Die juristische Presseschau vom 4. Januar 2019: Dis­kus­sion um Abschie­bungen / Autisten bei Gericht / Über­lange Unter­su­chungs­haft

04.01.2019

Es wird wieder über Abschiebung straffälliger Flüchtlinge diskutiert. Außerdem in der Presseschau: Laut Verfassungsgericht gibt es für Autisten keinen Anspruch auf einen Prozess per Video-Chat und Ex-NPD-Politiker kommt aus U-Haft frei.

Thema des Tages

Aufenthaltsrecht: Die Vorfälle in Amberg, wo vier Flüchtlinge mehrere Personen verprügelt und verletzt haben sollen, haben die Diskussion um die Abschiebung straffällig gewordener Flüchtlinge von neuem angeheizt. Die FAZ (Karin Truscheit) erläutert, welche Hindernisse den Abschiebungen im konkreten Fall entgegenstehen. Die FAZ (Eckart Lohse) erinnert daran, dass unabhängig von den Angriffen in Amberg die Koalition bereits im vorigen Jahr begonnen habe, an einem Entwurf zum Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht zu arbeiten. Vorgesehen sei darin die Möglichkeit, für mehr Straftaten als bisher eine Rückführung einzuleiten, ohne ein gesamtes Strafverfahren abzuwarten. Allerdings würden Taten, wie die in Amberg verübten, mutmaßlich nicht für ein solches Vorgehen reichen. Wie es in einem weiteren Artikel der FAZ (Rüdiger Soldt) heißt, wurde in Baden-Württemberg vor einiger Zeit ein "Sonderstab gefährliche Ausländer" eingesetzt. An der vom Sonderstab koordinierten Bearbeitung eines Falles oder einer Fallkonferenz können Bundespolizei, Landeskriminalamt, Landespolizei, die Verfassungsschutzämter, die Ausländerbehörden, die Regierungspräsidien, das "Zentrum zur Unterstützung von Rückführungen" sowie die Sozialämter und Ausländerbehörden beteiligt sein. Wenn erforderlich, würden auch die zuständigen Bundesministerien eingeschaltet, damit diese den Kontakt zu den Regierungen der Herkunftsstaaten aufnehmen.

Jasper von Altenbockum (FAZ) meint, dass es die geforderte "praktische Lösung" nicht gebe, jedenfalls nicht, wenn am bestehenden Asylrecht festgehalten werde.

Rechtspolitik

Online-Terrorbekämpfung: Thomas Rudl (netzpolitik.org) befasst sich mit der geplanten EU-Verordnung zur Verhinderung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte und hat dazu den britischen Abgeordneten Daniel Dalton, den zuständigen Berichterstatter im EU-Parlament, befragt. Nach dem Entwurf der EU-Kommission sollen alle in Europa tätigen Online-Dienste dafür sorgen müssen, dass keine "terroristischen Inhalte" auf ihren Plattformen vorhanden sind. Hinterlässt ein Nutzer trotzdem einen mutmaßlich illegalen Kommentar oder lädt ein Bild hoch, das als Terrorpropaganda verstanden werden könnte, muss der jeweilige Anbieter diesen Inhalt binnen einer Stunde vom Netz nehmen, wenn ihn eine zuständige Behörde darauf aufmerksam macht. Außerdem sollen sogenannte Uploadfilter zum Einsatz kommen, die verhindern, dass terroristische Inhalte überhaupt hochgeladen werden können. Dalton äußerte sich skeptisch, ob automatisierte Filtersysteme der richtige Ansatz seien. "Algorithmen fällt es schwer, zwischen ernsthaft gefährlichem Material, Journalismus und Parodie zu unterscheiden", äußerte der Abgeordnete.

Justiz

BVerfG zu Verfahrensrechten Behinderter: Das Bundesverfassungsgericht hat gestern entschieden, dass eine am Asperger-Syndrom leidende Prozesspartei keinen Anspruch darauf hat, einer Gerichtsverhandlung von zu Hause aus per Online-Chat folgen zu können. Zwar bestehe grundsätzlich ein berechtigtes Interesse eines Verfahrensbeteiligten, an der mündlichen Verhandlung teilnehmen und ihr folgen zu können, selbst wenn dies mit einem besonderen organisatorischen Aufwand verbunden sei. Die Verpflichtung der Gerichte, diesem Interesse nachzukommen, bestehe aber nicht grenzenlos und umfasse nicht in jedem Fall den Anspruch der Verfahrensbeteiligten, dass die mündliche Verhandlung nach ihren Vorstellungen ausgestaltet wird, meinten die Karlsruher Richter. Es müsse auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Gerichte angehalten sind, ihre Ressourcen zeitsparend und möglichst effizient einzusetzen. Der Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe sei auch deshalb nicht verletzt, so das Gericht, weil der Kläger sich vor Gericht durch einen Bevollmächtigten hätte vertreten lassen können. Auch hätte er einen Beistand zu seiner Unterstützung mitbringen dürfen. Das Gericht hätte zudem Pausen einlegen können, damit sich der Kläger auf seine Beiträge hätte vorbereiten können. lto.de, FAZ (Marlene Grunert) und taz (Christian Rath) berichten über die Entscheidung.

