtig, dass der BGH in der Verhandlung signalisiert habe, keinen Rechtsmissbrauch zu sehen. Mit jedem Urteil, das die DUH erwirke, zwinge sie die Politik, sich mit den selbst erlassenen Regeln auseinanderzusetzen. Auch das sei eine Form zivilgesellschaftlichen Protests und eine nützliche, sogar unerlässliche Arbeit für die Demokratie, meint der Autor.

LG Hamburg zur Namensnennung eines Abtreibungsgegners: Wie lto.de meldet, hat das Landgericht Hamburg eine weitere Klage des Abtreibungsgegners Yannik Hendricks abgewiesen, mit der er sich gegen die öffentliche Nennung seines Namens wandte. Hendricks war damit bekannt geworden, Ärzte, die Abtreibungen anbieten, auf der Grundlage des umstrittenen § 219a Strafgesetzbuch (StGB) anzuzeigen. Das Gericht war nun, wie zuvor auch schon das Landgericht Düsseldorf in einem anderen Verfahren, der Auffassung, dass Hendricks selbst das Interesse der Öffentlichkeit geweckt habe und deshalb sein Persönlichkeitsrecht hinter dem öffentlichen Interesse an der Berichterstattung zurücktrete.

VG Lüneburg zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis: Das Verwaltungsgericht Lüneburg hat die Entfernung einer Lehrerin aus dem Beamtenverhältnis bestätigt, die unrichtige Gesundheitszeugnisse verwendet hatte, um ihre Tochter zur Aufzeichnung einer Fernsehshow ("Dschungelcamp") nach Australien zu begleiten. Der "schwere Persönlichkeitsmangel", der in ihrem Verhalten zutage getreten sei, ist nach Ansicht der Richter nicht mit der Vorbildfunktion einer Lehrerin in Führungsposition in Einklang zu bringen. lto.de und Sa-SZ berichtet über den Fall.

LG Gera zu fehlerhaftem Durchsuchungsbeschluss: Das Landgericht Gera hat laut lto.de (Markus Sehl) Mitte April einen Durchsuchungsbefehl aufgehoben, der von dem umstrittenen Geraer Staatsanwalt Martin Zschächner beantragt wurde. Ein junger Mann wurde verdächtigt, als Mitglied der "Linksjugend solid Erfurt" auf Facebook für eine Veranstaltung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK geworben zu haben. Allerdings war der Betroffene – und das hatte sich auch eindeutig aus den Akten ergeben – lediglich im Verein "Naturfreundejugend Erfurt" aktiv.

Recht in der Welt

EGMR-Richterin Angelika Nussberger: Christian Rath porträtiert in der Mo-taz die Vizepräsidentin des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, die, nachdem ihre Amtszeit Ende des Jahres ausläuft, in die Venedig-Kommission des Europarates wechseln wird. Sie folgt damit auf Ex-Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem, der zwölf Jahre Mitglied dieser Kommission war.

Rumänien – Rechtsstaatsdefizite: Weiterhin Kritik übt die Europäische Kommission an der jüngsten Justizreform in Rumänien, wie die Sa-FAZ (Hendrik Kafsack) berichtet. Die Abmilderung des Strafrechts im Fall von Korruption könne zusammen mit einer Reihe anderer Neuerungen in dem EU-Land dazu führen, dass die Unabhängigkeit der Justiz nicht mehr gewährleistet sei, wird Justizkommissarin Vera Jourová zitiert.

IStGH – Verfahren wegen Kriegsverbrechen in Afghanistan: Die Sa-SZ (Ronen Steinke) widmet sich im Nachgang der Einstellung der Ermittlungen wegen möglicher Kriegsverbrechen in Afghanistan der wachsenden Kritik am Internationalen Strafgerichtshof. Die "Qualität der Richter" sei womöglich eines der Hauptprobleme, sagte beispielsweise der Völkerrechtler Kai Ambos. Viele Richter, die nach Den Haag entsandt werden, seien zuvor Diplomaten gewesen.

USA – Rechtsanwalt Michael Avenatti: Die Sa-SZ (Jürgen Schmieder) porträtiert den US-amerikanischen Rechtsanwalt Michael Avenatti, der die Pornodarstellerin Stormy Daniels gegen Präsident Donald Trump vertrat, eigene Ambitionen auf das Präsidentenamt hatte und sich nun selbst wegen zahlreicher Bestechungs-, Betrugs- und Steuerhinterziehungsvorwürfe vor Gericht verantworten muss.

USA – Urteil gegen Betrügerin: Die Sa-SZ (Johanna Bruckner) und die Sa-FAZ (Christiane Heil) berichten über die Verurteilung von Anna Sorokin, die als vermeintliche Erbin eines Millionenerbes Hotels, Banken und Freunde im großen Stil betrogen hatte. Das Strafmaß stehe noch aus, Sorokin drohten bis zu 15 Jahre Haft, so die SZ.

