Die EU will gegen Staaten, die sich gegen eine Rücknahme abgelehnter Asylbewerber sperren, einen "Visa-Hebel" einsetzen. Außerdem in der Presseschau: Die Kosten einer Luxus-Kita werden nicht übernommen und die IStGH-Präsidentin im Gespräch.
Thema des Tages
Visa gegen Flüchtlinge: Die EU will laut einem Bericht der WamS (Manuel Bewarder/Marcel Leubecher) mit einer strikteren Visa-Vergabe Druck zur Rücknahme von abgelehnten Asylbewerbern ausüben. Bangladesch sei das erste Land, bei dem man den sogenannten Visa-Hebel erfolgreich angewandt habe. Verhandlungen mit weiteren Ländern, etwa in Afrika, liefen derzeit. Die Maßnahmen zielten auf die für die schleppende Rückübernahme Verantwortlichen, also auf Dienst- und Diplomatenpassinhaber des betreffenden Staates, wird der amtierende Bundesinnenminister Thomas de Maizière zitiert. Kritik daran kommt von der Linkspartei. Deren Parteivorsitzende Katja Kipping weist darauf hin, dass ein Visa-Hebel insbesondere Touristen, Studierende und Menschen, die hier arbeiten wollten und damit die Falschen treffen würde.
Rechtspolitik
Entsenderichtlinie: Die Montags-FAZ (Sven Astheimer) widmet sich der neuen Entsenderichtlinie. Während sich Politik und Gewerkschaften grundsätzlich zufrieden mit dem neuen Regelwerk zeigten, werde von Arbeitgeberseite ein "Bürokratiemonster" befürchtet.
Aktienrecht: Die Samstags-FAZ (Hendrik Wieduwilt) erinnert daran, dass zum Juni 2019 die Aktionärsrichtlinie umgesetzt werden müsse und dass dafür auch Anpassungen im deutschen Aktienrecht erforderlich seien. Die Bundesregierung habe dazu bereits eine Kommission eingesetzt, die im nächsten Jahr ihre Vorschläge präsentieren soll. Währenddessen werde in Brüssel eine weitere Digitalisierung bei der Eintragung von Unternehmen erwogen. Außerdem werde darüber nachgedacht, durch den Einsatz moderner Technik die physische Präsenz von Aktionären in der Hauptversammlung entbehrlich zu machen.
Hessen fordert Nachbesserungen bei Fußfessel: Die Samstags-SZ (Ronen Steinke) berichtet, dass Hessens Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) den "Flickenteppich" bei den Regelungen zur Fußfessel in den einzelnen Polizeigesetzen kritisiert. Sie fordert den Bund auf, bundeseinheitlich Strafen für das Ablegen der Fußfessel oder ähnliche Verstöße gegen die Auflagen zu schaffen. Nach den Vorstellungen Hessens sollen in solchen Fällen Haftstrafen von bis zu drei Jahren drohen.
Schäuble gegen Verlängerung der Legislatur: Der Präsident des Bundestages Wolfgang Schäuble (CDU) hat sich laut einer Meldung der Samstags-FAZ (Günter Bannas) dagegen ausgesprochen, die Wahlperiode des Deutschen Bundestages auf fünf Jahre zu verlängern. Er persönlich sei nicht der Auffassung, dass eine längere Legislaturperiode von Vorteil wäre, vier Jahre seien ein ordentliches Maß, wird Schäuble zitiert.
Entkriminalisierung des Schwarzfahrens: Auch die Samstags-taz (Hannes Koch) widmet sich jetzt der Forderung u.a. des Berliner Justizsenators Dirk Behrendt (Grüne) nach einer Entkriminalisierung der Beförderungserschleichung. Allein Ende März 2017 saßen in Berlin 154 Personen im Gefängnis, weil sie eine Geldstrafe für Schwarzfahren nicht bezahlt hatten. Behrendt hatte bereits vor knapp einem Jahr geäußert, dass er sich eine Herabstufung auf einen Bußgeldtatbestand vorstellen könnte. Bisher allerdings sei nichts Konkretes passiert. Weder der rot-rot-grüne Senat noch Behrendt selbst hätten eine Initiative zur Änderung des Strafgesetzbuches ergriffen.
