Die juristische Presseschau vom 13. bis 15. April 2019: Euro­päi­sches Urhe­ber­recht / BVerfG I: Ink­lu­sives Wahl­recht / BVerfG II: För­de­rung der Selbst­tö­tung

15.04.2019

Heute könnten die urheberrechtlichen Uploadfilter beschlossen werden – oder auch nicht. Außerdem in der Presseschau: Das BVerfG verhandelt zum inklusiven Wahlrecht und über die Zulässigkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung.

Thema des Tages

Europäisches Urheberrecht: Heute soll der EU-Rat abschließend über die neue Urheberrechtsrichtlinie abstimmen. Deutschland hat angekündigt zuzustimmen, allerdings will die zuständige Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) eine Protokollnotiz hinzufügen, nach der bei der nationalen Umsetzung auf die umstrittenen Uploadfilter verzichtet werden soll. Wie taz.de (Christian Rath) und netzpolitik.org (Markus Beckedahl) berichten, gibt es dagegen jedoch Widerstand aus der Union. Eine Einigung lag laut Mo-FAZ (Hendrik Wieduwilt), Mo-taz (Tanja Tricarico) und Hbl (Heike Anger/Eva Fischer), die jeweils noch einmal die bisherige Diskussion zusammenfassen, auch am gestrigen Sonntag noch nicht vor. Daher könnte es jetzt dazu kommen, dass Deutschland sich enthält und die Richtlinie letztlich doch noch scheitert, zumal auch einige andere Mitgliedstaaten angekündigt haben sollen, gegen sie zu stimmen, wie die Mo-SZ (Karoline Meta Beisel) berichtet.

Tanja Tricarico (Mo-taz) spricht sich für einen Neustart aus. Auch wenn das Urheberrecht eine Reform brauche, habe das Hickhack zumindest klar gemacht, dass es in der Form, wie in der EU-Vorlage vorgeschlagen, nicht gehe.

EU-Whistlebowerschutz: Die Mo-taz (Svenja Bergt) hat sich mit Annegret Falter vom Whistleblower-Netzwerk über den Stand der Arbeiten an der europäischen Whistleblowerschutz-Richtlinie unterhalten.

Cyberkriminalität: Bayern will über den Bundesrat schärfere Strafen für Computerkriminaität durchsetzen. Entsprechend einem vom Freistaat eingebrachten Gesetzentwurf sollen beispielsweise für das Ausspähen von Daten sowie Datenhehlerei die angedrohten Höchststrafen von drei auf fünf Jahren angehoben werden. Wie die Sa-FAZ (Alexander Haneke/Timo Frasch) berichtet, sieht das Bundesjustizministerium allerdings keinen Handlungsbedarf.

Sexualstrafrecht: Das Bundesjustizministerium will das Sexualstrafrecht ausweiten. Strafbar soll künftig auch der Versuch des sogenannten Cyber-Groomings sein, also der Online-Kontaktaufnahme zu Kindern, um sie zu sexuellen Handlungen zu bringen, berichtet die Mo-taz (Christian Rath). Es drohe dann Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

Kinderrechte: Die Grünen fordern, Rechte von Kindern im Grundgesetz zu verankern. Wie der Spiegel (Ralf Neukirch) berichtet, will die Grünen-Fraktion einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Änderung von Artikel 6 Grundgesetz (GG) in den Bundestag einbringen.

Enteignungen: Die FAS (Rainer Hank) erläutert anlässlich der aktuellen Diskussion um die Enteignung bzw. Vergesellschaftung von Immobilienunternehmen, wie Artikel 15 Grundgesetz (GG) in die Verfassung gekommen ist. Mit der Regelung habe die Verfassung mehr als einen Hauch Sozialismus erhalten, wer aber Sozialismus wolle, müsse immer noch eine ordentliche Revolution veranstalten, meint Hank.

“Geordnete-Rückkehr-Gesetz“: Die Länder kritisieren den von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vorgelegten Entwurf für ein sogenanntes "Geordnete-Rückkehr-Gesetz". Wie die Sa-SZ (Ronen Steinke/Jan Bielicki) berichtet, hat der Strafvollzugsausschuss der Länder in einem Beschluss festgestellt, dass der Entwurf gegen die Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union verstoße und den Justizvollzug in einer nicht vertretbaren Weise belasten würde. "Der gemeinsame Vollzug von Abschiebungshaft und Strafhaft in einer Einrichtung wäre im höchsten Maße problematisch und systemwidrig", wird aus dem Papier zitiert.

Wenig Widerspruch gegen die Seehofer-Pläne komme dagegen, wie Gudula Geuther (deutschlandfunk.de) nachdrücklich kritisiert, vom Koalitionspartner SPD und der Kanzlerin. Mit den Vorschlägen werde eklatant gegen Recht und Humanität verstoßen, wer hier nicht mehr widerspreche, habe das Politikmachen in diesem Feld aufgegeben, so Geuther.

Grundsteuer: Bis Ende des Jahres muss die Grundsteuer neu geregelt werden, das hat das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Jahr vorgegeben. Einer der Streitpunkte kreist um die Frage, ob es eine Länderöffnungsklausel geben soll oder gar eine gänzliche Übertragung in die Zuständigkeit der Länder. Letzteres wäre nach Ansicht von Rechtsprofessorin Anna Leisner-Egensperger auf verfassungsblog.de die beste Lösung. Die Chancen dafür stünden allerdings nicht besonders gut, die Länder-Öffnungsklausel dürfte in den Mühlen des politischen Prozesses zerrieben werden und allenfalls als kleine Öffnungsklausel überleben, befürchtet die Autorin.

Justiz

BVerfG – Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung: In dieser Woche verhandelt das Bundesverfassungsgericht über die Zulässigkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung. Die Sa-SZ (Felix Hütten) erläutert im Wissensteil die im Zusammenhang mit Sterbehilfe und Selbsttötung verwandten Begriffe und deren rechtliche Abgrenzung voneinander. Im Feuilleton der Sa-FAZ (Oliver Tolmein) werden die Hintergründe des Verfahrens erläutert, das jetzt in Karlsruhe verhandelt wird.

Der Spiegel (Dietmar Hipp/Beate Lakotta) berichtet, wie der frühere Hamburger Justizsenator Roger Kusch mit einem in der Schweiz gegründeten Verein das derzeit geltende gesetzliche Verbot umgeht.

Heribert Prantl (sz.de) meint, dass die Verfassungsrichter korrigierend eingreifen müssten. Es sei unerträglich, dass ein Arzt, der seinem schwer leidenden Patienten Suizidhilfe leistet, mit einem Bein im Gefängnis stehe.

BVerfG – Inklusives Wahlrecht: In dieser Woche befasst sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage, ob unter Betreuung stehende Menschen bereits an der diesjährigen Wahl zum Europaparlament teilnehmen können. Ende Januar hatte das Karlsruher Gericht den Wahlausschluss für grundgesetzwidrig erklärt. Inzwischen hat der Bundestag ein inklusives Wahlrecht beschlossen – allerdings erst ab Juli, nach der EU-Wahl. Dagegen will die Bundestagsopposition von Grünen, Linke und FDP nun mit einem Eilantrag vorgehen, über den heute verhandelt wird, wie die Mo-SZ (Julian Erbersdobler) berichtet.

EuGH zum Markenrecht an Ökosiegel: Die Rechtsanwälte Carsten Menebröcker und Alexander Stief erläutern auf lto.de eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Es ging um die Nutzung des "Öko-Test"-Siegels in leicht abgewandelter Form durch einen Zahncremehersteller ohne die entsprechende Genehmigung durch Öko-Test. Die Luxemburger Richter stellten fest, dass Testanbieter die unautorisierte Nutzung einer Marke verhindern können, sofern diese bekannt genug ist.

EGMR – Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters: Wie lto.de meldet, hat die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht. Der Verein strebt an, als Weltanschauungsgemeinschaft anerkannt zu werden und damit die Erlaubnis zu erhalten, an Ortseingängen mit Schildern auf Gottesdienstzeiten hinzuweisen.

BGH zum Verbot einer Ferienwohnungsvermietung: Der Bundesgerichtshof hat festgestellt, dass Wohnungseigentümer nicht im Nachhinein eine Vermietung als Ferienwohnung verbieten können. Dafür sei eine Zustimmung aller Eigentümer erforderlich. Ein Mehrheitsbeschluss auf der Grundlage einer sogenannten Öffnungsklausel in der Vereinbarung der Eigentümer genüge dagegen nicht. Über die Entscheidung berichten u.a. die Sa-FAZ (Hendrik Wieduwilt), swr.de (Klaus Hempel), tagesschau.de (Klaus Hempel), Hbl (Susanne Schier) und lto.de.

VG Berlin – Böhmermann-"Schmähgedicht": Im Streit um Äußerungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem Gedicht des Fernsehmoderators Jan Böhmermann über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan hat die Bundesregierung laut lto.de erklärt, die umstrittenen Äußerungen nicht zu wiederholen. Merkel hatte seinerzeit den von Böhmermann in seiner Sendung vorgetragenen Text als "bewusst ehrverletzend" bezeichnet. Böhmermann klagt deshalb vor dem Berliner Verwaltungsgericht. Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) hat unterdessen erfolgreich beim Verwaltungsgericht Berlin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Herausgabe von Informationen über den Stand des Verfahrens gegen die Bundesregierung gestellt. Denn noch am Freitag verweigerte das Bundeskanzleramt sämtlichen anfragenden Medien Informationen über den Prozess und begründete dies pauschal damit, dass es sich zu laufenden Verfahren nicht äußere.

Jost Müller-Neuhof (Tsp) erklärt in seinem separaten Kommentar, dass Böhmermann die Klage gegen die Kanzlerin zu Recht erhoben habe.

StA Gera – "Zentrum für politische Schönheit": Nachdem in der vergangenen Woche der zuständige Staatsanwalt Martin Zschächner von den Ermittlungen gegen das Künstlerkollektiv "Zentrum für Politische Schönheit" abgezogen und das Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Verbindung eingestellt wurde, hat lto.de (Pia Lorenz/Markus Sehl) die Frage aufgeworfen, wie Zschächner, bei dem eine Nähe zur AfD vermutet wird, überhaupt in den Justizdienst aufgenommen werden konnte und wie die Justiz sicherstellt, dass nur verfassungstreue Beamte in den Staatsdienst gelangen. Die FAS (Marlene Grunert) fasst die bisherigen Kenntnisse über Zschächner und sein Vorgehen in früheren Fällen zusammen. Auch der spiegel.de (Arno Frank/Matthias Gebauer u a.) und netzpolitik.org (Markus Reuter) widmen sich ausführlich dem jetzt beendeten Ermittlungsverfahren gegen das "Zentrum für politische Schönheit".

LG Berlin – Idealo vs. Google: Das Vergleichsportal Idealo hat Google verklagt. Der Vorwurf geht dahin, Google missbrauche seine marktbeherrschende Stellung, um die eigenen Peisvergleiche weit oben in der Suchmachine zu platzieren. Die Sa-Welt (Florian Gehm) und das Hbl (Florian Kolf) erläutern ausführlicher, um was es in dem Streit geht.

Recht in der Welt

IStGH – Keine Ermittlungen gegen USA*: Der Internationale Strafgerichtshof hat Ermittlungen wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in Afghanistan abgelehnt. Das meldet die Sa-FAZ. Die Aussichten für erfolgreiche Ermittlungen seien sehr gering, begründete das Gericht die Entscheidung. Amerikanische Bürgerrechtsorganisationen sehen laut einem Artikel in der Mo-taz (Andreas Zumach) einen Zusammenhang zwischen der Einstellung der Ermittlungen und dem von den USA verhängten Einreiseverbot gegen die Chefermittlerin des Gerichts, Fatou Bensouda. Bei den Ermittlungen ging es unter anderem um mögliche Verbrechen durch Angehörige der US-Armee und des Geheimdienstes CIA in Afghanistan sowie in anderen Ländern, in denen die USA ab Mai 2003 Gefangene aus Afghanistan inhaftiert und verhört hatten.

Reinhard Müller (Sa-FAZ) bedauert, dass das Verfahren auch an der mangelnden Zusammenarbeit Afghanistans scheiterte. Staaten, die sich vertraglich an das Haager Regime gebunden hätten, müssten sich nach ihrer Glaubwürdigkeit fragen lassen. Denn ohne die Staaten könne der Gerichtshof nicht tätig werden.

USA – Einwanderungsrecht: Im Gespräch mit dem Spiegel erzählt die amerikanische Rechtsanwältin Jodi Goodwin von ihrer Arbeit. Sie vertrat Familien, die im Zuge eines Abschreckungsprogramms der US-Regierung an der Grenze zu Mexiko von ihren Kindern getrennt wurden.

USA – Whistleblowerrecht: Im Gespräch mit der Mo-taz (Dorothea Hahn) äußert der Whistleblower Daniel Elsberg die Befürchtung, dass Julian Assange in den USA kein faires Gerichtsverfahren zu erwarten hätte. Er vermutet, dass man Assange lebenslänglich hinter Gittern bringen wolle. Er glaube nicht, dass US-Präsident Trump und die Geheimdienst-Community sich mit fünf Jahren zufriedengeben würden.

Sonstiges

Polizeigewalt: Die Sa-FAZ (Marlene Grunert/Timo Steppat) widmet sich dem Thema Gewalt durch Polizeibeamte und erzählt von einem konkreten Fall aus München. Zu Wort kommt auch der Bochumer Rechtsprofessor Tobias Singelnstein, der derzeit ein umfangreiches Forschungsprojekt durchführt und dabei zunächst zahlreiche Opfer befragt hat. Unter anderem über diese geplante Studie berichtet Singelnstein auch im Gespräch mit LTO-Podcast (Peggy Fiebig).

Polizeiliche Kriminalstatistik/§ 219a StGB: Der frühere BGH-Richter Thomas Fischer analysiert in seiner Kolumne auf spiegel.de die Reaktionen auf die Polizeiliche Kriminalstatistik, die kürzlich veröffentlicht wurde, und widmet sich der unlängst in Kraft getretenen Änderung des § 219a Strafgesetzbuch (StGB). Bei letzterer weist Fischer auf erhebliche logische Unstimmigkeiten im verabschiedeten Gesetzestext hin.

Kanzlei Reuschlaw: Das Hbl (Christian Wermke) stellt die Kanzlei Reuschlaw vor, eine der führenden wirtschaftsberatenden Kanzleien im Produkthaftungsrecht. Besonderen Wert lege der Inhaber Philipp Reusch auf eine Work-Life-Balance. Beispielsweise seien kürzlich die internen Sabbatical-Regelungen überarbeitet worden, so dass bereits nach drei Jahren und nicht erst nach fünf Jahren ein Anspruch auf eine Auszeit entstehe.

Rechtsgeschichte – Eigenbedarfskündigung: Die Sozialbindung des Wohneigentums ging, wie Martin Rath auf lto.de erläutert, vor 70 Jahren deutlich weiter als heutzutage. Nach der Rechtsprechung des Hessischen Staatsgerichtshofes war eine Kündigung wegen Eigenbedarfs unter den Bedingungen absoluter Wohnungsnot faktisch fast unmöglich.

*Korrektur am Tag der Veröffentlichung. Zuvor hieß es fälschlich: Keine Ermittlungen gegen Afghanistan.

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/pf

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 13. bis 15. April 2019: Europäisches Urheberrecht / BVerfG I: Inklusives Wahlrecht / BVerfG II: Förderung der Selbsttötung . In: Legal Tribune Online, 15.04.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34899/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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