Die juristische Presseschau vom 1. bis 3. September 2018: Vor­gänge in Chemnitz / Gesetz­ent­wurf zu Abmah­nungen / Neuer Anlauf zur Miet­preis­bremse

03.09.2018

Der Generalbundesanwalt und öffentliche Stimmen befassen sich mit der rechten Mobilisierung in Chemnitz. Außerdem in der Presseschau: Die Justizministerin will gegen missbräuchliche Abmahnungen vorgehen und die Mietpreisbremse verschärfen.

Thema des Tages

Nach Demonstrationen in Sachsen: Nach Spiegel-Informationen befasst sich nun auch der Generalbundesanwalt mit den Ausschreitungen rechter Demonstranten in Chemnitz. Es sollen Vorermittlungen eingeleitet worden sein. Die Behörde interessiere vor allem, wie es zu der schnellen Mobilisierung der Rechtsextremen bei den Protesten in Chemnitz kommen konnte. Es gelte nun herauszufinden, ob und welche Strukturen sich dahinter verbergen.

Im Interview mit tagesschau.de (Klaus Hempel) fordert Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) nach den jüngsten Vorkommnissen in Sachsen zum einen ein hartes Vorgehen gegen Radikale, zum anderen aber auch ein deutliches Signal an jene, die, ohne radikal zu sein, empfänglich sind für solches Gedankengut. Es müsse klar gemacht werden: Wer an derartigen Versammlungen teilnehme, müsse es sich zurechnen lassen. Derjenige, der auf einer Demo unterwegs sei, auf der die Leute rechtsradikale Sprüche brüllten, Menschen angriffen und den Hitlergruß zeigten, der könne sich nicht mehr verstecken und sagen: "Ich bin ja nur ein besorgter Bürger", so die Ministerin.

Nach Auffassung von Reinhard Müller (Mo-FAZ) befindet sich Deutschland trotz der Geschehnisse in Chemnitz nicht im Notstand, allerdings seien Erosionen zu beobachten, die bekämpft werden müssten. Die Staatsmacht könne zwar nicht überall sein, sie dürfe aber auch nicht auf einem Auge blind sein, das gelte in beide Richtungen. Er warnt aber auch davor, von einer "Selbstverteidigung" zu reden – das Widerstandsrecht im Grundgesetz sei kein Aufruf zum Umsturz oder zur Selbstjustiz, es sei vielmehr der Appell, die staatliche Ordnung zu verteidigen, überall und jederzeit.

Heribert Prantl (sz.de) meint in seiner politischen Wochenschau, dass es gut gewesen wäre, wenn der handgreifliche Hass vom Staat nachhaltig und entschlossen bekämpft worden wäre. Dann hätte die giftige Saat nicht so aufgehen können. Die Menschenwürde, von Hassbürgern getreten, brauche Hilfe, auch von der Polizei, auch von den Strafgerichten, erklärt Prantl. In Sachsen habe sie diese Hilfe noch weniger erhalten als anderswo in den neuen Bundesländern.

Rechtspolitik

Gesetzentwurf gegen Abmahnungen: Bundesjustizministerin Katarina Barley will gegen missbräuchliche Abmahnungen vorgehen und hat dazu laut lto.de (Hasso Suliak) einen Gesetzentwurf vorgelegt. Er sieht diverse Maßnahmen vor, um missbräuchliche Abmahnungen einzudämmen: Höhere Anforderungen an die Befugnis zur Geltendmachung von Ansprüchen, die Verringerung finanzieller Anreize für Abmahnungen, mehr Transparenz sowie vereinfachte Möglichkeiten zur Geltendmachung von Gegenansprüchen.

Organspende: Die Sa-FAZ (Andreas Mihm) und die Mo-SZ (Henrike Roßbach) stellen die Pläne von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zur Reform der Regelungen zur Organspende vor.

Der wissenschaftliche Mitarbeiter Malte Mennemann meint in einem Gastkommentar auf lto.de, dass eine Widerspruchslösung zwar verfassungsgemäß sei, aber wohl zu nicht mehr Organspenden führen würde. Denn die zentralen Probleme lägen außerhalb der juristischen Sphäre: Solange sich die Situation im Klinikalltag nicht ändere, werde auch eine erhöhte Spendenbereitschaft nicht unbedingt zu höheren Spendenzahlen führen – unabhängig davon, welche gesetzlichen Vorschriften es gebe. Michaela Schwinn (Mo-SZ) findet Spahns Plan völlig richtig: Der Entwurf sei nicht nur ein Lichtblick für die Hoffenden, er könnte auch ein Signal sein für alle unentschlossenen potenziellen Organspender.

Mietrecht: Die Pläne der Bundesjustizministerin zur Verschärfung der sogenannten Mietpreisbremse stellt die Mo-SZ (Robert Roßmann) vor. Unter anderem ist vorgesehen, eine Pflicht des Eigentümers einzuführen, bei der Vermietung einer Wohnung Interessenten bereits vor Vertragsabschluss die Höhe der Vormiete mitzuteilen. Außerdem soll das Vorgehen gegen eine zu hohe Miete erleichtert werden.

Opferschutz in Kindesmissbrauchsverfahren: Die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs will das Strafverfahren in Fällen von sexuellem Kindesmissbrauch ändern. Unter anderem schlägt die Arbeitsgruppe vor, Kompetenzzentren einzurichten, damit "nicht mehr jedes der über 600 Amtsgerichte und jedes der über 100 Landgerichte in Deutschland mit Jugendschutzverfahren beschäftigt wäre". Die Zentren sollen gleich mehrere Probleme lösen, heißt es im entsprechenden Artikel im Spiegel (Ann-Katrin Müller): Die Richter und Staatsanwälte, die dort arbeiten, sollen fortgebildet werden. Und sie sollen sich vernetzen mit jenen, die für Kinder- und Jugendschutz zuständig sind. Die Verfahren sollen kürzer werden und die Gebäude so ausgestattet, dass rechtlich einwandfreie Videovernehmungen durchgeführt werden können. Betroffene müssten in den meisten Fällen dann nur einmal von ihren Erlebnissen berichten, die Aussage könnte im Anschluss mehrfach verwendet werden.

Zeitumstellung: Der Mo-FAZ-Einspruch (Werner Mussler/Melanie Marks u.a.) beschreibt das gesetzliche Verfahren, mit dem die jährliche Umstellung von Winter- auf Sommerzeit und umgekehrt abgeschafft werden könnte. Die zuständige EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc kündigte am Freitag an, ihre Behörde werde demnächst einen entsprechenden Regelungsvorschlag vorlegen.

Entkriminalisieren des Schwarzfahrens: Die Sa-taz (Luciana Ferrando) zeigt an konkreten Beispielen, die praktischen Auswirkungen der derzeitigen Rechtslage zur Beförderungserschleichung. Derzeit würden 7.000 Schwarzfahrer bundesweit eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen. Die Verfahren kosteten den Staat jährlich 200 Millionen Euro. Teilweise wird deshalb gefordert, Schwarzfahren nicht mehr als Straftat zu bewerten. Ende September soll dazu, so der Bericht, eine Anhörung im Bundestag stattfinden.

Drittes Geschlecht: Mit den Auswirkungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und des geplanten Gesetzes zum sogenannten Dritten Geschlecht auf Stellenausschreibungen befasst sich lto.de (Tanja Podolski). Nicht einmal mehr Anwälte würde es schaffen, hier alles richtig zu machen.

Justiz

LG Köln zu Haftentschädigung: Das Landgericht Köln hat einem zu Unrecht wegen Mordes Verurteilten eine Haftentschädigung von 22.800 Euro zugesprochen. Das Gericht blieb damit deutlich unter der Forderung des Klägers von 400.000 Euro. Den zugrunde liegenden Sachverhalt und die Gründe des Gerichts für den zugesprochenen Betrag erläutern lto.de und spiegel.de.