Justiz
BVerwG zu Kita-Kosten: Das Bundesverwaltungsgericht hat festgestellt, dass Kosten für einen selbstbeschafften Kita-Platz nicht ersetzt werden, wenn sie auch im Falle des Nachweises durch die Jugendhilfe durch die Eltern hätten getragen werden müssen. lto.de (Maximilian Amos) und die Samstags-FAZ (Albert Schäffer) berichten über die Entscheidung. Ein Elternpaar hatte, nachdem es den Betreuungsbedarf für ein zweijähriges Kind angemeldet hatte, die ihm angebotenen Plätze bei Tagespflegepersonen abgelehnt und sich selbständig einen Betreuungsplatz gesucht. Die entsprechende Kita bot eine umfangreiche frühkindliche Förderung an und kostete 1.380 Euro monatlich. Das Gericht hat jetzt in seiner Entscheidung ausgeführt, dass die Eltern zwar den Betreuungsplatz selbst hätten beschaffen dürfen, daraus aber noch kein (auch teilweiser) Kostenübernahmeanspruch entstünde. Denn der Jugendhilfeträger hätte den in Frage stehenden Betreuungsplatz auch von sich aus anbieten können und auch in diesem Fall hätten die Eltern die Kosten hierfür grundsätzlich selbst tragen müssen. Die Stadt sei nur dann zur Übernahme der Kosten für einen selbst beschafften Betreuungsplatz verpflichtet, wenn es den Eltern nicht zuzumuten sei, die Kosten selbst zu tragen, befanden die Richter. Dies hätte aber in einem gesonderten Verfahren festgestellt werden müssen.
BVerwG zu Tornado-Überflügen: Wegen des Tornado-Flugs über ein Protestcamp im Vorfeld des G-8-Gipfels 2007 in Heiligendamm hat das Bundesverwaltungsgericht, wie nun auch lto.de berichtet, die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben und die Sache an das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern zurückverwiesen. Der Überflug stelle einen faktischen Eingriff in das Grundrecht der Kläger auf Versammlungsfreiheit dar, meinten die Leipziger Richter. Ob dieser Eingriff gerechtfertigt war, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprach, konnte das Bundesverwaltungsgericht auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht abschließend entscheiden und hat deshalb zurückverwiesen.
BGH zu Flüchtlingsunterkunft und WEG-Recht: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft keine Wohnnutzung im Sinne des Wohnungseigentumsrechts darstellt. lto.de und die Samstags-FAZ (Hendrik Wieduwilt) stellen die Entscheidung vor. In einem in Gauting bei München gelegenen Gebäude sollte nach der früheren Nutzung als Altersheim der entsprechende Teil als Flüchtlingsunterkunft genutzt werden. Dagegen wandte sich der Eigentümer einer Arztpraxis im Gebäude und verwies auf die Teilungserklärung, die eine Wohnnutzung untersagte. Die Karlsruher Richter meinten aber, dass es sich bei einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in der Regel nicht um Wohnungen, sondern um eine heimähnliche Unterbringung handele, weil die Nutzung durch eine von der Einrichtung vorgegebene Organisation und durch Überwachung und Kontrolle geprägt werde.
BGH zu GEMA-Anteil für Musikverlage: Der Bundesgerichtshof hat laut lto.de eine Nichtzulassungsbeschwerde der GEMA gegen ein Urteil des Kammergerichts zurückgewiesen, in dem im November 2016 die bisherige pauschale Beteiligung von Verlegern bei der GEMA für unzulässig erklärt wurde. Die GEMA müsse im Einzelfall prüfen, ob eine solche Beteiligung zwischen Urheber und Verleger vereinbart worden sei, hieß es in der damaligen Entscheidung, die jetzt durch die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde rechtskräftig geworden ist.
LG Duisburg – Love-Parade-Prozess: Das Landgericht Duisburg hat den Saal vorgestellt, in dem am 8. Dezember 2017 das Love-Parade-Verfahren beginnen soll. Für die zehn Angeklagten, derzeit 60 Nebenkläger, zahlreiche Anwälte und Hunderte Zuschauer wurde ein Messesaal im Congress Center Düsseldorf gemietet. spiegel.de hat sich den Raum angeschaut.
VerfGH Baden-Württemberg zu Abgeordnetenrechten: Wie die Samstags-FAZ (Rüdiger Soldt) mitteilt, hat der Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg dem AfD-Landtagsabgeordneten Heinrich Fiechtner Recht gegeben, der sich gegen ein ihm von der eigenen Fraktion erteiltes Redeverbot und den Ausschluss aus zwei Ausschüssen wandte. Der Abgeordnete sei nicht angehört worden, außerdem wies das Gericht auf den hohen Rang des freien Mandats hin und machte deutlich, dass ein "Redeverbot" der Gleichrangigkeit der Abgeordneten widerspreche. Fiechtner hatte sich abweichend von der Fraktionsmehrheit für die Einführung einer Gesundheitskarte für Flüchtlinge ausgesprochen.
VG München zu Luftverschmutzungswerten: Die Samstags-FAZ (Henrike Roßbach) berichtet über eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts München, mit der dem Antrag der Deutschen Umwelthilfe e.V. entsprochen und ein Zwangsgeld in Höhe von 4.000 Euro gegen die Stadt München verhängt wurde. 2012 hatte das Verwaltungsgericht der Stadt aufgegeben, den Luftreinhalteplan so zu ändern, dass die Grenzwerte für Stickstoffdioxid so bald wie möglich eingehalten werden. Da diese Verpflichtung nicht erfüllt wurde, muss die Stadt jetzt zahlen.
OLG Köln – Schmerzensgeld Kohl: Der Spiegel (Melanie Amann) weist darauf hin, dass die Witwe und Alleinerbin von Helmut Kohl im noch anhängigen Schmerzensgeldprozess gegen die beiden Biografen von Helmut Kohl wohl keinen Anspruch wird geltend machen können. Geldentschädigungsansprüche für Verletzungen von Persönlichkeitsrechten seien nicht vererblich, es sei denn, es liege bereits ein rechtskräftiges Urteil vor, wird Juraprofessorin Jutta Stender-Vorwachs zitiert.
AG Herzberg zum Angriff auf Polizeibeamten: Nachdem der erste Termin wegen Nichterscheinens der Angeklagten geplatzt war, hat jetzt der Prozess gegen eine junge Frau und ihre Mutter, die sich als sogenannte "Reichsbürger" fühlen, wegen Angriffs auf einen Polizeibeamten stattgefunden. Die Tochter wurde zu einer Haftstrafe von 18 Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt, der Mutter konnten die angeklagten Straftaten nicht nachgewiesen werden. Bei dem Angriff ist der Polizist mit einer säurehaltigen Flüssigkeit verletzt worden. Die Samstags-taz (Andreas Speit) berichtet über den Fall.
Recht in der Welt
IStGH – Interview mit der Präsidentin: Im Gespräch mit der Montags-SZ (Ronen Steinke) bringt Silvia Fernández de Gurmendi, Präsidentin des Internationalen Strafgerichtshofes, ihre Frustration über die beschränkten Handlungsmöglichkeiten des Den Haager Gerichts zum Ausdruck. Sie plädiert dafür, dass der Gerichtshof globale Geltung erhält, so dass er nicht mehr auf das Gutdünken des UN-Sicherheitsrates in einem Einzelfall angewiesen ist, sondern auf eigene Initiative überall ermitteln kann.
