Deniz Yücel ist nicht mehr in Einzelhaft – er kann jetzt zumindest einen Mitgefangenen treffen. Außerdem in der Presseschau: SPD-, Grünen- und Linkenfraktion wollen § 219a abschaffen und am Freitag beginnt das Loveparade-Verfahren.
Thema des Tages
Deniz Yücel – Einzelhaft gelockert: Am Sonntag hat der Rechtsanwalt des seit Februar in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel mitgeteilt, dass die Haftbedingungen seines Mandanten gelockert worden seien. Wie Montags-Welt (Daniel-Dylan Böhmer) berichtet, ist Yücel in eine Zelle verlegt worden, die über einen kleinen Innenhof mit zwei anderen Zellen verbunden ist. In einer davon sitzt der Journalist Oğuz Usluer, der für die türkische Tageszeitung "Habertürk" gearbeitet hat. Bundesjustizminister Heiko Maas begrüßte die Lockerung, wies aber auch darauf hin, dass die Bemühungen für eine Freilassung von Deniz Yücel unvermindert fortgesetzt werden.
In der vergangenen Woche hat die türkische Regierung die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geforderte Stellungnahme abgegeben. Deniz Yücel hatte dort Beschwerde gegen seine Inhaftierung erhoben. U.a. die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch), taz.de (Christian Rath) und Samstags-Welt (Daniel-Dylan Böhmer, gekürzte Fassung hier) fassen die Argumente der türkischen Regierung zusammen. Diese ist der Ansicht, dass die Ermittlungen gegen Yücel nichts mit seiner Tätigkeit als Journalist zu tun haben. Vielmehr bestehe der dringende Verdacht, dass Yücel in Einklang mit den Zielen von Terrororganisationen gehandelt und "Propaganda zugunsten der Terrororganisation verbreitet und Handlungen ausgeführt habe, um einen Konflikt zwischen türkischen und kurdischen Gesellschaftsgruppen anzuzetteln".
Gigi Deppe (SWR) meint in ihrem Kommentar, dass die Stellungnahme offenbare, wie wenig die Verantwortlichen von Pressefreiheit verstünden. Sie zeige auch das vordemokratische Verständnis in der Türkei: Einen Regierungschef dürfe man nicht kritisieren, schon gar nicht auf polemische Weise.
Rechtspolitik
Hintertür für digitale Geräte: Bundesinnenminister Thomas de Maizière will, dass private Computer, heimische Fernseher und alle anderen digitalen Geräte bereits von den Herstellern mit einer Hintertür ausgestattet werden, die Geheimdiensten und der Polizei den Zugriff erlaubt. Das gehe aus einer Beschlussvorlage für die in dieser Woche stattfindende Innenministerkonferenz hervor, heißt es auf netzpolitik.de (Markus Reuter). Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC), der in dem Artikel zitiert wird, hält die Pläne für einen "Frontalangriff auf die digitale und physische Sicherheit aller Bürger". Der Zwang zu Software-Hintertüren bedeute, dass in Zukunft jedes Alltagsgerät ganz legal aus der Ferne zu einer Geheimdienst-Wanze gemacht werden könne.
Diskussion um § 219a StGB: SPD-, Grünen- und Linkenfraktion im Bundestag wollen laut Samstags-SZ (Ulrike Heidenreich, Ronen Steinke) den § 219a StGB, der die Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellt, abschaffen. Bundesjustizminister Heiko Maas hat sich der Forderung angeschlossen. Auch auf Landesebene gebe es eine entsprechende Initiative – wie der Spiegel (Ann-Katrin Müller) meldet, bereitet der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt einen Bundesratsentwurf vor. Strikt gegen die Abschaffung ist die CSU. Einer Meldung der Montags-FAZ (Reinhardt Müller) zufolge hat sich der bayerische Innenminister Winfried Bausback hier klar positioniert. Eine Aufhebung des Werbeverbots hätte nach Bausbacks Ansicht zur Folge, "dass Schwangerschaftsabbrüche regulierungsfrei beworben werden dürften – und sei es in noch so anstößiger und kommerzialisierender Art und Weise". Das sei mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unvereinbar, heißt es in der FAZ.
