Die juristische Presseschau vom 21. bis 23. Juli 2018: Mal­gorzata Gers­dorf in Karls­ruhe / BVerfG - Fixie­rungen in der Psy­ch­ia­trie / Weiter Dis­kus­sion um Sami A.

23.07.2018

Die Präsidentin des polnischen Obersten Gerichtes berichtet in Karlsruhe über die Justizreform und wird zuhause kritisiert. Außerdem in der Presseschau: BVerfG entscheidet über psychiatrische Fixierungen und Debatte um Sami A. geht weiter.

Thema des Tages

Polnische Gerichtspräsidentin in Karlsruhe: In der vergangenen Woche war die in den Zwangsruhestand versetzte Präsidentin des polnischen Obersten Gerichtes Malgorzata Gersdorf auf Einladung des Bundesverfassungsgerichtes und des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe und hat damit prompt den Unmut des polnischen Justizministers Zbigniew Ziobro auf sich gezogen, wie die Montags-SZ meldet. Das seien Versuche, uns zu diktieren, wie wir unser polnisches Recht zu interpretieren und wie wir unsere Justiz zu gestalten haben, wird der Minister aus einem Fernsehinterview zitiert. Gersdorf hatte in Karlsruhe über ihre Situation und die ihrer durch die gesetzliche Absenkung des Pensionsalters ebenfalls nicht mehr im Amt befindlichen Kollegen gesprochen. Sie habe sich als Kämpferin präsentiert, sagt sz.de (Wolfgang Janisch) in einem ausführlichen Bericht über den Besuch. So sieht sich Gersdorf trotz ihrer Abberufung weiterhin als Präsidentin des Gerichtes und beruft sich dabei auf die Verfassung, die die Amtszeit von Gerichtspräsidenten schützt, heißt es in einem entsprechenden Artikel auf lto.de. In ihrem Widerstand erhält sie Unterstützung von deutscher Seite – BGH-Präsidentin Bettina Limperg und BVerfG-Richter Johannes Masing hätten sich demonstrativ an die Seite der polnischen Kollegin gestellt. Die Entlassung sei der vorläufige und dramatische Höhepunkt einer Entwicklung, die nur als katastrophal bezeichnet werden könne, so Limperg.

Im Editorial des verfassungsblog.de erläutert Maximilian Steinbeis, warum es die PiS-Regierung so eilig hat, die Gerichtspräsidentin unbedingt loszuwerden.

Rechtspolitik

Einwanderungsgesetz: Die FAS (Ralph Bollmann) befasst sich mit dem geplanten Einwanderungsgesetz. Danach hat Bundesinnenminister Seehofer angekündigt, bereits nach der Sommerpause Eckpunkte für ein solches Gesetz vorzulegen, im Dezember soll der Gesetzentwurf dann vom Bundeskabinett beschlossen werden. Die FAS lässt noch einmal die Vorgeschichte und bisherigen Ansätze für ein Einwanderungsgesetz Revue passieren.

Datenschutz und Verbandsklage: Darauf, dass mit der Umsetzung der Brüsseler Vorschläge zum kollektiven Rechtsschutz künftig auch Verbandsklagen im Datenschutzrecht möglich sein könnten, weist die wissenschaftliche Mitarbeiterin Zsofia Vig auf zpoblog.de hin. Allerdings sei noch nicht abzusehen, ob und inwieweit dies in der Praxis erhebliche Auswirkungen zur Folge haben werde bzw. ob tatsächlich von einer neuen Dimension der kollektiven Rechtsdurchsetzung die Rede sein könne.

Kennzeichnungspflicht für Polizisten: Marlene Grunert (FAS) stellt ein strukturelles Problem im Umgang mit Polizeigewalt fest. Ein Mittel, um in solchen Vorfällen überhaupt ermitteln zu können, sieht sie in einer Kennzeichnungspflicht für Polizisten. Acht Bundesländer haben eine solche Pflicht bereits eingeführt, acht würden sich noch wehren. Wer das Gewaltmonopol innehabe, so Grunert, sich aber gegen Kontrolle sträube, der nähre gerade den Verdacht, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugehe.

Whistleblowing: Bastian Obermayer (Mo-SZ) fordert ein europäisches Whistleblowerschutzgesetz. Anlass ist der mittlerweile fünf Jahre dauernde Aufenthalt von Edward Snowden in Moskau. Man brauche kein eigenes Lex Snowden, aber mit einem Whistleblower-Gesetz, das ein Asyl einschließe, würde die EU zeigen, dass sie auf der Seite der Wahrheit stehe.

Justiz

BVerfG – psychiatrische Fixierungen: Im Wissenschaftsteil beschreibt die FAS (Nike Heinen) worum es bei einem für Dienstag angekündigten Richterspruch des Bundesverfassungsgerichtes geht: In zwei Verfassungsbeschwerden machen die jeweils Betroffenen geltend, sie seien in ihren Rechten verletzt worden, weil sie ohne richterliche Entscheidung in psychiatrischen Einrichtungen über mehrere Stunden fixiert worden seien.

BVerfG zum Prüfumfang im Eilrechtsschutz: Dass die Fachgerichte im Eilverfahren nur ausnahmsweise voll durchprüfen müssen, hat das Bundesverfassungsgericht laut lto.de in einem Beschluss Ende Juni festgestellt. Die Sach- und Rechtslage müssten die Gerichte nur umso eingehender prüfen, je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist. Geklagt hatte ein Mann, der einen Anspruch auf Cannabiskonsum zu medizinischen Zwecken durchsetzen wollte und seine Argumente im Eilrechtsverfahren nicht ausreichend gewürdigt sah.

VG Gelsenkirchen – Sami A.: Der Spiegel (Jürgen Dahlkamp/Jörg Diehl u.a.) stellt noch einmal detailliert die Chronik der Abläufe um die Abschiebung von Sami A. nach Tunesien dar. Die Autoren sind sich sicher, dass das VG Gelsenkirchen, das am Vorabend der Abschiebung noch einen Abschiebestopp beschlossen hatte, aus politischem Kalkül ausgetrickst wurde. Sie haben auch mit dem zuständigen tunesischen Richter gesprochen, der versichert, dass Sami A. keine Folter drohe. Die Sa-SZ (Christian Wernicke) berichtet von der Sonderausschusssitzung des nordrhein-westfälischen Rechts- und Integrationsausschusses, in der Joachim Stamp (FDP), Minister für Familie und Flüchtlinge in NRW, "die persönliche Verantwortung" übernommen hatte. Zugleich bestritt er aber, die Justiz hintergangen zu haben. Kritik kam von der Opposition im Landtag, wie lto.de meldet. SPD und die Grünen warfen der Regierung vor, die Gewaltenteilung verletzt zu haben.

Heribert Prantl (Sa-SZ) findet heftige Worte für das Vorgehen der Behörden am Gericht vorbei: Es sei eine "Sabotage des Rechtsstaates" und "drastische Kundgabe der Missachtung". Wenn sich das häufe, zerbreche der Rechtsfrieden, der darauf beruhe, dass die anderen Staatsgewalten die Autorität des Rechts so anerkennen, wie sie von den Gerichten verkörpert werde – und zwar auch dann, wenn ihnen die Entscheidung nicht passe, so Prantl. Reinhard Müller (Mo-FAZ) meint dagegen, dass die Abschiebung von Sami A. zwar fragwürdig, aber kein Rechtsbruch gewesen sei. Man sollte dieses Verdikt erst nach sorgsamer Abwägung stellen und für Fälle aufsparen, die es wirklich verdienten. In einem Gastbeitrag in der WamS fragt Wolfgang Kubicki, stellvertretender Bundestagspräsident und stellvertretender FDP-Vorsitzender, wohin es führen könne, wenn sich in Deutschland Gerichte nicht mehr darauf verlassen könnten, dass Behörden ihnen gegenüber die Wahrheit erklären. Fänden sich für dieses Beispiel Nachahmer, zerfielen die Grundlagen unseres Gemeinwesens schneller als wir ahnten, so Kubicki.

Klage auf Dieselfahrverbote: Der Umweltverband BUND hat, so berichtet es die Sa-taz (Sven-Michael Veit), angekündigt, gegen die Stadt Hamburg klagen zu wollen, weil diese die Forderung nach flächendeckenden Fahrverboten für ältere Dieselfahrzeuge abgelehnt habe. Hamburg habe fälschlicherweise die Sperrung ganzer Zonen für Dieselfahrzeuge gar nicht geprüft, kritisiert der Verband.

