Der GBA rechnet mit rund 1.000 Terrorverfahren in diesem Jahr. Außerdem in der Presseschau: Der Berliner Justizsenator strebt eine Entkriminalisierung des Schwarzfahrens an und Parlamentarier müssen gegebenenfalls noch einmal nachfragen.
Thema des Tages
GBA – Anstieg der Terrorverfahren: Laut einem Bericht der WamS (Florian Flade/Philip Kuhn/Timo Stukenberg) hat der Generalbundesanwalt allein in diesem Jahr mehr als 900 Terrorismusverfahren eingeleitet. Rund 300 Verfahren wurden an die Generalstaatsanwaltschaften in den Bundesländern abgegeben. Auf die Gefahr der Radikalisierung im Gefängnis weist laut Artikel die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Düsseldorf Barbara Havliza hin. Außerdem müsse nach der Haftentlassung ein besonderes Augenmerk auf Islamisten gerichtet werden. In einem Themenschwerpunkt beleuchtet die WamS (Florian Flade/Timo Stukenberg) den Umgang mit mutmaßlich gewalttätigen Islamisten vor, während und nach der Haft. DLF (Gudula Geuther) berichtet, dass nach dem "Brandbrief" des Generalbundesanwaltes vom Anfang des Jahres neun weitere Staatsanwaltsstellen in Karlsruhe besetzt wurden, die Zahl wahrscheinlich aber nicht ausreiche, um die Vielzahl der Verfahren zu bearbeiten.
Rechtspolitik
Sexualstrafrecht: Montags-FAZ (Heiko Schmoll), spiegel.de und Hbl berichten von einem Vorstoß von Katarina Barley (SPD), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, für eine weitere Verschärfung des Sexualstrafrechtes. "Was körperliche Übergriffe angeht, wie Hand aufs Knie legen, sollten wir juristisch schärfer werden", wird die Ministerin zitiert.
Helene Bubrowski meint in der Montags-FAZ, dass es nichts bringe, "die Hand auf dem Knie" stärker zu bestrafen. Bereits jetzt drohten bei sexueller Belästigung bis zu zwei Jahre Gefängnis. Das Problem sei vielmehr, dass viele Frauen sich nicht zu wehren trauten und auch keine Anzeige erstatteten.
Einwanderungsgesetz: In der Montags-SZ erläutert Holger Hinte vom Bonner Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit, was aus seiner Sicht in einem neuen Einwanderungsgesetz enthalten sein müsste. So sollten eine Zielgröße für die Arbeitsmigration vorgesehen und Auswahlkriterien wie Qualifikation, Berufserfahrung, Sprachkenntnisse und Alter definiert werden. Außerdem müsse die formale Anerkennung von Qualifikationen reformiert werden, so Hinte.
Entkriminalisierung des Schwarzfahrens: Angesichts der Belastung der Justiz ist die Diskussion um eine Entkriminalisierung der Beförderungserschleichung wieder entflammt. Allein in Berlin müssten sich in diesem Jahr die Ermittlungsbehörden mit etwa 50.000 diesbezüglichen Anzeigen befassen, berichtet der Tsp (Jost Müller-Neuhof). Der Berliner Justizminister Dirk Behrendt (Grüne) begrüßt im Interview mit dem Tsp (Jost Müller-Neuhof) den Vorstoß des nordrhein-westfälischen Justizministers Peter Biesenbach (CDU), Schwarzfahren nur noch bei hartnäckigen Wiederholungstätern als Straftat zu behandeln. Für Behrendt ist auch eine Geringfügigkeitsgrenze denkbar, so dass beispielsweise Schwarzfahrten erst ab einem Ticketpreis von zehn Euro strafrechtlich verfolgt würden. Auch der Deutsche Richterbund und der Deutsche Anwaltverein warnten gegenüber dem Tsp (Jost Müller-Neuhof) vor einer Überlastung der Justiz durch die massenhafte Verfolgung von Beförderungserschleichungen.
"Kameras im Gericht": Rechtsprofessor Christian Schrader widmet sich auf lto.de dem kürzlich im Bundesgesetzblatt veröffentlichten Gesetz zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren. Seiner Ansicht nach ist die Neuregelung nur eine "zaghafte Lockerung" des Medienverbotes. Diese Zurückhaltung liege in der Rücksichtnahme auf die Bedenken der Richterschaft begründet. Deutsche Richter hätten ein skeptisches Medienbild und würden nicht gezwungen werden wollen, vor Kameras zu sprechen.
Justiz
BVerfG zum parlamentarischen Fragerecht: Das Bundesverfassungsgericht hat laut Samstags-SZ und lto.de einen Antrag der Bundestagsabgeordneten Irene Mihalic (Grüne) verworfen, mit dem diese sich gegen eine aus ihrer Sicht falsche Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage durch das Bundesinnenministerium gewendet hatte. Das Ministerium hatte im März 2016 auf eine entsprechende Frage geantwortet, dass zu diesem Zeitpunkt keine Meldungen über in Köln in den ersten Stunden des Jahres 2016 begangene sexuelle Übergriffe zum Nachteil junger Frauen bekannt seien. Die Karlsruher Richter meinten, dass es am Rechtsschutzbedürfnis fehle, weil der Bundesregierung zuvor nicht durch einen Hinweis die Möglichkeit gegeben wurde, die Antwort zu berichtigen oder zu ergänzen.
BGH – keine Haftbefehle in Ditib-Affäre: Die Montags-SZ (Lena Kampf und Georg Mascolo) hat erfahren, dass der Ermittlungsrichter die Anträge des Genralbundesanwaltes auf Erlass von Haftbefehlen gegen sechs Imame und einen hochrangigen Funktionär der türkischen Religionsbehörde Diyanet abgelehnt hat. Nach Auffassung der Ermittlungsbehörde sollen die Imame in deutschen Moscheen im Auftrag von Diyanet Informationen über angebliche Anhänger der Gülen-Bewegung zusammengetragen haben. Für den Ermittlungsrichter reichten die Erkenntnisse der Bundesanwaltschaft jedoch nicht aus. Die Ermittlungen hätten nicht ergeben, dass die sechs Imame nicht tatsächlich nur das Nötigste gesammelt und berichtet hätten.
StA Frankfurt/M. – Anklage gegen SS-Wachmann: Laut Berichten von Samstags-FAZ, Samstags-SZ, spiegel.de und lto.de hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main Anklage gegen einen früheren SS-Wachmann des Konzentrationslagers Majdanek erhoben. Dem heute 96-Jährigen wird Beihilfe zum Mord vorgeworfen. Die Verhandlungsfähigkeit des Angeschuldigten wurde durch einen Gutachter festgestellt, allerdings darf nur an zwei Tagen pro Woche und jeweils nicht länger als zwei Stunden verhandelt werden.
BAG zum Übergang eines Kleinbetriebes: Anlässlich einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes stellt Rechtsanwalt Stephan Altenburg auf lto.de das Prognoseprinzip beim Kündigungsschutz vor. Das Bundesarbeitsgericht hatte entschieden, dass ein Wiedereinstellungsanspruch beim Betriebsübergang eines Kleinbetriebes mangels Kündigungsschutz nicht gegeben ist. Eine Prognoseentscheidung über eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ist dann nicht erforderlich.
LG Hamburg zur urheberrechtlichen Haftung von Verlinkungen: In einem kürzlich veröffentlichten Urteil hat das Landgericht Hamburg seine strenge Rechtsprechung zu Verlinkungen auf urheberrechtswidrige Inhalte gelockert. Der Verlinkende kann sich nun darauf berufen, dass er von der Rechtswidrigkeit der verlinkten anderweitigen Wiedergabe keine Kenntnis hatte und die Linksetzung im Rahmen eines solchen Geschäftsmodells erfolgte, in dem vorherige Nachforschungen, die zur Kenntnis der Rechtswidrigkeit geführt hätten, nicht zumutbar sind. lto.de stellt die Entscheidung vor.