Berliner Neutralitätsgesetz: Wie der Tagesspiegel (Ulrich Zawatka-Gerlach) berichtet, haben sich die Berliner Grünen auf ihrer Landesmitgliederversammlung für eine Änderung des Neutralitätsgesetzes ausgesprochen. Muslimischen Lehrerinnen solle es künftig erlaubt sein, in der Schule ein Kopftuch zu tragen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei ein "pauschales Kopftuchverbot nicht mehr zu halten", heißt es in dem am Sonnabend gefassten einstimmigen Beschluss.
Bert Schulz (Montags-taz) kommentiert den Beschluss. Zwar meint auch er, dass die bisherige Regelung rechtlich kaum mehr haltbar sei, fordert aber zunächst eine breite gesellschaftliche Diskussion, in der es um belastbare Regelungen gehen müsse, vor allem aber um die Frage des Vertrauens in Religionen, womit nicht nur der Islam gemeint sei.
Rückkehrrecht in Vollzeittätigkeit: In der Montags-SZ spricht sich der Wirtschaftswissenschaftler Enzo Weber dafür aus, nach einer Absenkung der wöchentlichen Arbeitszeit auch ein Rückkehrrecht in die Vollzeittätigkeit gesetzlich vorzusehen. Das diene nicht nur dem Arbeitnehmer selbst, sondern auch dem Arbeitgeber und der Volkswirtschaft insgesamt.
Justiz
LG Duisburg – Loveparade-Verfahren: In dieser Woche beginnt der Prozess um die Verantwortlichkeiten für das Loveparade-Unglück im Jahr 2010. Nachdem das Landgericht Duisburg zunächst die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnte, hatte die Beschwerde gegen den Nichteröffnungsbeschluss der Staatsanwaltschaft und Nebenkläger vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf Erfolg. Insgesamt müssen sich ab Freitag zehn Angeklagte verantworten. Der Spiegel (Martin Hesse, Julia Jüttner u.a.) befasst sich mit den Anklagevorwürfen, während sich die FAS (Reiner Burger) und die Montags-SZ (Thomas Bärnthaler, Christoph Cadenbach) einigen der Opferangehörigen widmen.
Josef Christ neuer BVerG-Richter: Der Bundespräsident hat laut lto.de am Freitag dem bisherigen Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichtes Josef Christ die Ernennungsurkunde zum Richter des Bundesverfassungsgerichtes überreicht. Der 61-Jährige löst Wilhelm Schluckebier ab, der nach elf Jahren aus Altersgründen ausscheidet. Der von CDU und CSU vorgeschlagene Christ ist der erste Verfassungsrichter, der nach der entsprechenden Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes von 2015 vom gesamten Plenum des Bundestags gewählt wurde.
OLG Hamm – peruanischer Bauer vs. RWE: Das Oberlandesgericht Hamm hat im Verfahren des peruanischen Kleinbauers gegen RWE die Beweisaufnahme angeordnet. Auf lto.de meint der Rechtsprofessor Felix Ekardt von der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik, dass sich durch die Anerkennung von Klimawandelfolgen im Haftungsrecht das Zivil- und Strafrecht ändern und dies zu einem grundlegenden Umdenken in Unternehmen und Politik führen könnte.
LG Dortmund – Anschlag auf BVB-Bus: Noch in diesem Monat beginnt der Prozess gegen Sergej W., den mutmaßlichen Täter des Anschlags auf den Mannschaftsbus des Fußballclubs Borussia Dortmund. Der Spiegel (Rafael Buschmann, Jörg Diehl u.a.) fasst die Ermittlungen in einer ausführlichen Reportage zusammen.
