Ärztin wegen Werbung mit Abtreibungen vor Gericht. Außerdem in der Presseschau: Muslim muss Ordnungsgeld für Nichterheben vor Gericht dulden, Sachverständige zahlt Schmerzensgeld für falsches Gutachten und Til Schweigers Meinungsfreiheit.
Thema des Tages
AG Gießen – Werbung mit Abtreibungen: Am heutigen Freitag beginnt vor dem Amtsgericht Gießen das Strafverfahren gegen die Ärztin Kristina H. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, mit Schwangerschaftsabbrüchen zu werben. Die SZ (Oliver Klasen) schildert das in § 219a Strafgesetzbuch normierte Verbot und die rechtspolitischen Auseinandersetzungen von Abtreibungsgegnern und -befürwortern. Liberale Juristen argumentierten etwa, die Norm widerspreche der Rechtslogik, indem sie medizinische Leistungen kriminalisiere. H. selbst kritisiert die Strafbarkeit der Werbung mit Schwangerschaftsabbrüchen, da Frauen sich nicht neutral und selbstständig informieren könnten.
"Es ist an der Zeit, wieder über §§ 218ff StGB zu sprechen. Und im Lichte der Menschenrechte zu handeln." Die Professorin für Gender im Recht Ulrike Lembke setzt sich auf lto.de ausführlich mit den praktischen Konsequenzen auseinander, die eine Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs mit sich bringt. Deutschland stehe bei der Umsetzung des Menschenrechts auf reproduktive Gesundheit weit zurück.
Rechtspolitik
Polizeigesetz BaWü: Ein "polizeiliches Wunschkonzert mit erheblichem Auslegungsspielraum und Missbrauchspotenzial" – die wissenschaftliche Mitarbeiterin Judith Sikora wirft für juwiss.de einen kritischen Blick auf die geplanten neuen Befugnisse der baden-württembergischen Polizei. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) will wegen der hohen Terrorgefahr unter anderem die präventiv-polizeiliche Telekommunikationsüberwachung ausweiten und Polizisten den Einsatz von Explosivmitteln ermöglichen.
Familiennachzug: Wie zeit.de notiert, arbeiteten die Bundestagsfraktionen von FDP und AfD an Gesetzesinitiativen, um den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte weiterhin auszusetzen. Sollte die betreffende Regelung des Asylpakets II nicht verlängert werden, läuft sie Mitte März des kommenden Jahres aus.
Gescheiterte Jamaika-Sondierungen: "Aus für Jamaika – was sieht das Grundgesetz jetzt vor?" Der wissenschaftliche Mitarbeiter David Dworzynski erläutert auf juwiss.de, warum der verfassungsrechtliche Weg zu Neuwahlen oder einer Minderheitsregierung "nicht ganz so einfach" sei.
E-Privacy-Verordnung: Die Gesetzgebung hinke der technischen Realität hinterher, moniert Andrian Kreye (SZ) mit Blick auf den Konsens des EU-Parlaments in Sachen E-Privacy. Die geplante Zustimmungspflicht für Cookies unterstütze die Monopolstellung großer Konzerne wie Facebook und Google – andere Webseiten hingegen litten unter den "Klickschranken". Die großen Konzerne zählten zum digitalen Alltag, weshalb die Nutzer hier die "rasterfahndungsähnlichen Nutzerprofile" akzeptierten, was langfristig auch den Verbrauchern schade.
Justiz
BVerfG zu Erheben nur für Allah: Ein muslimischer Angeklagter hatte sich beharrlich geweigert, zur Urteilsverkündung aufzustehen – er dürfe sich aus religiösen Gründen nur für Allah erheben. Seine Verfassungsbeschwerde gegen das daraufhin ergangene Ordnungsgeld hat das Bundesverfassungsgericht in einem nun veröffentlichten Beschluss als unzulässig abgewiesen. Er habe nicht hinreichend dargelegt, warum die Maßnahme sein Grundrecht auf Glaubensfreiheit verletze, meldet lto.de.
OLG Saarbrücken zu mangelhaftem Gutachten: Eine psychologische Sachverständige muss dem zu Unrecht verurteilten Norbert Kuß ein Schmerzensgeld in Höhe von 60.000 Euro zahlen, weil die Verurteilung aufgrund ihres fehlerhaften Gutachtens erfolgte. Laut dem Oberlandesgericht Saarbrücken sei die Kernaussage der Psychologin nicht haltbar gewesen, wonach die Aussagen der Belastungszeugin glaubhaft gewesen seien. Kuß verbüßte unschuldig eine knapp zweijährige Haftstrafe wegen sexuellen Missbrauchs seiner Pflegetochter und wurde schließlich im Jahr 2013 freigesprochen und für seine Haft entschädigt, meldet die Welt (Gisela Friedrichsen).
LG Saarbrücken zu Til Schweigers Post: Til Schweiger durfte die private Nachricht einer Frau an ihn auf Facebook veröffentlichen, ohne dabei ihren Namen oder ihr Profilfoto unkenntlich zu machen. Das Landgericht Saarbrücken wies den Antrag auf einstweilige Verfügung der Frau zurück und befand, dass Schweigers Vorgehen zwar grundsätzlich ihr Persönlichkeitsrecht verletze, hier aber das Informationsinteresse des Schauspielers sowie dessen Meinungsfreiheit überwögen. Die Betroffene habe sich dem öffentlichen Diskurs stellen müssen. Die FAZ (Timo Frasch) gibt die Argumentation des Gerichts wieder.
Reinhard Müller (FAZ) findet es gut, dass der Fall vor Gericht kam und "im Prinzip auch richtig, die Meinungsfreiheit im Zweifel weit auszulegen". Er hofft, dass das Urteil dazu beiträgt, das Bewusstsein in sozialen Medien zu schärfen: "Jeder sollte es sich dreimal überlegen, was er wie im Netz mitteilt."
OLG München – NSU: Nebenklageanwalt Peer Stolle vertritt in seinem Plädoyer die Auffassung, der NSU habe sich bereits zwei Jahre vor dem Abtauchen von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos gegründet, notiert spiegel.de.
LG Potsdam zu Anschlag auf Flüchtlingsunterkunft: Das Landgericht Potsdam hat einen 21-Jährigen zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren nach Jugendstrafrecht und zu 200 Sozialstunden in einer Einrichtung für Geflüchtete verurteilt. Im Oktober 2016 hatte er zwei Molotow-Cocktails auf eine Flüchtlingsunterkunft geworfen. Sein Vater, der ihn dazu angestiftet haben soll, sitze noch in Untersuchungshaft, schreibt zeit.de.
LG Stuttgart – Schlecker: Am kommenden Montag wird das Landgericht Stuttgart im Schlecker-Fall sein Urteil fällen. Das Hbl (Martin Buchenau/Sönke Iwersen u.a.) zeichnet im Titelthema ausführlich den Aufstieg und Absturz Anton Schleckers nach und resümiert den Prozess.
In einem separaten Interview spricht das Hbl (Sönke Iwersen/Kirsten Ludowig) mit Arndt Geiwitz über seine Arbeit als Schleckers Insolvenzverwalter.
StA Freiburg – Hussein K.s Erziehungsstelle: Die Staatsanwaltschaft Freiburg ermittelt gegen die Freiburger Jugendhilfeeinrichtung Wiese wegen Betrugs. Sie soll den wegen Mordes und Vergewaltigung der Studentin Maria L. angeklagten Hussein K. aus Bereicherungsabsicht an das nicht geeignete Ehepaar S. vermittelt haben, um die entsprechend kostenintensivere Erziehungsstelle abrechnen zu können. Die Welt (Philip Kuhn) stellt die Frage, ob Maria L. noch am Leben wäre, wenn K. ordnungsgemäß untergebracht worden wäre.
AG Hamburg-St. Georg zu gedemütigter Enkelin: Das Amtsgericht Hamburg-St.Georg hat eine 57-Jährige zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen à 10 Euro verurteilt, weil sie ihre Enkelin in der S-Bahn gewaltsam unter ihren Gehwagen gedrückt hatte. Sie habe sich damit der Nötigung schuldig gemacht, meldet spiegel.de. Die Pflegschaft für ihre Enkelin sei ihr bereits vor dem Urteil entzogen worden.