LAG Berlin-Brandenburg zu Nazi-Schriften am Arbeitsplatz: Im Abschnitt "Beruf und Chance" der Samstags-FAZ befasst sich Rechtsanwalt Marcel Grobys mit einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg. Ein Mitarbeiter eines Berliner Ordnungsamtes hatte in seinen Pausenzeiten eine mitgebrachte Originalausgabe von Hitlers "Mein Kampf" mit deutlich aufgedrucktem Hakenkreuz gelesen, ihm wurde daraufhin gekündigt. Diese Kündigung befand das Gericht für rechtmäßig, der Arbeitnehmer habe als Angestellter des Landes Berlin ein öffentliches Amt bekleidet und sei infolgedessen in besonderer Weise zur Wahrung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichtet. Mit dem öffentlichen Zeigen des Hakenkreuzes habe er in besonders schwerer Weise gegen diese Verpflichtung verstoßen.
OLG München – Fall Mehmet Yeşilçalı: Die Samstags-SZ (Annette Ramelsberger) berichtet den Fall Mehmet Yeşilçalı, der wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland angeklagt ist und seit eineinhalb Jahren in Untersuchungshaft sitzt. Yeşilçalı und anderen Angeklagten wird vorgeworfen, für die kleine türkische kommunistische Partei Geld gesammelt zu haben, Abgesandte zum Parteikongress geschickt und die Strategie mitbestimmt zu haben. Er wurde für seinen Protest gegen den Staat in der Türkei gefoltert und leidet in der Untersuchungshaft unter den Folgen. Dennoch wurden vom Gericht bisher alle Haftbeschwerden abgewiesen.
LVerfG Mecklenburg-Vorpommern zur Gleichstellungsbeauftragten: Die Montags-SZ (Ulrike Heidenreich) spricht mit Friedel Schreyögg, der früheren Leiterin der Gleichstellungsstelle in München, über die Entscheidung des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern, mit der die landesgesetzliche Regelung, derzufolge nur Frauen Gleichstellungsbeauftrage werden dürfen, für verfassungskonform erklärt wurde.
Recht in der Welt
Spanien – Verfassungsgericht: Die Samstags-FAZ (Helene Bubrowski) attestiert dem spanischen Verfassungsgericht einen selbstverschuldeten Autoritätsverlust. Das Gericht werde nicht als neutraler Vermittler im Unabhängigkeitskonflikt wahrgenommen, sondern als verlängerter Arm der Regierung. Die Justiz habe es übernommen, die Separatisten unter Kontrolle zu halten. Selbst der frühere Gerichtspräsident Francisco Pérez de los Cobos warne vor einer Politisierung des Verfassungsgerichts.
Spanien – "Call for Dialog": Der Verfassungsrechtsprofessor Zoran Oklopcic veröffentlicht auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) einen gemeinsamen Offenen Brief des Center for Constitutional Transitions und des Edinburgh Center for Constitutional Law zur Katalonien-Krise. Unter dem Titel "Call for Dialog" wird darin u.a. ein neues Referendum vorgeschlagen. Die beiden Parteien werden aufgefordert, eine Lösung zu finden, die die verfassungsmäßigen Rechte aller Beteiligten wahrt.
Italien – Referendum: Auf verfassungblog.de beleuchten die Rechtsphilosophen Sofia Francescutto und Mario Ricciardi (in englischer Sprache) den rechtlichen Rahmen des Referendums in Norditalien.
Irak – Kurdisches Referendum: Im kurdischen Teil des Irak hat unlängst ein Referendum zur Unabhängigkeit stattgefunden. Omar Yousef Shehabi erläutert auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen.
EGMR – Abschiebung von "Gefährdern": Der wissenschaftliche Mitarbeiter Tobias Klarmann befasst sich auf verfassungsblog.de mit dem beim Europäischen Gerichtshof anhängigen Verfahren um die Abschiebung eines russischen Staatsangehörigen, der als sogenannter Gefährder eingestuft wurde, und erläutert dabei den Komplex der Gefährder-Abschiebung insgesamt.