AG Frankfurt/M. zum Ersatzanspruch bei verspätetem Fluggepäck: Auch wenn das Fluggepäck verspätet ankommt, müssen die geltend gemachten Ersatzbeschaffungen angemessen sein. Das hat laut einer Meldung von lto.de das Amtsgericht Frankfurt/M. entschieden. Ein Fluggast, dessen Gepäck erst am nächsten Tag ankam, hatte Bekleidung und Kosmetik für 1.300 Euro eingekauft und wollte diese Summe dann von der Fluggesellschaft ersetzt haben. Das AG wies seine Klage ab – die Fluggesellschaft müsse nur die Aufwendungen ersetzen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Reisenden für zweckmäßig und erforderlich halten durfte.
LAG Berlin-Brandenburg zur Bezahlung von Überstunden: Die Rechtsanwältin Regina Steiner erläutert in der Samstags-FAZ eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes Berlin-Brandenburg vom Juni 2017. Die Richter meinten darin – entgegen der Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes – dass nicht der Arbeitnehmer nachweisen müsse, dass der Arbeitgeber die Überstunden veranlasst habe. Der Arbeitgeber sei vielmehr "Herr im eigenen Betrieb" und könne durch seine Büroorganisation sicherstellen, dass keine Überstunden geleistet würden. Tue er das nicht, gebe er damit zu verstehen, dass ihm die geleisteten Überstunden zumindest egal sind. Dann müsse er sie auch vergüten.
Recht in der Welt
Spanien – katalanische Politiker vor Gericht: Wie die Samstags-SZ (Thomas Urban) berichtet, haben zehn katalanische Politiker am Freitag vor dem Obersten Spanischen Gericht in Madrid zugesichert, dass sie in Zukunft die spanische Verfassung respektieren würden. In den Befragungen, die jeweils 20 Minuten dauerten, ging es darum, ob die acht Minister und zwei Unabhängigkeitsaktivisten gegen Kaution auf freien Fuß kommen und sich aktiv am Wahlkampf für die auf den 21. Dezember vorgezogenen Neuwahlen beteiligen können. In dem Artikel wird auch auf die wachsende Kritik am Vorgehen der spanischen Regierung hingewiesen. So werde in einer von Juraprofessoren aus Madrid und Granada initiierten Resolution, die mehr als 100 Verfassungs- und Strafrechtsexperten aus ganz Spanien unterzeichnet haben, auf schwere Rechtsmängel in den Verfahren gegen die katalanische Führung hingewiesen.
USA – VW-Affäre: In einem Artikel des Spiegel (Simon Hage) heißt es, dass dem in den USA inhaftierten Ex-Volkswagen-Manager Oliver Schmidt eine hohe Haftstrafe drohe. Prozessbeobachter rechneten mit einer Freiheitsstrafe von mindestens vier Jahren und einer Geldstrafe. Zwar zeige sich Schmidt geständig, anders als der bereits verurteilte James Liang habe er die Aufklärung der VW-Affäre aber nicht wesentlich vorangetrieben.
USA/Türkei – Prozess gegen Reza Zarrab: In der vergangenen Woche begann der Prozess gegen den iranisch-türkischen Goldhändler Reza Zarrab in den USA. Ihm werden Verstöße gegen Sanktionsbestimmungen und Geldwäsche vorgeworfen, er soll dabei mit Wissen und Billigung der türkischen Regierung gehandelt haben. Die Samstags-SZ (Luisa Seeling) und Samstags-FAZ (Rainer Hermann) fassen die Hintergründe zusammen.
Juristische Ausbildung
Zum Frauenbild in Examensklausuren: Die Montags-SZ (Christoph Fuchs) berichtet über eine Studie der Juristin Dana-Sophie Valentiner, in der diese knapp 100 Übungs- und Examensklausuren der beiden Hamburger Jura-Fakultäten auf das dahinterliegende Frauenbild untersucht hat. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Frauen in den Fällen "meist als Anhängsel eines Mannes, die sich nur für Schuhe und Handtaschen interessieren", vorkommen. Bereits vor 40 Jahren gab es eine ähnliche Studie, deren Ergebnisse den jetzigen teilweise erschreckend ähneln, heißt es im Artikel.
Sonstiges
Journalisten und die AfD: Ursprünglich hatte die AfD vorgesehen, nur Journalistinnen und Journalisten zu ihrem Bundesparteitag zuzulassen, die sich einverstanden erklären, dass besonders sensible Angaben über ihre rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen, Gewerkschaftszugehörigkeit, Gesundheit oder Sexualleben von der AfD gespeichert werden. Rechtsprofessor Joachim Wieland befasst sich auf verfassungblog.de mit der Frage, ob das Grundgesetz eine solche Einschränkung für die Akkreditierung erlaubt. Nein, meint der Autor, eine Partei dürfe die Akkreditierung von Journalisten nicht nach ihrem Belieben von deren Bereitschaft zur Preisgabe höchstpersönlicher Daten abhängig machen und sich so die Grundlage für eine Auswahl ihr genehmer Journalisten und in der Folge einer ihr genehmen Berichterstattung zu schaffen.
Zugang zu Suizidmitteln: In der Montags-FAZ befassen sich der Rechtsprofessor Steffen Augsberg und der Theologieprofessor Peter Dabrock mit der aktuellen Rechtslage zur Suizidhilfe. Hintergrund ist die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom Beginn diesen Jahres, in der festgestellt wurde, dass der Zugang zu einem Betäubungsmittel, das eine schmerzlose Selbsttötung ermöglicht, in extremen Ausnahmesituationen nicht verwehrt werden darf. Die Autoren kritisieren das Urteil nachdrücklich und meinen, dass dem Gericht aus juristischer und ethischer Sicht grundlegende Fehleinschätzungen unterlaufen seien. Statt den Zugang zu entsprechenden Mitteln zu ermöglichen, plädieren sie dafür, auf eine breit angelegte Palliativversorgung, Gerontologie und solidarische Lebenspraxis zu setzen.
Weihnachtsamnestie in Berlin: Der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt hat die vorzeitige Entlassung von 156 Gefängnisinsassen, darunter 11 Frauen, veranlasst. Die Zahl derjenigen, die vom diesjährigen vorweihnachtlichen Gnadenerweis profitieren, ist damit fast doppelt so hoch wie noch vor einem Jahr, meldet die Montags-taz.
Von Leichentrauung und Totenscheidung: Martin Rath erinnert auf lto.de u.a. an ein Nachkriegsgesetz, das eine Eheschließung sogar noch nach dem Tod eines der Partner erlaubte, wenn dies vorher aufgrund der Rassegesetzgebung des Dritten Reiches nicht möglich war oder durch die Staatsanwaltschaft oder gerichtliches Urteil eine Ehe für nichtig erklärt wurde.
Das Letzte zum Schluss
Wohnzimmer als Energieunternehmen? Wer einen Freund bei sich zu Hause ein Handy aufladen lässt, müsse künftig mit einem Bußgeld von bis zu 50.000 Euro rechnen, befürchtet der Präsident des Eigentümerverbandes Haus & Grund, Kai Warnecke. Dass er damit ziemlich danebenliegt, erläutert der akademische Mitarbeiter Simon Gauseweg auf lto.de. Grund für den Irrtum ist, so der Autor, ein Fehler in der Auslegung der Marktstammdatenregisterverordnung: Wer einen anderen an die eigene Steckdose lässt, wird damit noch nicht zum Stromlieferanten, so Gauseweg. Er stellt bei dieser Gelegenheit auch gleich noch einmal die Auslegungsmethoden zusammen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 2. bis 4. Dezember 2017: Einzelhaft von Deniz Yücel gelockert / Diskussion um § 219a StGB / Das Loveparade-Verfahren beginnt . In: Legal Tribune Online, 04.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25827/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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