Die juristische Presseschau vom 27. Juli 2018: BGH zur WLAN-Stö­rer­haf­tung / BGH zu Flug­si­cher­heits­be­g­leiter / Rechts­staats­de­batte

27.07.2018

Der BGH hat den Wegfall der WLAN-Störerhaftung grds. bestätigt, ggf. müssen Betreiber aber bestimmte Seiten sperren. Außerdem in der Presseschau: Flugunternehmen müssen Sky Marshalls selbst bezahlen und Seehofer will keine "Sprachpolizei".

Thema des Tages

BGH zur Störerhaftung: Der Bundesgerichtshof hat die Abschaffung der so genannten Störerhaftung bei offenen WLAN-Netzen bestätigt. Betreiber von offenen WLANs haften danach nicht für Urheberrechtsverletzungen, die über ihren Anschluss getätigt wurden. Allerdings können sie zur Sperrung von bestimmten Inhalten und Seiten verpflichtet werden. Über die Entscheidung berichten u.a. netzpolitik.org (Simon Rebiger), SZ (Wolfgang Janisch), taz (Christian Rath) und FAZ (Hendrik Wieduwilt). swr.de (Gigi Deppe, inklusive Video mit Urteilsverkündung) weist darauf hin, dass damit auch die Praxis anwaltlicher Abmahnungen gegen offene WLANs ein Ende hat.

Rechtsanwalt Paetrick Sakowski rät in einem Gastbeitrag für lto.de WLAN-Betreibern, auch wenn derzeit nicht die Gefahr bestehe, kostenpflichtig abgemahnt zu werden, sich dennoch Gedanken über eine effektive Sperrung besonders von Tauschbörsen zu machen und diese nach Möglichkeit bereits prophylaktisch umzusetzen.

Heribert Prantl (SZ) begrüßt das Urteil. Es mache das Leben in Internet-Zeiten einfacher und bringe mehr Sicherheit in die digitale Welt. Christian Rath (taz) dagegen befürchtet, dass jetzt mit möglichen Sperransprüchen der Rechteanbieter neue Hindernisse für ein freies WLAN errichtet werden. Denn der Cafebetreiberin, die ihren Gästen ein offenes WLAN anbieten will, sei es egal, ob sie wegen der Störerhaftung verklagt werde oder weil sie die Webseiten von Tauschbörsen sperren soll. Es sei nun die entscheidende Frage, wie die Sperransprüche in der gerichtlichen Praxis gehandhabt werden. Und auch Lisa Hegemann (zeit.de) meint, dass man urheberrechtliche Verstöße nicht vermeiden würde, indem man Sperren verhänge und freies WLAN mit einem Passwort schwieriger zugänglich mache. Wer irgendwo etwas hoch- oder runterladen wolle, der werde einen Weg finden, ob über ein öffentliches Netz oder ein privates.

Rechtspolitik

Musterpolizeigesetz: lto.de befasst sich mit dem im Koalitionsvertrag vorgesehenen Projekt eines Musterpolizeigesetzes. Allerdings arbeiten verschiedene Bundesländer bereits an eigenen entsprechenden Neuregelungen, in Bayern ist das neue Polizeiaufgabengesetz sogar schon in Kraft getreten. Kritiker der Pläne befürchten eine verfassungswidrige Ausweitung von Polizeibefugnissen.

Familiennachzug: Die SZ (Constanze von Bullion) widmet sich dem am 1. August in Kraft tretenden Gesetz zur Neuregelung des Familiennachzuges zu subsidiär Schutzberechtigten. Beschrieben werden die Voraussetzungen und das Verfahren für eine Familienzusammenführung.

Justiz

EuGH zu Genschere: Die SZ (Kathrin Zinkant) fasst die Reaktionen auf die EuGH-Entscheidung zur Genschere zusammen. Die Luxemburger Richter hatten festgestellt, dass Pflanzen, die mit neuen molekularbiologischen Methoden, wie der so genannten Genschere gezüchtet werden, den Regelungen für gentechnisch veränderte Organismen unterfallen. Während der Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) und das Bundesministerium für Umwelt und das Bundeslandwirtschaftsministerium die Entscheidung begrüßten, hätten sich Pflanzenzüchter und -forscher enttäuscht gezeigt, heißt es in der SZ. Der Doktorand Felix Beck fordert auf lto.de den Gesetzgeber zum Tätigwerden auf. Gerade in der Regulierung biotechnologischer Verfahren und Erzeugnisse habe die EU über lange Zeit einen hohen Harmonisierungsgrad forciert und damit auch ein besonderes Maß an politischer Verantwortung übernommen.