StA Berlin – Immobilienbeschlagnahmen: Die Berliner Staatsanwaltschaft hat in der vergangenen Woche insgesamt 77 Immobilien beschlagnahmt, die einem so genannten Großclan gehören sollen. Die FAS (Livia Gerster) beschreibt die Hintergründe solcher kriminellen Clans, mit denen sich der deutsche Staat bereits seit dreißig Jahren "herumschlagen muss".

OLG München zum NSU: Thomas Fischer seziert auf spiegel.de noch einmal den NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München, dabei vor allem die öffentlichen Reaktionen der verschiedenen direkt und indirekt Beteiligten: Verteidiger, Nebenklagevertreter und insbesondere der Journalisten.

Recht in der Welt

Spanien – Verteilungsquote Flüchtlinge: In der vergangenen Woche hat das spanische Oberste Gericht auf die Klage einer Nichtregierungsorganisation hin, geurteilt, dass die spanische Regierung die europäischen Umverteilungsmechanismen während der sogenannten "Flüchtlingskrise" in den Jahren 2015 bis 2017 verletzt hat. Auf verfassungsblog.de untersucht Professor David Moya, welche Konsequenzen diese Entscheidung haben könnte und zwar auch in jenen anderen Mitgliedstaaten, die weniger Flüchtlinge aufgenommen haben, als sie nach der Quote hätten müssen.

IStGH – Zuständigkeitserweiterung: Seit dem 17. Juli 2018 ist der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag nicht mehr nur für die strafrechtliche Beurteilung von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Kriegsverbrechen zuständig, sondern muss sich künftig auch um Verbrechen der Aggression kümmern. lto.de (Christian Rath) erläutert, wie es zur Erweiterung der Kompetenzen kam und was sie bedeutet.

Türkei – Präsidentenbeleidigung: Der Doktorand Cem Tecimer befasst sich auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) mit den türkischen Strafregeln zur Präsidentenbeleidigung. Danach drohen hierfür in der Türkei Haftstrafen von ein bis sechs Jahren, währenddessen die Beleidigung einer "normalen" Person lediglich mit sechs Monaten bis zu zwei Jahren geahndet wird.

Spanien/Deutschland – Fall Carles Puigdemont: Wie lto.de vermeldet, hat das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein den Auslieferungshaftbefehl gegen Carles Puigdemont aufgehoben, nachdem die spanische Justiz am Donnerstag auf eine Auslieferung verzichtet hatte.

Sonstiges

Rechtsstaat in Europa: Im lto-Podcast spricht Michael Reissenberger mit dem Bundesverfassungsrichter Peter Müller über die Situation des Rechtsstaates in Europa und dessen Gefährdungen.

Porträt Detlef Burhoff: njw.de (Joachim Jahn) porträtiert den früheren Richter und jetzigen Publizisten und Blogger Detlef Burhoff, der 2008 aus eigenem Entschluss, wie er betont, den Justizdienst verlassen hat und seitdem Bücher schreibt und im Internet aktiv ist.

Hund im Büro: Dem Thema "Hund am Arbeitsplatz" widmet sich in mehreren Beiträgen die Sa-taz. Christian Rath erläutert dabei, was rechtlich zulässig ist, sowohl seitens des Arbeitgebers, als auch des Arbeitnehmers.

80 Jahre Ausweispflicht: lto.de (Martin Rath) erinnert daran, dass die heute weitgehend anerkannte und akzeptierte Ausweispflicht auf eine Verordnung aus dem Jahre 1938 zurückgeht. Damals sei damit ein überwachungsstaatliches Modell durchgesetzt worden, das seither nie wieder grundsätzlich in Frage gestellt, sondern vielfach erweitert und technisch verfeinert wurde.

 

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lto/pf

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 21. bis 23. Juli 2018: Malgorzata Gersdorf in Karlsruhe / BVerfG - Fixierungen in der Psychiatrie / Weiter Diskussion um Sami A. . In: Legal Tribune Online, 23.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29905/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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