AGH BW zu anwaltlicher Kooperation mit Steuerberatern: Der Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln Martin W. Huff erläutert auf lto.de eine Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs Baden-Württemberg aus dem Oktober 2018. Es geht dabei um die anwaltliche Beteiligungsquote an einer Rechtsanwalts-GmbH zwischen einem Anwalt und einem Steuerberater. Bisher verlangt die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), dass die Mehrheit der Geschäftsanteile und der Stimmrechte einer Rechtsanwalts-GmbH den Rechtsanwälten zustehen und dass die Mehrheit der Geschäftsführer einer solchen GmbH ebenfalls Rechtsanwälte sein müssen. In dem vom Anwaltsgerichtshof zu entscheidenden Fall sollte die Beteiligungsquote aber genau 50% betragen. Die Richter halten die Regelung der BRAO für verfassungswidrig und haben daher das Verfahren dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt.

OLG Brandenburg zu überlanger Untersuchungshaft: Das Oberlandesgericht Brandenburg hat den Haftbefehl gegen den früheren NPD-Politiker und mutmaßlichen Brandstifter Maik Schneider aufgehoben und das mit seitens der Justiz vermeidbaren Verzögerungen begründet, die sich auf mehr als sechs Monate summiert hätten. Unter anderem lto.de (Markus Sehl), FAZ (Markus Wehner) und zeit.de berichten über das Verfahren. Schneider wurde im März 2016 festgenommen und saß somit seit knapp drei Jahren in Untersuchungshaft. Er war wegen eines Brandanschlags und weiterer Delikte bereits im Februar 2017 zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Dieses Urteil war wegen der Befangenheit eines Schöffen im vergangenen Jahr vom Bundesgerichtshof aufgehoben worden. Der Prozess musste neu aufgerollt werden.

OLG Frankfurt/M. zu anwaltliche Reisekosten: Auch wenn sie bei ein und derselben Kanzlei arbeiten, sind die in einem Verfahren beauftragten Rechtsanwälte nicht verpflichtet, zu einem Gerichtstermin eine Fahrgemeinschaft zu bilden, sondern können getrennt anreisen. Das hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main entschieden und damit die Beschwerde gegen die Kostenentscheidung in einem Markenrechtsstreit zurückgewiesen. Ein Anwalt sei nicht verpflichtet, einen Kollegen im eigenen Kraftfahrzeug zu befördern, betonte das Gericht laut lto.de.

VerwGH Hessen zu Stadthallennutzung durch NPD: Laut lto.de muss die Stadt Büdingen der NPD ihre Stadthalle für einen Neujahrsempfang zur Verfügung stellen. Das hat der Verwaltungsgerichshof Hessen festgestellt. In erster Instanz hatte das Verwaltungsgericht Gießen noch der Stadt Recht gegeben.

OLG Braunschweig – VW-Musterfeststellungsklage: Auch das Hbl (Stefan Menzel/Volker Votsmeier) widmet sich jetzt der hohen Zahl an Musterklägern im Verfahren gegen VW wegen der Abgasmanipulationen. Bis einschließlich 2. Januar seien nach Angaben von Gerd Billen, Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, 372.000 Anmeldungen zur Eintragung in das Klageregister eingegangen. In dem Artikel werden auch die verschiedenen Auffassungen zur Verjährungsfrist der Ansprüche erläutert.

LG Oldenburg – Prozess Nils Högel: In dem Verfahren gegen Nils Högel, dem die Staatsanwaltschaft fast 100 Tötungen an Patienten vorwirft, hat der frühere Chefermittler der Polizei ausgesagt und dabei neue Vorwürfe gegen den Angeklagten erhoben, aber auch die Kliniken in Delmenhorst und Oldenburg kritisiert, in denen Högel seine Taten beging. Högl sei ein Taktiker und ein Lügner, sagte Arne Schmidt laut SZ (Peter Burghardt) in der mündlichen Verhandlung aus. Dem Klinikum Delmenhorst warf der frühere Leiter der Polizeisonderkommission vor, dass dort seit 2004 der Zugang zum Medikament Gilurytmal erleichtert worden sei, heißt es auf spiegel.de. Mit dem Stoff soll der ehemalige Krankenpfleger Högel viele Patienten zu Tode gebracht haben.