Sonstiges

Fischer-Kolumne: Ex-BGH-Richter Thomas Fischer befasst sich in seiner Kolumne auf spiegel.de u.a. kritisch einem Beitrag des Historikers Michael Wolffsohn, der in der Neuen Zürcher Zeitung erklärte: "Die Vorrangstellung der Justiz schadet der Demokratie." Außerdem betrachtet er den Umgang mit echten oder vermeintlichen Parallelgesellschaften.

Europäisches Urheberrecht: In einem Gastbeitrag für lto.de erläutert Rechtsprofessor Michael Beurskens, wie sich das Urheberrecht durch die Digitalisierung verändert und gleichzeitig mehr und mehr Bedeutung für den normalen Bürger bekommen hat.

Kirchensteuerrecht: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Sina-Haydn Quindeau widmet sich auf juwiss.de der Frage, ob die italienische Kultussteuer Vorbild für eine Reform auch in Deutschland sein könnte. Das italienische Modell zeichne sich dadurch aus, dass von allen steuerpflichtigen Bürgern acht Promille der Einkommensteuer als Kultussteuer eingezogen werden, erläutert die Autorin. Diese können in ihrer Steuererklärung angeben, wem sie diesen Betrag zukommen lassen wollen, entweder dem Staat für kulturelle Zwecke oder einer der Kultusgemeinschaften, mit denen der Staat einen entsprechenden Vertrag geschlossen hat. Quindeau meint in ihrem Fazit, dass das italienische Modell zwar Vorteile biete, diesen aber zahlreiche Einschränkungen in die Freiheit des Einzelnen entgegenstünden.

EU-Justizbarometer: In der vergangenen Woche hat die EU-Kommission ihr Justizbarometer 2019 veröffentlicht. Danach würden in zwei Dritteln der Mitgliedstaaten die Bürger die Unabhängigkeit der Justiz zwar besser als 2016 beurteilen, in etwa drei Fünfteln der Mitgliedstaaten werde die Unabhängigkeit der Justiz jedoch zunehmend skeptischer beurteilt, so auch in Deutschland, heißt es im Artikel auf lto.de (Annelie Kaufmann). In einem Artikel der Sa-SZ (Karoline Meta Beisel) wird konkret auf die schlechte beziehungsweise sich verschlechternde Situation in Ungarn und Polen hingewiesen. Aber auch in der Slowakei, in Bulgarien und in Italien seien die Bürger von ihrer Justiz offenbar nicht überzeugt.

Gesetz zum Dritten Geschlecht: Wie der Spiegel berichtet, wird das Gesetz zum sogenannten dritten Geschlecht offenbar gegen die Absicht des Gesetzgebers von transsexuellen Personen genutzt, um ihre Geschlechtsangabe zu ändern. Seit Anfang des Jahres hätten 114 Personen in 14 Bundesländern eine Änderung ihres Personenstands von "männlich" zu "weiblich" und 106 Personen von "weiblich" zu "männlich" beantragt. Das Gesetz wurde eigentlich geschaffen, um intersexuellen Menschen, die biologisch weder als Mann noch als Frau einzustufen sind, die Möglichkeit zu geben, das Geschlecht "divers" im Personenstandsrecht anzugeben und ihren Vornamen zu ändern.

Parteienfinanzierung: Der Autobauer Daimler hat vor einigen Tagen angekündigt, die bisherigen Zahlungen an Parteien einzustellen. Die Parteienrechtlerin Sophie Schönberger erläutert im Interview mit der Sa-Welt (Matthias Kamann) aus diesem Anlass das bundesdeutsche Parteienfinanzierungssystem und warum das Bundesverfassungsgericht fordert, dass mindestens die Hälfte der Parteieinnahmen aus nichtstaatlichen Quellen kommen muss.

"Die Zauberlehrlinge": Christian Rath stellt auf lto.de das kürzlich erschienene gemeinsame Buch des verfassungsblog.de-Herausgebers Maximilian Steinbeis und des Deutschlandradio-Chefkorrespondenten Stephan Detjen vor. Rath ist angetan von den Ausführungen der beiden Juristen, die nachzeichneten, wie es nach 2015 zu der These vom Rechtsbruch gekommen ist, nachdem die Bundesregierung entschieden hatte, Flüchtlinge auch weiterhin nicht an der Grenze zurückzuweisen. Vor allem wird dargestellt, wie sich diese These auf den Aufstieg der AfD auswirkte.

Rechtsgeschichte – Recht der Reichswehr: Martin Rath stellt auf lto.de die Dissertation von Patrick Oliver Heinemann zur Rechtsgeschichte der Reichswehr vor, die es nicht verdiene, "im rechtshistorischen Herrgottswinkel einer Fachbibliothek einzustauben".

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/pf

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 27. bis 29. April 2019: Stopp für NPD-Wahlwerbung / Abtreibungsgegner darf benannt werden / Entstehung der Rechtsbruchthese 2015 . In: Legal Tribune Online, 29.04.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35097/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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