EGMR zum Buch "Mafia": Die Samstags-FAZ und die Montags-taz (Christian Rath) berichten über die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, mit der die Verurteilung des Verlages Droemer Knaur zu einer Schadensersatzzahlung bestätigt wurde. Der Gerichtshof sah, genauso wie die Münchener Richter, die Persönlichkeitsrechte eines Thüringer Gastronomen verletzt, dessen Name in einem Buch des Verlages im Zusammenhang mit einer Mafia-Familie genannt wurde. Die Recherchen der Autorin bezogen sich dabei auf interne Berichte des Bundeskriminalamts. Die Straßburger Richter meinten jedoch, dass hier weitere Recherchen und auch eine Stellungnahme des Betroffenen hätten eingeholt werden müssen. Bisher hatte der EGMR die journalistische Sorgfaltspflicht gewahrt gesehen, wenn sich Autoren auf amtliche Berichte berufen konnten, nach der neuen Entscheidung gilt das aber nur für jene, die auch veröffentlicht wurden.
Vereinigtes Königreich – Brexit: Rechtsprofessor Daniel Thym weist auf verfassungsblog.de darauf hin, dass die Frage einer strengeren Grenzkontrolle während der Brexit-Debatte zwar eine große Rolle gespielt hat, in Wahrheit sich aber Großbritannien bereits jetzt aus den meisten Abkommen zur Freizügigkeit herausgehalten habe. Da nach dem Brexit aber auch die Dublin-Vereinbarung nicht mehr für das Königreich gelten würde, jedenfalls nicht ohne Gegenleistung, könnte es dann für die Briten nicht einfacher, sondern schwieriger werden, die Grenzen geschlossen zu halten.
UN – Untersuchung der IS-Verbrechen: Die Menschenrechtsanwältin Amal Clooney stellt in einem Gastbeitrag für die Samstags-Welt die Initiative der Vereinten Nationen vor, eine internationale Untersuchung der IS-Verbrechen einzuleiten. Das vom Sicherheitsrat aufgestellte Team soll mit irakischen Staatsanwälten und Richtern zusammenarbeiten, um Beweismittel für Verfahren im Irak und andernorts zu sammeln, die internationalen Rechtsmaßstäben und Verfahrensnormen entsprechen. Diese Material soll dann auch dem Internationalen Strafgerichtshof helfen, gegen jene IS-Kämpfer zu ermitteln, die Staatsbürger eines Mitgliedslandes des Strafgerichtshofes sind.
Türkei – Deniz Yücel: Die Samstags-Welt interviewt den Rechtsanwalt Veysel Ok, Verteidiger von Deniz Yücel, zum Stand des Verfahrens. Er hofft auf eine baldige Anklage, die dann seinem Mandanten die Möglichkeit der Verteidigung gibt.
Sonstiges
Initiative "Palandt umbenennen": Die Samstags-taz (DominikKoos) berichtet jetzt auch über die Initiative zur Umbenennung des BGB-Kommentars.
Weiterbildungspflicht in "Digitalisierung": Professor Wolfgang Kleinebrink geht im Handelsblatt-Rechtsboard der Frage nach, inwieweit ein Arbeitgeber von seinem Arbeitnehmer verlangen kann, sich im Bereich Digitalisierung fortzubilden. Im Ergebnis stellt er fest, dass Arbeitnehmer gefordert seien, ihre Arbeitskraft zukunftssicher zu machen, um möglichen neuen "digitalen" Anforderungsprofilen zu entsprechen. Dies könne und müsse einerseits dadurch geschehen, dass sie vom Arbeitgeber angebotene digitale Weiterbildungsmaßnahmen nutzten, und andererseits sich auch unabhängig von ihrer gegenwärtigen beruflichen Situation digital weiterbildeten.
Schöffen – eine Rechtsgeschichte: Das Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern hat angekündigt, bei der kommenden Justizministerkonferenz über eine Abschaffung der Schöffenbeteiligung bei großen Wirtschaftsverfahren diskutieren zu wollen. Aus diesem Anlass stellt Martin Rath auf lto.de u.a. dar, aus welcher Intention heraus ab dem 19. Jahrhundert Laienrichter die rechtswissenschaftlich gebildeten Robenträger ergänzten.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage
Die juristische Presseschau vom 21. bis 23. Oktober 2017: Terrorverfahren beim GBA / Schwarzfahren ohne Strafe / BVerfG zu Parlamentsanfragen . In: Legal Tribune Online, 23.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25161/ (abgerufen am: 23.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag