Die juristische Presseschau vom 26. bis 28. Januar 2019: AfD-Klage gegen Ver­fas­sungs­schutz / Kanzlei-beA denkbar / Erste Mus­ter­fest­stel­lungs­klage droht zu schei­tern

28.01.2019

Die AfD will gegen die Prüfung durch den Verfassungsschutz vorgehen. Außerdem in der Presseschau: Planungen zur Reform des anwaltlichen Gesellschaftsrechts und zum Kanzlei-"beA" sowie Hürden der ersten Musterfeststellungsklage.

Thema des Tages

AfD will gegen Prüfung durch Verfassungsschutz klagen: Die AfD will gegen die Einstufung als Prüffall des Verfassungsschutzes gerichtlich vorgehen. Laut Berichten der Mo-taz (Konrad Litschko) und von spiegel.de hat dies der AfD-Bundesvorstand beschlossen. Außerdem soll auch gegen den neuen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz direkt eine Dienstaufsichtsbeschwerde wegen "Verletzung des Dienstgeheimnisses" eingereicht werden, weil das vertrauliche Prüfgutachten des Bundesamts zur AfD einzelne Medien erreichte.

Die Sa-FAZ (Marlene Grunert) analysiert die Begründung des Verfassungsschutzes. Das Bundesamt konzentriere sich auf den "ethnisch-kulturellen Volksbegriff", der im "Flügel" und in der "Jungen Alternative" (JA) besonders aggressiv zum Ausdruck komme. Nach Ansicht der Autorin begibt sich der Verfassungsschutz damit mehr und mehr in eine "geheimdienstliche Gesinnungsprüfung". Er sollte sich aber darauf konzentrieren, die Polizei bei der Verfolgung von Straftaten zu unterstützen. Der Umgang mit den rassistischen Gesinnungen der AfD sei dagegen in erster Linie Aufgabe der demokratischen Gesellschaft.

Rechtspolitik

Verkehrsgerichtstag – Alkolock, Autonomes Fahren, Kapitalabfindung: Künftig sollen eingebaute Wegfahrsperren, die mit einem Atemalkoholtest-Messgerät verbunden sind, verhindern, dass alkoholisierte Fahrer ihr Auto benutzen. Das fordern die Verkehrsjuristen auf der diesjährigen Sitzung des Verkehrsgerichtstages, wie lto.de (Hasso Suliak) zu den Empfehlungen der Tagung berichtet. Keinen Bedarf für Schritte des Gesetzgebers sahen die Teilnehmer des 57. Verkehrsgerichtstags beim Thema autonomes Fahren. Die Sicherheit im Straßenverkehr werde auch durch das geltende Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht gewährleistet. Gegenstand weiterer Beratungen war u.a. die Frage, ob Verkehrsopfern ein Anspruch auf Kapitalabfindung eingeräumt werden solle, sowie die Diskussion um die Stickoxid-Grenzwerte.

Gesellschaftsrecht für Anwälte und Kanzlei-beA: njw.de (Joachim Jahn) hat erfahren, dass im Bundesjustizministerium nicht nur eine Reform des anwaltlichen Gesellschaftsrechtes vorbereitet, sondern auch an einer gesetzlichen Grundlage für ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) für Kanzleien gearbeitet wird. Beide Vorhaben sollen noch in dieser Legislaturperiode realisiert werden.

Sichere Herkunftsstaaten: Der Bundestag hat vorletzten Freitag beschlossen, Georgien sowie Algerien, Tunesien und Marokko in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten aufzunehmen. Aus diesem Anlass befasst sich der wissenschaftliche Mitarbeiter Jakob Hohnerlein auf verfassungsblog.de mit dem Charakter der Entscheidung, welche Staaten in die Liste aufgenommen werden. Das in Art. 16a Grundgesetz (GG) aufgestellte Kriterium, ob es in einem Staat "aufgrund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung stattfindet", sei keine politische, sondern eine empirische Frage, zu deren Beantwortung auf der Grundlage von Berichten über die Menschenrechtslage eine Prognose erstellt werden müsse.

Polizeigesetze: In einem Gastbeitrag auf netzpolitik.org unterhält sich die Bürgerrechtlerin Katharina Nocun mit Maria Scharlau von Amnesty International über die derzeit diskutierten Polizeirechtsreformen. Kritik übt Scharlau u.a. an der Vorverlagerung der Eingriffsbefugnis für die Polizei. Zukünftig dürfe die Polizei anhand von vagen Anhaltspunkten sagen: "Wir glauben, dass diese Person in absehbarer Zukunft eine Straftat begeht." Dabei gehe es nicht mehr wie bei der "konkreten Gefahr" um das, was unmittelbar bevorstehe, sondern um die Wahrscheinlichkeit einer Straftat in "überschaubarer Zukunft", sagt Scharlau.

§ 219a StGB: Am Wochenende haben in mehr als 30 Städten Menschen gegen das in § 219a Strafgesetzbuch (StGB) formulierte Werbeverbot für Abtreibungen demonstriert. Das melden die Mo-SZ und Mo-taz (Patricia Hecht). Die Veranstalter vom "Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung" zählten bis zu 6.000 Teilnehmer. Der bundesweite Aktionstag trug den Titel "Jetzt erst recht! Körperliche und sexuelle Selbstbestimmung sind nicht verhandelbar". Die Proteste richteten sich insbesondere gegen ein Eckpunktepapier der Bundesregierung, das im Dezember vorgestellt wurde.

Arbeitsrecht – Befristungen: Gegen das im Koalitionsvertrag vorgesehene Vorhaben, die grundlosen Befristungen von Arbeitsverträgen einzuschränken, hat der Heidelberger Rechtsprofessor Markus Stoffels rechtliche Bedenken, die er in einem vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall in Auftrag gegebenen Gutachten niedergelegt hat, heißt es im Spiegel. Eine Maximalquote sachgrundloser Befristungen stelle einen Eingriff in die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer und Arbeitgeber dar, meine Stoffels. Der Gesetzentwurf solle bis Sommer im Kabinett verabschiedet werden.

Rechtsstaatspakt: Die Sa-FAZ (Helene Bubrowski) gibt Auskunft zum aktuellen Stand des "Pakts für den Rechtsstaat", mit dem eigentlich u.a. 2.000 neue Richterstellen geschaffen werden sollten. Seit Monaten allerdings ringen Bund und Länder um die Finanzierung. Am kommenden Donnerstag wollen die Ministerpräsidenten über den Pakt beschließen.

Justiz

BVerfG: In seiner politischen Wochenvorschau widmet sich Heribert Prantl (sz.de) dem Bundesverfassungsgericht und Hoffnungen derer, die "den Weg nach Karlsruhe gehen". Die Erfolgsquote der Verfassungsbeschwerden sei bescheiden, dennoch habe die bloße Möglichkeit, sich direkt und ohne Anwalt an Karlsruhe zu wenden, das Bundesverfassungsgericht zu einem Leuchtturm der Gerechtigkeit gemacht. Das Gericht müsse sich aber überlegen, meint Prantl, ob es wirklich klug sei, bei der Nichtannahme von Verfassungsbeschwerden gar nichts zu erklären und gar nichts zu begründen.

BVerfG zu überlanger U-Haft: Das Bundesverfassungsgericht hat einen Haftfortdauerbeschluss des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken wegen nicht ausreichender Begründung aufgehoben und der Verfassungsbeschwerde eines U-Haft-Gefangenen damit stattgegeben. Der Beschwerdeführer, dem Mord, gefährliche Körperverletzung und Geiselnahme in Tateinheit mit versuchtem Mord und gefährlicher Körperverletzung vorgeworfen werden, befindet sich seit Mai 2016 in Untersuchungshaft. Eine so lange währende Untersuchungshaft sei aber trotz der Schwere der angelasteten Tat nicht gerechtfertigt und verletze den Mann daher in seinen Grundrechten, so die Karlsruher Richter. Auch das Argument des Gerichts, es sei überlastet, könne die Haftfortdauer nicht rechtfertigen. lto.de und Sa-SZ (Wolfgang Janisch) stellen die Begründung der Entscheidung ausführlicher dar.

VG Berlin weniger Asylklagen: Laut seinem Jahresbericht ist die Zahl der eingegangenen Asylklagen beim Verwaltungsgericht Berlin um mehr als die Hälfte zurückgegangen, meldet lto.de. "Dass beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge weniger Asylanträge gestellt und entschieden wurden, hat sich auch bei uns ausgewirkt", sagte der Sprecher des Gerichts Stephan Groscurth.

LVerfG Berlin zum Berliner Hundegesetz: Das Berliner Hundegesetz verstößt nicht gegen die Berliner Verfassung. Mit dieser Feststellung hat das Landesverfassungsgericht die Beschwerden mehrerer Hundebesitzer insbesondere gegen die Kennzeichnungspflicht zurückgewiesen. lto.de erläutert die Entscheidung.

OLG Stuttgart – Musterfeststellungsklage gegen Mercedesbank: Das Musterfeststellungsklageverfahren der Schutzgemeinschaft für Bankkunden gegen die Mercedesbank läuft Berichten zufolge nicht so, wie es sich die Kläger gewünscht hätten. Es geht um Widerrufsregeln in Kreditverträgen mit der Bank, die nach Ansicht der Schutzgemeinschaft unwirksam sind. Die Richter ließen durchblicken, dass sie Zweifel an der Zulässigkeit und der Begründetheit der Klage haben. lto.de, Sa-SZ (Stefan Mayr) und Sa-FAZ (Marcus Jung) berichten über den aktuellen Stand des Verfahrens.

OLG Köln zum Schadensersatz wegen Abgasmanipulation: Das Oberlandesgericht Köln hat dem Besitzer eines abgasmanipulierten Audi A4 Schadensersatz zugesprochen. Wie lto.de berichtet, muss die Volkswagen AG dem Käufer wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung den Kaufpreis erstatten.

LG Köln zum Farbenstreit zwischen Petry und der AfD: Das Landgericht Köln hat der früheren AfD-Vorsitzenden Frauke Petry im Streit mit der AfD Recht gegeben und die Klage der Partei abgewiesen, die Petry verbieten lassen wollte, ihre Parteineugründung "Die blaue Partei" zu nennen. "Die Farbe Blau ist nicht die naheliegende ungezwungene und erschöpfende Bezeichnung der AfD zur Identifizierung", begründeten die Kölner Richter laut einem Artikel in der WamS (Matthias Kamann) ihre Entscheidung.

Recht in der Welt

Österreich – Innenminister Kickl: Heribert Prantl (Mo-SZ) übt heftige Kritik am österreichischen Innenminister Herbert Kickl (FPÖ). Er respektiere, wie Victor Orbán in Ungarn und Jarosław Kaczyński in Polen, das Verhältnis von Demokratie und Rechtsstaat nicht und wolle das Recht der Politik unterordnen.

Spanien – Klage wegen Nationalpark: Wie die Mo-taz (Reiner Wandler) berichtet, will die EU-Kommission nach einer Beschwerde der Umweltorganisation WWF Spanien vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen. Es geht um das südspanische Natur- und Vogelschutzgebiet Doñana, das aufgrund des umliegenden Erdbeeranbaus austrocknet. "Spanien verstößt gegen die EU-Wasserrahmenrichtlinie, da der Wasserspiegel in Doñana drastisch gesunken ist und die intensive Landwirtschaft für die Produktion von Erdbeeren zu einer hohen Nitratbelastung des Wassers führt", heißt es in einer WWF-Erklärung, deren Argumentation auch die EU-Kommission folgt.

EGMR: Wie sich ausbleibende Zahlungen von Mitgliedstaaten des Europarates auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auswirken könnten, erläutert lto.de (Claudia Kornmeier). Bisher habe man versucht, den Gerichtshof soweit wie möglich herauszuhalten. Man müsse sich aber auf den schlimmsten Fall einstellen und elf Prozent einsparen.

Türkei – bedrohte Rechtsanwälte: lto.de (Markus Sehl) berichtet über eine Veranstaltung des Berliner Anwaltvereins, die sich der Situation der Anwaltschaft in der Türkei widmete. Beklagt wurde dabei u.a., dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bisher entsprechende Beschwerden unter Verweis auf den nationalen Rechtsweg ablehne.

China – Urteil gegen Rechtsanwalt Wang: In der nordchinesischen Stadt Tianjin wurde der Bürgerrechtsanwalt Wang Quanzhang in einem nicht öffentlichem Prozess wegen "Untergrabung der Staatsgewalt" nun zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren und einen fünfjährigen Entzug der politischen Rechte verurteilt. Wang war bereits im Juli 2015 im Rahmen einer Verhaftungswelle, von der rund 300 Rechtsanwälte und Bürgerrechtler betroffen waren, in Haft genommen worden. Der Rechtsanwalt wurde wegen der Vertretung von Angehörigen der Falun Gong sowie der Opfer von Landenteignungen bekannt. Es berichten u.a. spiegel.de und tagesschau.de.   

Sonstiges

Dieter Grimm zu Europa: Im Interview mit der WamS (Susanne Gaschke/Jacques Schuster) spricht der frühere Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm über mögliche Gründe für den Europaverdruss in der Bevölkerung und fordert u.a., dass statt einzelner nationaler Parteien künftig europäische Parteiverbünde mit ihren Wahlprogrammen bei der Europawahl antreten sollten. So würde die Wahl transparenter, denn die Wähler wüssten vorab, welche Parteien sich letztlich in den Fraktionen zusammenfinden. Außerdem meint Grimm, dass Bestimmungen in den Verträgen, die ihrer Natur nach nichts mit der Verfassung zu tun hätten, auf die Stufe von europäischem Sekundärrecht abgesenkt werden sollten und damit wieder dem demokratischen Prozess geöffnet werden. Weil der Gerichtshof in den 1960er Jahren die Verträge insgesamt mit Verfassungsrang versehen habe, seien viele Bestimmungen, die in jedem Staat einfaches Gesetzesrecht wären, von politischen Organen nicht korrigierbar.

Anwaltsmarkt nach dem Brexit: Die Mo-FAZ (Marcus Jung) widmet sich den potentiellen Änderungen des britischen Arbeitsmarktes nach dem Brexit. Vor allem Irland würde sich als Alternativstandort für britische Anwälte, die weiterhin in der EU tätig sein wollen, anbieten. In den vergangenen zweieinhalb Jahren hätten sich fast 2.000 Rechtsanwälte aus England und Wales bei der Law Society in Irland als beratender Anwalt ("Solicitor") registriert. Größere Probleme müssten sie dabei nicht überwinden, die Zulassung verlaufe unkompliziert. Interessant sei der Umzug dabei vor allem für die besonders umsatzstarken Londoner Wirtschaftskanzleien. Auf deutscher Seite hoffe man indessen, dass der Brexit die hier ansässigen LLPs nicht zu einem Rechtsformwechsel zwingen werde.

Entgelttransparenzgesetz: Auch die Mo-taz (Simone Schmollack) berichtet jetzt über den bisher ausbleibenden Erfolg des seit einem Jahr geltenden Entgelttransparenzgesetzes. Einschlägigen Untersuchungen zufolge würden nur wenige Menschen Gebrauch von ihrem Auskunftsrecht machen. Selbst in großen Unternehmen mit bis zu 100.000 Beschäftigten sollen bislang nur jeweils bis zu 50 Menschen nachgefragt haben, Frauen oft sogar noch seltener als Männer. Das Gesetz gibt Arbeitnehmern einen individuellen Auskunftsanspruch darüber, nach welchen Kriterien sie bezahlt werden.

Holocaust-Gedenken: Anlässlich des gestrigen Holocaust-Gedenktages erinnert Martin Rath auf lto.de an den jüdischen Philosophen Kurt Sternberg, der 1942 in Auschwitz ermordet wurde.

Heribert Prantl (Sa-SZ) beobachtet sorgenvoll den Vormarsch der AfD in allen deutschen Parlamenten, einer Partei, in der der Rassismus eine Heimstatt gefunden habe. Eine Ursache für den "Rückzug der Anständigen" macht er in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vor zwei Jahren aus, die NPD nicht zu verbieten, worin Prantl einen "entsetzlichen Fehler" sieht.

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lto/pf

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 26. bis 28. Januar 2019: AfD-Klage gegen Verfassungsschutz / Kanzlei-beA denkbar / Erste Musterfeststellungsklage droht zu scheitern . In: Legal Tribune Online, 28.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33487/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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