EGMR zu Vaterschaftstest: Wenn das Kindeswohl entgegensteht, hat auch der mutmaßliche leibliche Vater keinen Anspruch auf einen Vaterschaftstest. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte laut spiegel.de und lto.de entschieden. Im Fall wollte der Ex-Liebhaber einer verheirateten Frau erfahren, ob er der Vater eines ihrer Kinder ist. Der Gerichtshof sah die Gefahr, dass die Familie des Kindes zerbrechen könnte, sollte eine anderweitige Vaterschaft festgestellt werden.

BGH zu Kosten von Flugsicherheitsbegleitern: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Kosten für Flugsicherheitsbegleiter – so genannte Sky Marshalls – die Luftfahrtunternehmen zu tragen haben. Wie FAZ, SZ (Wolfgang Janisch), taz.de, lto.de und zeit.de melden, hatte die Lufthansa geklagt, weil sie nicht mehr für sämtliche Kosten aufkommen wollte, insbesondere wandte sich das Unternehmen dagegen, auch die Zusatzentgelte wie Steuern, Einreise- oder Zollgebühren sowie Start- und Landeentgelte übernehmen zu müssen.

LG Potsdam zu Presseähnlichkeit: Der Rundfunk Berlin-Brandenburg hat vor dem Landgericht Potsdam im Streit mit fünf regionalen Zeitungsverlagen eine Niederlage erlitten. Das frühere Onlinenachrichtenangebot des Senders sei zu presseähnlich gewesen, so die Potsdamer Richter laut einer Meldung der taz (Leonie Gubela). Inzwischen sei das Angebot des RBB aber inhaltlich und formal weit von dem entfernt, was in der Klage angeprangert wurde, wird RBB-Chefredakteur Christoph Singelnstein im Artikel zitiert.

LG Düsseldorf – Wehrhahn-Anschlag: Im Verfahren wegen des Anschlages am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn hat die Staatsanwaltschaft eine lebenslange Haft gefordert. Bei dem Bombenanschlag waren am 27. Juli 2000 zehn Menschen aus einer zwölfköpfigen Gruppe verletzt worden, einige von ihnen lebensgefährlich. Ein ungeborenes Baby starb. Bei den Opfern handelt es sich überwiegend um Zuwanderer aus Osteuropa mit jüdischem Glauben. Die SZ (Joachim Käppner), die taz (Anett Selle) und spiegel.de blicken auf den bisherigen Prozessverlauf zurück.

LG Meiningen zu Kindesmissbrauch: Das Landgericht Meiningen hat eine Frau und einen Mann wegen schweren Missbrauchs von Kindern zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Frau hatte ihre eigene Tochter ihrem Bekannten für sexuelle Dienste angeboten. spiegel.de berichtet über den Fall.

VG Berlin zu Tattoos bei Polizeibewerber: Selbst großflächige Tattoos sind kein Hindernis bei einer Bewerbung für die Berliner Polizei. Das hat laut taz.de und lto.de das Verwaltungsgericht Berlin entschieden. Die Dienstvorschrift, die derzeit den Umgang mit Tätowierungen regelt und die Ablehnung von Bewerbern im Einzelfall ermöglichen soll, reiche als Rechtsgrundlage nicht aus, so das Gericht. Geklagt hatte ein 26-jähriger Bewerber, der wegen der Größe und Vielzahl seiner sichtbaren Tätowierungen von der Polizei abgelehnt worden war.

Recht in der Welt

Japan – Aum-Sektenanhänger hingerichtet: Wie spiegel.de meldet, wurden in Japan am Donnerstag sechs weitere Mitglieder der Aum-Sekte hingerichtet. Sie waren wegen des Anschlags in der Tokyoter U-Bahn 1995 zum Tode verurteilt worden.