EGMR – Pechstein: Die Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Claudia Pechstein hat beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Rechtsmittel gegen dessen Entscheidung zur Abweisung ihrer Klage vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS eingelegt. Das meldet lto.de. Der CAS hatte 2009 eine gegen Pechstein verhängte Dopingsperre von zwei Jahren bestätigt, nachdem Ärzte bei ihr auffällige Blutwerte feststellten. Pechstein blieb im Jahr 2018 mit ihrer Beschwerde, die sie auf Zweifel an der Unabhängigkeit des CAS gestützt hatte, vor dem EGMR ohne Erfolg und wendet sich nun an die Große Kammer des Straßburger Gerichtshofs.

OLG Koblenz zu Sicherungspflicht für eine Treppe: Wie lto.de meldet, hat das Oberlandesgericht Koblenz festgestellt, dass nicht jede Treppe, die Bestandteil eines öffentlichen Weges ist, durch ein Geländer bzw. einen Handlauf gesichert werden muss. Eine solche Pflicht bestehe nur dann, wenn Gefahren ausgeräumt werden müssen, die für einen sorgsamen Benutzer nicht ohne Weiteres erkennbar seien. Geklagt hatte ein Versicherer, der einer Frau Behandlungskosten in Höhe von knapp 5.500 Euro erstattete, die sich durch einen Sturz an einer ungesicherten Treppe verletzt hatte.

Recht in der Welt

Saudi Arabien – Prozess wegen Kashoggi-Mord: In Riad hat der Prozess gegen elf Verdächtige im Mordfall Jamal Kashoggi begonnen, wie zeit.de meldet. Der Washington-Post-Kolumnist wurde im Oktober 2018 im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul getötet. Für fünf der Angeklagten fordert die Staatsanwaltschaft die Todesstrafe.

USA – Urheberrecht: Über das amerikanische Urheberrecht, nach dem zum 1. Januar 2019 viele Werke frei geworden sind, berichtet die SZ (Jakob Maurer). Mit dem Jahreswechsel seien Filme, Gedichte, Bücher und Musikstücke, die im Jahr 1923 veröffentlicht wurden, gemeinfrei geworden. Ursprünglich hätten die Werke bereits 1999, 75 Jahre nach ihrer Veröffentlichung, frei sein sollen. Doch ein Jahr zuvor hatte der US-Kongress mit dem Erlass des Sonny Bono Copyright Term Extension Acts das Urheberrecht um 20 Jahre verlängert und den Prozess dadurch bis 2018 "eingefroren".

Spanien – Verfahren gegen mutmaßliche Vergewaltiger: In Spanien hat laut taz.de die Freilassung fünf mutmaßlicher Vergewaltiger aus der Untersuchungshaft für Empörung gesorgt. Die Staatsanwaltschaft hatte deshalb sogar das Oberste Gericht angerufen, das jedoch keine Fluchtgefahr sah.

Juristenausbildung

Moot Courts: lto.de (Sabine Olschner) hat bei Kanzleien nachgefragt, wie sie die Teilnahme ihrer Bewerber an Moot Courts während des Studiums bewerten. Grundsätzlich sehen potentielle Arbeitgeber die Gerichtsübungen positiv, wird u.a. Frank Fischer von der Wirtschaftsrechtskanzlei Wendelstein LLP zitiert. Ein Moot Court zeige die Realität der Anwaltsarbeit deutlicher als das Jurastudium, die Teilnehmer lernten zu argumentieren und andere von ihren Ansichten zu überzeugen.

Sonstiges

Amoklauf in Bottrop: Mit der Abgrenzung zwischen politisch motivierter Tat und geistiger Verwirrung befassen sich im Zusammenhang mit dem Amokfahrer von Bottrop die SZ (Georg Mascolo) und Christian Rath (taz.de). Letzterer weist darauf hin, dass möglicherweise beides der Fall sein könnte. Nicht jede Form von psychischer Labilität führe zu Schuldunfähigkeit. Und auch psychisch Kranke wüssten in aller Regel, dass man keine Menschen totfahren dürfe. Wenn aber eine strafrechtliche Verurteilung möglich sei, so Rath, dann müsse ein rassistisches Motiv strafverschärfend berücksichtigt werden.

Fluggastrechte: Timo Kotowski (FAZ) betrachtet die derzeitige Situation der Fluggastrechte kritisch und meint dazu, es sei ein "verkorkstes System" mit kolossalem Konstruktionsfehler: Ein Reisender könne mehr Geld fordern als er bezahlt habe. So könne aus einem 19-Euro-Billigticket ein Entschädigungsanspruch von 250 Euro entstehen. Dadurch werde es zum Geschäftsmodell, auf Verspätungen zu warten. Profitiert habe der neue Berufsstand der Fluggastentschädiger, die gegen Provisionen Zahlungen für Reisende eintrieben.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/pf

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 4. Januar 2019: Diskussion um Abschiebungen / Autisten bei Gericht / Überlange Untersuchungshaft . In: Legal Tribune Online, 04.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33015/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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