ArbG Düsseldorf zu Air Berlin-Pilot: Ein ehemaliger Air Berlin-Pilot ist mit der Klage gegen seine Freistellung durch die insolvente Fluggesellschaft gescheitert. Das Arbeitsgericht Düsseldorf argumentierte, die insolvenzrechtliche Freistellung auf Widerruf müsse keiner Sozialauswahl folgen, meldet spiegel.de. Der Pilot hatte sich darauf berufen, dass Air Berlin ihn willkürlich nicht berücksichtigt und seine Betriebszugehörigkeit sowie seine familiäre Situation nicht beachtet habe.
BGH zu PayPal-Käuferschutz: Wenn Käufer mit dem PayPal-Käuferschutzprogramm den Kaufpreis zurückbuchen lassen, wird der Kaufpreisanspruch des Verkäufers wieder begründet, entschied der Bundesgerichtshof. Anwalt Carsten Dau setzt sich auf lto.de nun auch mit den Erwägungen des Gerichts auseinander. Dieser Präzedenzfall schaffe "große Unsicherheiten bei Verbrauchern", da der wesentliche Vorteil des PayPal-Bezahlsystems entfalle.
Recht in der Welt
Venezuela – verfassungsgebende Versammlung: "A Constituent Assembly Only in Name?" Unter diesem Titel analysieren drei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen in separaten englischsprachigen Beiträgen auf verfassungsblog.de die verfassungsgebende Versammlung in Venezuela. Laura Jung legt im ersten Teil die Kriterien sowie die Missbrauchsanfälligkeit der verfassungsgebenden Versammlung dar. Sie zeigt, welche Entwicklungen zur Verfassungsversammlung in Venezuela führten. Wie Hanna Buck im zweiten Beitrag darlegt, handele es sich um eine verfassungswidrige verfassungsgebende Versammlung, da die Wahlen in verfassungswidriger Weise abgelaufen seien. Im letzten Beitrag bezweifelt Maria Haimerl, dass die venezolanische Verfassungsversammlung ein Minimum der Voraussetzungen einer verfassungsgebenden Versammlung erfüllt. Sie schließt: "Whether this assembly has the aim of writing a constitution seems at least questionable. So far, Venezuela’s Constituent Assembly is thus only one in name."
ICTY zu Mladić: Die FAZ (Michael Martens) betont, die Verurteilung Ratko Mladićs sei nicht nur ein "juristisches, sondern auch ein zeitgeschichtliches Dokument ersten Ranges". Der Beitrag erinnert an die Taten des ehemaligen Oberbefehlshabers der Armee bosnischer Serben.
Frankreich – Anwalt Eric Dupond-Moretti: Er setzt sich gegen die "Diktatur der Gefühle" in Strafverfahren ein und hat in seiner Karriere bisher 141 Freisprüche erwirkt. Die Welt (Martina Meister) porträtiert den französischen Strafverteidiger Eric Dupond-Moretti vor dem Hintergrund seines letzten Prozesses: Er vertrat den Bruder des Attentäters Mohamed Merah, Abdelkader Merah – nach eigenen Angaben der "schwerste Prozess" seiner Laufbahn.
Polen – Bürgerbeauftragter Adam Bodnar: Die Welt (Gerhard Gnauck) gibt einen Einblick in das Leben und die Arbeit des polnischen Beauftragten für Bürgerrechte, Adam Bodnar. Die vielfachen Verletzungen einfachen Rechts und der Verfassung durch die Regierungspartei PiS hätten "keine leichte Zeit für einen Mann wie Bodnar" zufolge, "dessen Aufgabe es ja gerade ist, den Finger in alle möglichen Wunden zu legen."
Sonstiges
Nebenjob: Welche arbeitsrechtlichen Vorgaben bei der Aufnahme eines Nebenjobs zu beachten sind, erklärt die Welt. So dürfe die weitere Tätigkeit etwa nicht den Interessen des Hauptarbeitgebers zuwiderlaufen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 24. November 2017: Werbung mit Abtreibungen / Erheben nur für Allah / Schmerzensgeld für falsches Gutachten . In: Legal Tribune Online, 24.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25683/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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