Italien – Gefängnisstrafe wegen HIV-Ansteckung: In Italien ist, wie spiegel.de berichtet, ein 33-jähriger Mann zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil er dreißig Frauen vorsätzlich mit dem HI-Virus angesteckt hat.
Sonstiges
Vormarsch des Lügendetektors? Der Spiegel (Dietmar Hipp/Steffen Winter) befasst sich mit dem – bisher meist informellen – Einsatz von Polygrafen, auch Lügendetektoren genannt, an deutschen Gerichten.
Eheliches Unterhaltsrecht: In der FAS (Christoph Schäfer) wird eine empirische Studie zur Unterhaltsreform von 2008 vorgestellt. Zwei Wissenschaftlerinnen weisen in dem Bericht nach, dass sich insbesondere Frauen nicht auf die Folgen einer Scheidung vorbereiten. Der Gesetzgeber wollte mit der Neuregelung eigentlich die Eigenverantwortung der Ehepartner stärken, das finde jedoch in der Praxis nicht statt. Insbesondere für Frauen bringe das Gesetz Nachteile.
Straftat Holocaustleugnung: Die Samstags-taz (Philipp Daum) analysiert die Strafrechtsnorm der Holocaustleugnung in § 130 Abs. 3 StGB. Es wird auch darauf hingewiesen, dass die ehemaligen Verfassungsrichter Winfried Hassemer und Wolfgang Hoffman-Riem der Auffassung seien, dass man die Rede von der "Auschwitz-Lüge" nicht länger unter Strafe zu stellen bräuchte. In einem separaten Bericht gibt die Samstags-taz (Konrad Litschko) einen Eindruck von einem Besuch in der JVA Brandenburg, in der Horst Mahler wegen Volksverhetzung inhaftiert ist und nach seiner Flucht nach Ungarn wieder einsitzt.
Externe Ermittler: Gibt es Ermittlungen gegen Unternehmen, werden gerne sogenannte externe Ermittler, nicht selten aus großen US-Kanzleien, hinzugezogen. So ist es auch im Abgas-Skandal geschehen. Die Montags-FAZ (Marcus Jung) beleuchtet das Phänomen anlässlich einer entsprechenden Tagung in Frankfurt/Main.
Urheberrecht und Tätowierungen: Mit der Reichweite des Urheberrechts an Tattoos befasst sich Rechtsanwalt und Vorstandsmitglied des Bundesverband Tattoo e.V. Urban Slamal auf lto.de.
Rechtsgeschichte – Bremer Verfassung: Anlässlich des 70. Geburtstages der Bremer Verfassung erinnert in der Montags-taz der Historiker Jörg Wollenberg an Hermann Louis Brill, der einen bedeutenden Anteil an der Neufassung hatte.
Rechtsgeschichte – Nürnberger Prozesse: In der Montags-FAZ stellt der Historiker Ludger Heid ein neuerschienenes Buch über die Nürnberger Prozesse vor. Er kritisiert in diesem Zusammenhang die "Privatisierung" von Dokumenten. So habe ein hoher Staatsbeamte wie Hans Globke Unterlagen mit nach Hause nehmen und so der Forschung entziehen können.
Rechtsblätter: Martin Rath wirft in lto.de einen Blick in die Welt rechtswissenschaftlicher Zeitschriften und findet dort Beiträge zu den Manipulationsfällen in der Transplantationsmedizin, zur Aufnahme der von Popper begründeten Schule der Erkenntnistheorie in der deutschen Rechtswissenschaft und über empirische Methoden bei der Transparenzkontrolle arbeitsvertraglicher Klauseln.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Mittwoch erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage
Die juristische Presseschau vom 28. bis 30. Oktober 2017: Visa gegen Flüchtlinge / BVerwG zu Kita-Kosten / Interview mit IStGH-Präsidentin . In: Legal Tribune Online, 30.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25299/ (abgerufen am: 23.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag