Die juristische Presseschau vom 24. bis 26. November 2018: Koope­ra­ti­ons­verbot soll fallen / Erfolg­reiche Klage gegen VW / Inter­view mit Carla Del Ponte

26.11.2018

CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP wollen künftig Bund-Länder-Kooperationen bei der Bildung erlauben. Außerdem in der Presseschau: Gericht verurteilt VW zur vollen Kaufpreiserstattung und was Del Ponte zur Aufarbeitung der Syrien-Verbrechen meint.

Thema des Tages

Grundgesetzänderung für Bildungskooperation vereinbart: Die Regierungs- und die Oppositionsfraktionen von Grünen und FDP haben sich am Freitag auf eine Aufhebung des Bund-Länder-Kooperationsverbots in der schulischen Bildung geeinigt. Eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes soll im Bundestag nächste Woche und im Bundesrat noch vor Weihnachten mit der notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen werden, meldet die Sa-taz (Anna-Lehmann).

Mit dem Tenor, unter dem die Diskussion geführt wurde, werde nicht nur der Geist der Verfassung, sondern auch die Verfassungswirklichkeit verdreht, kritisiert Jasper von Altenbockum (Mo-FAZ). Das sogenannte "Kooperationsverbot" habe es nie gegeben – nirgends stehe geschrieben, dass Bund und Länder, Bundestag und Bundesrat nicht kooperieren dürften. Das falsche Wort habe aber einen besonderen Reiz, weil sich mit seiner Hilfe eine lästige Säule der Verfassung umschiffen lasse: die Zuständigkeit. Das Bedürfnis danach würden Politiker gern den Bürgern in den Mund legen: Ihnen sei doch egal, wer zuständig sei, Hauptsache sei, dass getan werde, was getan werden müsse, so von Altenbockum. Das sei der Freibrief für den Bund, sich in alles einzumischen, was wünschenswert und angeblich unbedingt notwendig ist.

Rechtspolitik

§ 219a StGB: Die niedersächsische SPD-Landtagsfraktion fordert, wie der Spiegel (Veit Medick) berichtet, eine ersatzlose Streichung des § 219a Strafgesetzbuch (StGB), der die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt. Die SPD müsse "jetzt die Gelegenheit ergreifen, eine parlamentarische Mehrheit zur Streichung des Paragrafen 219a zu organisieren", wird zudem Sebastian Hartmann, Landeschef der nordrhein-westfälischen SPD zitiert: "Eine Freigabe der Abstimmung als eine Gewissensfrage wäre dafür ein geeigneter Weg."

Brückenteilzeit: Der Bundesrat hat laut lto.de das Gesetz zur Einführung einer Brückenteilzeit gebilligt. Arbeitnehmer in Betrieben mit mehr als 45 Beschäftigten haben künftig einen Anspruch darauf, ihre Arbeitszeit für ein bis fünf Jahre zu reduzieren und danach wieder in eine Vollzeitbeschäftigung zurückzukehren.

Wahlrecht: Die Berliner Morgenpost (Christian Kerl) meldet, dass die Große Koalition die Pläne für eine Änderung des Wahlrechts zur Europawahl aufgegeben habe. Ursprünglich war vorgesehen, hier wieder eine Sperrklausel – wie bei der Bundestagswahl auch – einzuführen. Dieses Vorhaben sei nun vom Koalitionsausschuss beerdigt worden.

Europäisches Urheberrecht: Die Mo-FAZ (Michael Hanfeld) befasst sich im Feuilleton erneut mit der Urheberrechtsrichtlinie, die derzeit im sogenannten Trilog verhandelt wird. Ausgemacht sei die Richtlinie noch nicht, erklärt Hanfeld, seien doch die Plattform-Konzerne am Ende der Diskussion "um die Ecke gebogen" und würden "aus allen Rohren feuern". Im Sommer seien im Rahmen einer von einer PR-Agentur gesteuerten Kampagne EU-Abgeordnete mit tausenden, automatisiert verschickten Mails und Anrufen bombardiert worden, jetzt hetze die Youtube-Chefin jugendliche Nutzer ihrer Plattform mit Fake News auf.

BVerfG – Stephan Harbarth: Nachdem in der vergangenen Woche Stephan Harbarth zum künftigen Richter des Bundesverfassungsgerichts bestimmt wurde, wirft die Sa-FAZ (Marcus Jung) einen Blick auf Harbarths bisherige Nebentätigkeit als Wirtschaftsrechtsanwalt. Der neue Verfassungsrichter stehe aber nicht nur für den Kapitalmarkt und Großprojekte, sondern setze sich auch für Nachhaltigkeit und den Umweltschutz ein.

Heribert Prantl (Mo-SZ) fasst die Vorbehalte und Hoffnungen zusammen, die mit der Personalie verbunden werden. Der Juristinnenbund monierte beispielsweise, dass zum dritten Mal hintereinander ein Mann den Chefposten in Karlsruhe bekleidet, von anderen wird ihm vorgeworfen, gegen* die "Ehe für alle" gestimmt zu haben. Die Gefahr einer Politisierung sieht Prantl nicht. Anders als alle bisherigen Verfassungsrichter, die aus der Politik kamen, sei Harbarth vom Verfassungsrecht "so gut wie unbeleckt".

Justiz

Neuer BGH-Strafsenat in Leipzig: Die Mo-FAZ (Stefan Locke) erklärt, warum der im Rahmen der Bundestags-Haushaltsverhandlungen vereinbarte neu zu bildende Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Leipzig nur einen Minimalkonsens für Ostdeutschland darstelle. Nach der sogenannten "Rutschklausel" müsste nämlich ohnehin für jeden neu geschaffenen Zivilsenat ein Strafsenat von Karlsruhe nach Leipzig ziehen. Um das zu umgehen, seien in den vergangenen Jahren keine neuen Senate in Karlsruhe gebildet, sondern die vorhandenen mit weiteren Richtern "aufgebläht" worden. Wegen des jetzt neuen Zivilsenats in Karlsruhe müsste also eigentlich ein bestehender Strafsenat nach Leipzig ziehen, wo dann künftig drei Strafsenate ansässig seien.

LG Dortmund – Klage gegen Kik: Warum der Prozess gegen das Textilunternehmen Kik, in dem in dieser Woche die mündliche Verhandlung beginnt, ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer globalen Unternehmenshaftung ist, erläutert der Spiegel (Simone Salden). Es geht um die Verantwortung für einen Brand in einem Zulieferunternehmen von Kik in Pakistan, bei dem 260 Menschen ums Leben kamen. Opfer und Opferangehörige verlangen jetzt von Kik Schmerzensgeld.

LG Augsburg zu manipuliertem VW Golf: Das Landgericht Augsburg hat VW verurteilt, dem Käufer eines manipulierten VW Golf den vollen Kaufpreis ohne Abzug der Nutzungsvorteile zu erstatten. Volkswagen kündigte an, Berufung einzulegen. Die Sa-FAZ (Marcus Jung/Carsten Germis) berichtet über die Entscheidung und ordnet sie ein.

StA Berlin – Anklage gegen KZ-Wachmann: Die Staatsanwaltschaft Berlin hat einen 95-Jährigen wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 36.000 Fällen angeklagt. Das meldet spiegel.de. Hans H. soll als Wachmann im KZ Mauthausen zum Massenmord beigetragen haben. Mauthausen war das größte Konzentrationslager auf dem Gebiet des annektierten Österreich. Insgesamt waren dort im Zweiten Weltkrieg 200.000 Menschen eingesperrt. Rund 100.000 von ihnen wurden getötet.

StA Köln – Ermittlungen gegen Ex-Boxweltmeister: Gegen den ehemaligen Boxweltmeister Felix Sturm hat die Staatsanwaltschaft Köln, wie lto.de meldet, ein Ermittlungsverfahren wegen "Selbstdoping, Teilnahme an einem Wettkampf unter Selbstdoping und gefährliche Körperverletzung" eingeleitet. Konkret geht es um den Kampf am 20. Februar 2016 in Oberhausen gegen den Russen Fjodor Tschudinow.

BVerfG – deutsche Klimapolitik: Gegen die aus ihrer Sicht unzureichende Klimapolitik der Bundesrepublik haben der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der Solarförderverein Deutschland sowie elf Einzelkläger Verfassungsbeschwerde erhoben. Obwohl Deutschland sich im Pariser Klimaabkommen auf eine Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau verpflichtet habe, würden weder die EU-Klimaziele für 2020 noch die selbst gesetzten Ziele erreicht, kritisiert laut Spiegel (Annette Bruhns) das Klagebündnis. Es sei der Politik verfassungsrechtlich nicht erlaubt, die Grundlagen menschlicher Existenz zu untergraben und damit die Demokratie. taz.de (Christian Rath) erläutert das Klagebegehren ausführlich und geht auch auf die Zulässigkeitshürden ein.

BVerfG zu behördlicher Einschätzung bei wissenschaftlichem "Erkenntnisvakuum": Das Bundesverfassungsgericht hat im Rahmen zweier Verfassungsbeschwerden festgestellt, dass die gerichtliche Überprüfung einer Behördenentscheidung eingeschränkt sein kann, wenn die Aufklärung an die Grenze des Erkenntnisstands naturschutzfachlicher Wissenschaft und Praxis stößt. Es ging im Fall um die die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für Windenergieanlagen, die versagt wurde, weil nach Ansicht der Behörden anderenfalls das Todesrisiko für Rotmilane durch Kollisionen mit den geplanten Windkraftanlagen signifikant erhöht würde. Für die Beurteilungen dieses Risikos fehlten jedoch allgemein anerkannte fachwissenschaftliche Maßstäbe und standardisierte Erfassungsmethoden. In einem solchen Fall können sich die Gerichte auf die Behörde verlassen, wenn deren Einschätzung vertretbar und plausibel sei, stellte das Verfassungsgericht fest. lto.de und verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) widmen sich der Entscheidung.

EuGH zu Sozialhilfe von subsidiär Schutzberechtigten: Der Europäische Gerichtshof hat die österreichische Regelung, nach der subsidär Schutzberechtigte einen geringeren Anspruch auf finanzielle Unterstützung haben als dauerhaft Asylberechtigte, als Verstoß gegen das EU-Recht bewertet. Mit der Entscheidung befasst sich Rechtsprofessor Winfried Kluth auf lto.de und kommt dabei zu dem Schluss, dass der Richterspruch zur Klärung der Rechtslage in der gesamten Europäischen Union beitrage.

GenStA Frankfurt/Main – Durchsuchungen bei Freshfields: Im Rahmen der Ermittlungen um umstrittene Aktiengeschäfte wurden die Räume der Rechtsanwaltskanzlei Freshfields erneut durchsucht. Das berichten die Sa-FAZ und Sa-SZ. Es soll um ein Gutachten der Kanzlei für die inzwischen insolvente Maple Bank GmbH gehen. Das deutsche Institut mit kanadischen Wurzeln war 2016 von der Finanzaufsicht Bafin geschlossen worden, weil ihm wegen einer Steuerrückstellung im Zusammenhang mit "Cum-Ex"-Geschäften die Überschuldung drohte.

Klagewelle bei Sozialgerichten: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) versucht, eine Lösung für die durch eine Gesetzesänderung bei den Sozialgerichten ausgelöste Klagewelle zu finden. Wie der Tsp (Jost Müller-Neuhof/Rainer Woratschka) berichtet, soll dafür in dieser Woche ein Gespräch mit Vertretern der Krankenkassen und Krankenhäuser stattfinden. Wegen einer gesetzlichen Fristverkürzung haben Krankenkassen eine Vielzahl von Klagen eingereicht. Allein beim Berliner Sozialgericht sollen mehr als 1.000 Klagen eingegangen sein, in Bayern sind mehr als 14.000 Verfahren anhängig.

Recht in der Welt

EGMR: Wolfgang Janisch (Sa-SZ) analysiert die Bedeutung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte angesichts der wachsenden Fragilität rechtsstaatlicher Strukturen in einigen Mitgliedsländern des Europarates. In einer Zeit, in der immer mehr Staaten den Unterschied zwischen Recht und Unrecht mutwillig verwischten, brauche es mehr denn je eine Instanz, die verbindliche Maßstäbe formuliert, meint Janisch.

ICTY – Interview mit Ex-Chefanklägerin: Der Spiegel (Romain Leick) hat Carla Del Ponte, zwischen 1999 und 2007 Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs für das frühere Jugoslawien, zur möglichen juristischen Aufarbeitung von Kriegsverbrechen in Syrien interviewt. Es müssten alle Schuldigen vor Gericht kommen, nicht nur die hohen politischen und militärischen Täter, meint Del Ponte. Die Täter der mittleren und unteren Ebene sollten sich allerdings vor der nationalen Justiz ihrer jeweiligen Länder verantworten müssen. Nach Den Haag gehöre nur die Spitze.

Schweiz – Selbstbestimmungsinitiative: Die Schweizer haben die Volksinitiative "Schweizer Recht statt fremder Richter" mit etwa zwei Dritteln der Stimmen abgelehnt. Die Initiative, die von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) betrieben worden war, wollte dem Landesrecht grundsätzlich Vorrang vor internationalem Recht einräumen, wie die Mo-FAZ meldet.

EGMR – Russland: Der frühere Sprecher des russischen Verfassungsgerichts, Dmitry Kurnosov, befasst sich auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) mit der Diskussion um einen möglichen Austritt Russlands aus dem Europarat.

Sonstige

Porträt Jürgen Resch: Der Spiegel (Marc Hujer) porträtiert Jürgen Resch, den Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), die auf gerichtlichem Wege in mehreren Städten Fahrverbote durchgesetzt hat. Resch kämpfe dafür, dass Kinder, die in deutschen Innenstädten aufwüchsen, nicht zu chronischen Asthmapatienten würden, gegen eine Autoindustrie, die ihre Kunden mit schmutzigen Dieselautos betrogen habe und sich weigere, den Schaden wiedergutzumachen, und gegen Politiker, die zu feige seien, die Autoindustrie dazu zu zwingen, gibt Hujer die Motive des DUH-Vertreters wieder. Je größer die Wut von Automobilindustrie und Politik, desto wohler fühle er sich.

"Mannheimer Akte": Martin Rath erinnert auf lto.de an die Rheinschiffahrtsgerichtsbarkeit, ein System besonderer Gerichte, das mit der sogenannten "Mannheimer Akte" von 1868 etabliert wurde. Unter wechselnden politischen Verhältnissen strebten die Vertragsstaaten an, den Fluss im Rahmen eines gemeinsamen europäischen Rechts- und Wirtschaftsraums zu nutzen.

* Hier stand zuerst, dass Harbarth für die Ehe für alle gestimmt hätte. Korrigert am 27.11.2018, 11:10.

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lto/pf

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 24. bis 26. November 2018: Kooperationsverbot soll fallen / Erfolgreiche Klage gegen VW / Interview mit Carla Del Ponte . In: Legal Tribune Online, 26.11.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32311/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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