Die juristische Presseschau vom 1. bis 3. Dezember 2018: Länder kri­ti­sieren Ver­fas­sungs­än­de­rung zum Digi­tal­pakt / Kritik an UN-Mig­ra­ti­ons­pakt / Stand der Audi-Ermitt­lungen

03.12.2018

Einige Bundesländer wollen gegen die Verfassungsänderung zum Digitalpakt stimmen. Außerdem in der Presseschau: Göttinger Völkerrechtler kritisiert Migrationspakt und im Frühsommer könnte es die ersten Anklagen im Audi-Dieselskandal geben.

Thema des Tages

Digitalpakt – Sechs Länder gegen GG-Änderung: Gegen den vom Bundestag beschlossenen sogenannten Digitalpakt gibt es Widerstand seitens einiger Länder. In der FAS erklären die Ministerpräsidenten von Hessen, Baden-Württemberg, Sachsen, Nordrhein-Westfalen und Bayern, warum sie im Bundesrat gegen die vorgesehene Grundgesetzänderung stimmen wollen. Man unterstütze einen "Digitalpakt Bildung", auf dem Weg zur Verwirklichung seiner Ziele dürften aber nicht zentrale Grundsätze des deutschen Föderalismus aufgegeben werden. Der Bundestag habe Änderungen des Grundgesetzes beschlossen, die an mehreren Punkten über das hinausgingen, was zur Umsetzung eines Digitalpakts erforderlich sei. So würde der Vorschlag des Bundestags es dem Bund ermöglichen, in Inhalte der Schulbildung einzugreifen. In einem weiteren Artikel der FAS (Frank Pergande) heißt es, dass auch Schleswig-Holstein den Digitalpakt ablehnen wolle. Wegen der vorgesehenen Ko-Finanzierung fürchtet das Land einen faktischen Investitionsstopp. Laut Hbl (Barbara Gillmann) hat auch der Bundesrechnungshof gewarnt, dass die geplante Änderung des Artikels 104c Grundgesetz (GG) dem Grundsatz der Subsidiarität und Eigenverantwortlichkeit widerspreche, die Konturen der föderativen Grundstruktur weiter auflöse und die Länderverantwortung aushöhle.

Ebenfalls in der FAS (Frank Pergande) werden die Hintergründe der aktuellen Diskussion erläutert. Der Autor zeichnet insbesondere nach, wie es vor einigen Jahren zum sogenannten "Kooperationsverbot" gekommen war.

Patrick Bernau (FAS) meint in einem gesonderten Kommentar, es sei höchst fraglich, dass alles besser werde, wenn nur der Bund hineinregierte.

Rechtspolitik

Richterwechsel beim BVerfG: Am vergangenen Freitag hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den bisherigen Bundesverfassungsrichter und Vizepräsidenten des Gerichts Ferdinand Kirchhof verabschiedet und Stephan Harbarth zu dessen Nachfolger ernannt. Das meldet die Sa-FAZ (Marlene Grunert).

Der Sa-FAZ-Einspruch (Marlene Grunert) erinnert an die Probleme, die der jetzt erfolgten Ernennung vorangegangen waren. So hatte der frühere Verfassungsrichter Michael Eichberger, dessen Nachfolge sich ebenfalls um Monate verzögert hatte, im Oktober die Politik gemahnt, Neubesetzungen ernster zu nehmen. Wenn eine Neubesetzung zum Postengeschacher werde, schade das dem Ansehen des Gerichts, wurde Eichberger seinerzeit wiedergegeben.

Migrationspakt: Im ausführlichen Interview mit dem Spiegel (Dietmar Hipp) erläutert der Göttinger Rechtsprofessor Frank Schorkopf, warum er den UN-Migrationspakt skeptisch sieht. Es sei ein beunruhigendes Dokument, vor allem, weil hier sehr viel auf Regierungsebene geregelt werde, was eigentlich Sache des Parlaments sein müsse.

Der Wissenschaftliche Mitarbeiter Benedikt Behlert widmet sich auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) ebenfalls dem Pakt, den er als "Schritt in die richtige Richtung" bezeichnet.

Anti-Geoblocking-Verordnung: Die Rechtsanwälte Frédéric Crasemann und Martin Gerecke erläutern auf lto.de die neue EU-Verordnung, die ab dem heutigen Montag ungerechtfertigte Barrieren beim grenzüberschreitenden Onlinekauf verhindern soll. Auch die Mo-SZ (Karoline Meta Beisel) widmet sich der jetzt in Kraft getretenen neuen Regelung. Kunden sollen nun frei wählen können, über welche Shopversion sie Waren oder Dienstleistungen erwerben, ohne automatisch umgeleitet oder blockiert zu werden. Händler werden verpflichtet, an alle Kunden innerhalb der EU zu denselben Preis-, Zahlungs- und Lieferbedingungen zu verkaufen wie an nationale Kunden.

Asylrecht – Ankerzentren: Wie die Sa-FAZ (Helene Bubrowski) meldet, haben sich die Länderinnenminister und Bundesinnenminister Horst Seehofer bei der Frage der sogenannten Ankerzentren geeinigt. Seehofer soll danach den Innenministern der Länder Unterstützung bei der Rückführung von Migranten auch dann zugesagt haben, wenn es in den Ländern keine "Ankerzentren" gibt. Entscheidend sei, dass die Einrichtungen in den Ländern funktionsgleich seien, sagte Seehofer in der vergangenen Woche zum Abschluss der Innenministerkonferenz in Magdeburg. Die Länder könnten nun damit rechnen, dass der Bund die Rückführungen aller Dublin-Fälle organisiert und außerdem die Beschaffung von Passersatzpapieren übernehme.

Jasper von Altenbockum (Sa-FAZ) meint, dass die Bundesländer sich damit auf etwas geeinigt hätten, was die meisten von ihnen ohnehin bereits praktizierten. Im Kern gehe es dabei seit 2015 um die Frage, ob die Asylanträge so schnell bearbeitet werden können, dass eine zentrale Unterbringung der Bewerber für die Zeit dieser Verfahren zumutbar ist.

Organspende: In der vergangenen Woche diskutierte der Bundestag über die Organspende. Laut FAS (Florentine Fritzen) hat die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vorgeschlagene Widerspruchslösung bei der Organspende zwar keine Chance auf eine Mehrheit, der Minister habe aber viel Lob für seinen Gesetzentwurf erhalten, auch dafür, die Debatte im Bundestag angeregt zu haben.

Qualifizierungschancengesetz: Die Sa-SZ (Detlef Esslinger) erläutert, dass im neuen Qualifizierungschancengesetz eine Regelung zum Tarifvertragsrecht versteckt sei, die kleine Berufsgewerkschaften diskriminiere. Esslinger vermutet, dass darin der Grund liegt, warum das Gesetz nicht groß als Erfolg der SPD verkündet wird.

Justiz

BayVGH – Präimplantationsdiagnostik: Das Münchener Labor Synlab wendet sich vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof dagegen, dass bestimmte Forschungen an menschlichen Keimzellen grundsätzlich von der Ethikkommission für Präimplantationsdiagnostik genehmigt werden müssen. Wie lto.de meldet, ist das Unternehmen der Ansicht, dass die von ihm beabsichtigten Untersuchungen gar nicht unter das Embryonenschutzgesetz fallen, denn es werde lediglich untersucht, ob eine Zelle sich überhaupt einnisten kann und die Frau schwanger wird. Ein Urteil soll am heutigen Montag verkündet werden.

EGMR – Exterritoriale Asylgewährung: Die Rechtswissenschaftlerin Dana Schmalz befasst sich auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) mit einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, in dem es darum geht, ob Staaten auch zur Gewährung von Asyl verpflichtet sein könnten, wenn der entsprechende Antrag außerhalb des jeweiligen Staatsgebiets gestellt wurde. Der Europäische Gerichtshof hatte kürzlich einen ähnlichen Fall auf der Grundlage der EU-Charta zu entscheiden und verneinte eine solche Pflicht.

StA München II – Ermittlungen wegen Diesel-Skandals: Die Sa-FAZ (Marlene Grunert) berichtet über den aktuellen Stand der Ermittlungen gegen mutmaßliche Verantwortliche bei Audi im Dieselskandal. Am Anfang liefen die Ermittlungen gegen unbekannt, seit dem Februar dieses Jahres habe sich der Kreis der namentlich Beschuldigten schrittweise von 14 auf 17 und schließlich auf 20 Personen vergrößert, von denen der prominenteste der ehemalige Audi-Vorstandsvorsitzende Rupert Stadler ist. Laut Sa-SZ (Hans Leyendecker) wird republikweit sogar gegen 24 Personen ermittelt. Nach derzeitigem Stand könnten im Frühsommer die ersten Anklagen erhoben werden, heißt es in der SZ.

LAG Berlin-Brandenburg zu Kopftuch einer Lehrerin: Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat einer wegen ihres Kopftuches abgelehnten Bewerberin um eine Stelle als Lehrerin Schadensersatz zugesprochen. Warum die Entscheidung entgegen einigen Medienkommentaren nicht willkürlich, sondern konsequent gewesen sei, erläutert tagesschau.de (Frank Bräutigam). Das Berliner Gericht habe eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt. Das sei nicht absurd, sondern Alltag im Rechtsstaat.

Ermittlungen gegen KSK-Soldaten: Wie die Sa-taz (Sebastian Erb) berichtet, ermitteln Staatsanwälte derzeit gegen mindestens sechs Soldaten, die dem Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr angehören. Im Verfahren soll es um mutmaßliche Vergewaltigung, den sexuellen Missbrauch von Kindern und den Besitz von kinderpornografischem Material gehen. Einem anderen Soldaten wird die Misshandlung von Untergebenen vorgeworfen, einem nächsten besonders schwerer Landfriedensbruch sowie Körperverletzung und einem weiteren KSK-Mitglied ein besonders schwerer Eingriff in den Straßenverkehr und Abrechnungsbetrug.

OLG Köln zu Vertragsstrafe wegen Baulücke: Im Streit um eine Baulücke im Kölner Innenstadtbereich muss der Grundstückseigentümer nun eine weitere Vertragsstrafe an die Stadt Köln bezahlen. Das hat entsprechend einer Meldung von lto.de das Oberlandesgericht Köln entschieden. Eigentlich sollte auf dem betroffenen Grundstück, das 2007 erworben wurde, ein Wohn- und Geschäftshaus gebaut werden. Dies unterblieb.

AG München zu privaten Überwachungskameras: Die bloße Möglichkeit, von den Überwachungskameras eines Nachbarn erfasst zu werden, kann jedenfalls noch zumutbar sein, hat laut lto.de das Amtsgericht München in einer am Freitag veröffentlichten Entscheidung festgestellt.

Recht in der Welt

Frankreich – Züchtigungsverbot: In Frankreich soll es demnächst gesetzlich verboten werden, Kinder körperlich zu züchtigen. Die Sa-SZ (Matthias Drobinski) befasst sich mit der geplanten Neuregelung und weist auf die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen hin: Eine öffentliche Ächtung der Gewalt führe tatsächlich zu weniger Gewalt, denn die Kriminalität bei Jugendlichen sinke parallel zur Abnahme der Gewalt gegen sie.

Vietnam – Kindesmissbrauch: Laut einem Bericht der Mo-taz (Marina Mai) hat Vietnam kürzlich seine Gesetze gegen sexuellen Kindesmissbrauch geändert. Nun ist auch der Missbrauch von Jungen strafbar, bisher galt das nur für weibliche Opfer. Zugleich allerdings würden Straftäter nur selten an ihre Heimatländer ausgeliefert, selbst wenn entsprechende Anträge gestellt worden seien.

Sonstiges

Geldwäsche: Anlässlich der Razzia der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main bei der Deutschen Bank widmet sich die FAS (Corinna Budras) dem Phänomen Geldwäsche und seinen Dimensionen. Nach Schätzungen von Europol werden jedes Jahr rund 2,4 Billionen Dollar gewaschen, die Kriminelle durch Zwangsprostitution, Terrorismus oder Drogenhandel einnehmen.

Finderlohn: Im Interview mit dem Spiegel erläutert der Zivilrechtsprofessor Stephan Lorenz, welche Rechte der Finder einer Sache gegenüber dem Eigentümer auf Zahlung eines Finderlohnes hat. Hintergrund ist die Kritik am Kandidaten für den CDU-Parteivorsitz Friedrich Merz, der vor Jahren dem Finder seines Notebooks lediglich ein selbst verfasstes Buch geschenkt hatte. Lorenz weist darauf hin, dass der Finder, um seinen Anspruch geltend zu machen, sich an Friedrich Merz hätte wenden müssen. Dass Merz sich nicht genauer nach dem Finder erkundigte, möge moralisch fragwürdig sein, rechtlich habe er sich absolut korrekt verhalten, so Lorenz.

Weihnachtsamnestie: lto.de (Hasso Suliak) meldet, dass aus Anlass des Weihnachtsfestes auch dieses Jahr wieder viele Strafgefangene auf vorzeitige Haftentlassung hoffen können. In Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg sind es sogar mehrere Hundert Gefangene, die früher entlassen werden. Nur in Bayern und Sachsen gibt es keine entsprechende Amnestie.

Sklaverei und ihre Spuren: Einige Auswirkungen, die Sklaverei bis heute hat, behandelt Martin Rath (lto.de) und benennt Sachverhalte, in denen die Sklaverei und Leibeigenschaft eine Rolle spielten.

KI und Urheberrecht: Ob Künstliche Intelligenz (KI) auch urheberrechtlich geschützte Werke herstellen kann, überlegen der Rechtsanwalt Robert Heine und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Julia Schafdecker auf lto.de. Die Autoren halten beispielsweise die Einführung eines neuartigen Schutzrechts für KI-Erzeugnisse, das den Erfordernissen der Technologie angepasst ist, für möglich.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/pf

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 1. bis 3. Dezember 2018: Länder kritisieren Verfassungsänderung zum Digitalpakt / Kritik an UN-Migrationspakt / Stand der Audi-Ermittlungen . In: Legal Tribune Online, 03.12.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32459/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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