Österreich – Gerichtsentscheidung zu Identitärer Bewegung: Das Landgericht Graz hat einer Meldung von zeit.de zufolge 17 Angeklagte, die der identitären Bewegung angehören sollen, vom Vorwurf der Verhetzung und der Bildung einer kriminellen Vereinigung freigesprochen. Den Angeklagten war vorgeworfen worden, eine fremdenfeindliche Ideologie zu verbreiten. Das Gericht meinte jetzt aber, dass die Anklagepunkte der nötigen Grundlage entbehrten.

Frankreich – "Fake-news"-Gesetz: Amelié Heldt stellt auf juwiss.de den Entwurf für ein Gesetz gegen "Informationsmanipulation" vor, mit dem der französische Gesetzgeber gegen Falschinformationen vorgehen will.

Israel – neues Nationalstaatsgesetz: Jochen Stahnke befürchtet im Leitartikel der FAZ, dass sich Israel mit seinem neuen Nationalstaatsgesetz "auf einen dunklen Weg" begeben könnte. Unter anderem kritisiert er, dass unklar bleibe, in welchen physischen Grenzen das neue Gesetz überhaupt gelten soll. Wenn die Verfassung jüdische Besiedlung zu einem nationalen Wert erklärt und die besetzten Gebiete des Westjordanlandes davon nicht ausnimmt, dann lasse das eine Auslegung zu, nach der Juden im Bau- und im Wohnrecht Vorrang vor israelischen Bürgern anderer Religionszugehörigkeit und vor Palästinensern genießen würden.

Luxemburg – neues Transgender-/Transsexuellengesetz: In Luxemburg wurde kürzlich ein Gesetz verabschiedet, das die Änderung des Geschlechts oder des Namens erleichtert. Fortan bedürfe es, so heißt es in der SZ (Anna Reuß), keiner ärztlichen Atteste oder eines medizinischen Eingriffs durch Operation oder Hormonbehandlung mehr, um sein Geschlecht oder seinen Namen offiziell zu ändern. Man müsse lediglich einen Antrag beim Justizministerium einreichen. Früher war noch mindestens die Bescheinigung eines Arztes nötig.

Meredith Haaf (SZ) meint, es sei eine fundamentale Freiheit, selbst zu sagen, wie man leben will. Das luxemburgische Gesetz sei ein großartiges Zeichen der Offenheit in der politischen Landschaft Europas, die sich derzeit so oft so verschlossen gebe.

Sonstiges

Rechtsstaatsdebatte – Voßkuhle/Seehofer: Die Kritik des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes Andreas Voßkuhle an der Asylrethorik führender CSU-Repräsentanten ist nicht reaktionslos geblieben. Voßkuhle hatte unter anderem gesagt, er halte die Rede von der "Herrschaft des Unrechts" für inakzeptabel. Bundesinnenminister Horst Seehofer hat die Kritik zurückgewiesen. Der "Präsident eines solchen Gerichts" sollte "nicht Sprachpolizei sein", sagte Seehofer der SZ, wie es in ebendieser heißt. Im Gespräch mit der FAZ (Helene Bubrowski/Timo Frausch u.a.) hat der Innenminister und CSU-Vorsitzende zur sprachlichen Mäßigung unter Beibehaltung des inhaltlichen Kurses geworben. "Wir müssen Kurs halten, allerdings in einer angemessenen Sprache", so Seehofer in dem Interview.

Reinhard Müller (FAZ) meint, dass die deutlichen Worte ihren Zweck erfüllt haben. Es sei kein Zufall, dass die CSU sich in jüngster Zeit mäßigere. Simone Schmollack (taz) findet es richtig, dass Voßkuhle sich auf das fremde Terrain der Kommunikationswissenschaften begibt. Er weise die rechten Außenseiter von AfD, CSU und andere populistische Hetzer in ihre Schranken und spreche aus, was viele Demokraten denken würden: Kann das endlich mal aufhören mit all den rhetorischen Entgleisungen, unreflektierten Verbalkeulen und Beleidigungen? Voßkuhle versuche, so Schmollack, diese überhitzte und zu weiten Teilen inhumane Kommunikationskultur zurückzuführen in eine angemessene, ernsthafte Auseinandersetzung mit einem globalen Problem.

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/pf

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 27. Juli 2018: BGH zur WLAN-Störerhaftung / BGH zu Flugsicherheitsbegleiter / Rechtsstaatsdebatte . In: Legal Tribune Online, 27.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30011/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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