AGH Nordrhein-Westfalen – "Unwürdigkeit" einer Assessorin: Die Assessorin, der zunächst die Zulassung zur Anwaltschaft von der Rechtsanwaltskammer wegen Unwürdigkeit versagt wurde, weil sie ihren Ausbilder beleidigt hatte, kann demnächst doch Rechtsanwältin werden. Das meldet lto.de (Marcel Schneider). Die Rechtsanwaltskammer Köln meinte jetzt während der Verhandlung vor dem Anwaltsgerichtshof Nordrhein-Westfalen, dass sich die Prognose verbessert habe, weil sich die Assessorin seit ihrer Verurteilung wegen Beleidigung unauffällig verhalten und sich nichts weiter habe zuschulden kommen lassen.

Werberecht für Rechtsanwälte: In der Samstags-SZ (Sigrid Rautenberg) wird das Werberecht für Rechtsanwälte näher beleuchtet. Im Beitrag berichten vier Anwälte, wie sie Mandantenakquise betreiben.

Recht in der Welt

USA – Waffenrecht: In einem Gastkommentar auf lto.de erläutert der wissenschaftliche Mitarbeiter Friedemann Groth das amerikanische Waffenrecht. Er fordert dabei ein besseres gegenseitiges Verständnis für die andere Rechtskultur, aus der auch unterschiedliche Regelungen in Bezug auf den Besitz von Waffen entspringen.

USA – neuer Supreme-Court-Richter: Die Sa-FAZ (Majid Sattar) widmet sich noch einmal der bevorstehenden Wahl eines neuen beisitzenden Richters am Supreme Court der USA und erläutert, was die bisherigen Überprüfungen des Kandidaten, dem von Präsident Trump benannten konservativen Richters Brett Kavanaugh, ans Licht gebracht haben. Laut Sa-SZ (Hubert Wetzel) hoffen die Demokraten noch, Kavanaugh verhindern zu können, große Chancen bestehen allerdings nicht.

USA – Kindesmissbrauch durch Priester: Wie in den USA die juristische Aufklärung des Kindesmissbrauchs durch katholische Priester vorangeht, erläutert die FAS (Lydia Rosenfelder). Denn anders als in Deutschland, wo eine juristische Aufklärung aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Verjährung nicht mehr möglich ist, untersuchen in den USA die Ermittlungsbehörden die Vorfälle im weiten zeitlichen Rahmen.

Polen – Justizreform: In Polen wird, so berichtet es die Sa-SZ (Florian Hassel), die Justizreform in großer Eile fortgesetzt: 40 neue Richter wurden innerhalb kürzester Zeit nominiert, 15 weitere Stellen sollen in den kommenden Tagen besetzt werden. Experten halten das Gesetz, das die Grundlage für die Neubesetzungen bildet, genauso für verfassungswidrig wie das ausführende Organ, den sogenannten Landesrichterrat.

Im Editorial von verfassungsblog.de kritisiert Maximilian Steinbeis (in englischer Sprache) nachdrücklich die Ankündigung der polnischen Regierung, eine negative Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Justizreform ignorieren zu wollen. Er hofft, dass die EU die ihr zur Verfügung stehenden Mittel zur Rechtsdurchsetzung auch tatsächlich nutzt.

Italien – Asylrecht: Mit den rechtlichen Hintergründen rund um die Geschehnisse auf dem Flüchtlingsschiff Diciotti befasst sich Rechtsprofessor Mario Savino auf verfassungsblog.de. Erst nach Tagen durften die Flüchtlinge die Diciotti verlassen, Italiens Innenminister Matteo Salvini hatte das zuvor verhindert. Gegen ihn ermittelt nun die Staatsanwaltschaft.

Kanada – Asylrecht: Anton Rizor (Sa-FAZ) beschreibt, wie das Punktesystem des kanadischen Einwanderungsrechtes funktioniert.

Sonstiges

Vorratsdatenspeicherung: Die Sa-FAZ (Hendrik Wieduwilt) meldet, dass die Bundesregierung die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung durch den Europäischen Gerichtshof prüfen lassen will. Sie regt deshalb an, heißt es im Bericht, dass die Bundesgerichte den EuGH anrufen. Folgten die Gerichte dieser Anregung, müssten sie das Verfahren aussetzen und die Entscheidung des EuGH abwarten. Verpflichtet seien sie dazu nicht; sie könnten auch selbst entscheiden. Dann bestünde aber für längere Zeit rechtliche Unsicherheit.

Asylrecht: Jasper von Altenbockum (Sa-FAZ) meint, dass im Fall des in Chemnitz festgenommenen Irakers die ganze Misere des deutschen und europäischen Alltags im Asylrecht zutage trete. Im Wesentlichen gehe es darum, dass eine mehrmals festgestellte Ausreisepflicht nicht durchgesetzt wurde. Es sei schwierig zu erklären, warum nicht alles getan werde, um solchen Taten vorzubeugen – wer nicht in Deutschland sei, könne sie schließlich auch nicht begehen.

Unterschied Pädophilie/Kindesmissbrauch: In seiner neuen Kolumne auf meedia.de kritisiert der frühere Bundesrichter Thomas Fischer u.a. einen FAZ-Beitrag von Volker Zastrow, der sich mit der strafrechtlichen Verantwortung für Kindesmissbrauch auseinandersetzt, dabei aber, nach Fischers Ansicht, wesentliche Begriffe verwechselt.

Veröffentlichen eines Haftbefehls: Warum das Veröffentlichen eines Haftbefehls strafbar ist, erläutert jetzt auch zeit.de (Sibylle Klormann).

Rechtspopulisten und öffentlicher Dienst: Der Staat müsse den öffentlichen Dienst vor Anhängern von AfD, Pegida und anderen Rechtspopulisten schützen, meint Detlef Esslinger (Mo-SZ).  Die Demokratie dürfe Menschen, die Distanz oder gar Gegnerschaft zur Verfassung predigten, nicht unter ihren Bediensteten dulden – eine auf Distanz zum Grundgesetz stehende Partei könne die Demokratie nämlich nicht nur durch Wahlerfolge aushebeln, sondern auch dadurch, dass sie genügend Aktivisten in der Verwaltung habe.

§ 226a StGB – Genitalverstümmelung: Der frühere Bundesrichter Thomas Fischer erläutert auf spiegel.de die Regelungen des § 226a Strafgesetzbuch (StGB), die vor fünf Jahren in Kraft getreten sind.

Rechtsgeschichte – Prozesse gegen Tiere: Der Spiegel (Frank Thadeusz) berichtet von der immer noch nicht bis ins letzte Detail aufgeklärten, heute bizarr wirkenden Praxis, auch Tieren den Prozess zu machen. Dazu gehörte eine förmliche Anklage. Es wurden dabei förmliche Anklageschriften vorgelesen, den "Angekagten" wurde ein ein Verteidiger zur Seite gestellt, es wurden Zeigen befragt und das Verfahren endete mit einem Urteilsspruch und dessen Vollstreckung.

Rechtsgeschichte – Entführung nach Westberlin: Martin Rath erinnert auf lto.de an Flugzeugentführungen, die während des kalten Krieges zur Flucht von Ost- nach Westberlin genutzt wurden, und an deren juristische Aufarbeitung durch die jeweils zuständigen Besatzungsmächte.

Flugverbot für deutsches Ehepaar: Die Geschichte eines deutschen Ehepaares, das eigentlich in der Karibik Urlaub machen wollte, auf Grund eines mutmaßlichen durch die amerikanischen Behörden ausgesprochenen Flugverbotes aber nicht einmal die Maschine betreten durfte, erzählt der Spiegel (Katrin Elger/Dietmar Hipp u.a.).

 

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lto/pf

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 1. bis 3. September 2018: Vorgänge in Chemnitz / Gesetzentwurf zu Abmahnungen / Neuer Anlauf zur Mietpreisbremse . In: Legal Tribune Online, 03.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30699/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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