Die juristische Presseschau vom 29. bis 31. Juli 2017: Test­lauf Gesicht­s­er­ken­nung / VG Stutt­gart zum Fahr­verbot / Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fahren gegen Polen

31.07.2017

Justiz

VG Stuttgart zum Fahrverbot: Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat am Freitag ein Fahrverbot in der Stadt Stuttgart für ältere Dieselfahrzeuge gebilligt. Die klagende Deutsche Umwelthilfe habe ein Anrecht auf die Fortschreibung und Ergänzung des Stuttgarter Luftreinhalteplanes um Maßnahmen, die zu einer schnellstmöglichen Einhaltung der überschrittenen Immissionsgrenzwerte für Stickstoffdioxid in der Umweltzone führten, so die Stuttgarter Richter. lto.de, taz.de (Christian Rath) und die Samstags-Welt (Hannelore Crolly) fassen die Entscheidung zusammen. Laut Samstags-FAZ (Rüdiger Soldt) folgten die Richter nicht der Argumentationslinie des baden-württembergischen Verkehrsministeriums, das auf Nachrüstungen der Kraftfahrzeuge setzen wollte. Die sogenannte Nachrüstlösung würde den seit über siebeneinhalb Jahren andauernden rechtswidrigen Zustand um weitere zweieinhalb Jahre verlängern, wird der Vorsitzende Richter Wolfgang Kern zitiert.

Auch für die Samstags-SZ (Josef Kelnberger/Klaus Ott) könnte das Urteil wegweisende Bedeutung haben, weil in rund 80 deutschen Städten die Grenzwerte für Stickoxid nicht eingehalten würden. In dem Text heißt es auch, dass erwartet werde, dass die grün-schwarze Landesregierung Rechtsmittel gegen die Entscheidung einlegen wird.

BVerfG zur Beschlagnahmefreiheit: Rechtsanwalt Ulrich Schellenberg, Präsident des Deutschen Anwaltvereins, und Rechtsanwalt Thomas Knierim vom Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer haben sich laut Montags-FAZ (Marcus Jung) positiv zu dem in der vergangenen Woche ergangenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes geäußert, mit dem die Auswertung von Anwaltsunterlagen untersagt wurde. Es handelte sich um Unterlagen der amerikanischen Kanzlei Jones Day, die von VW mit den internen Ermittlungen beauftragt wurde. Das Gericht habe für seine Anordnung vor allem die Nachteile abgewogen, die entstehen könnten, wenn kein Auswertungsstopp verhängt werde, wird Knierim zitiert.

BVerfG zur Freiheit der Literatur: Auf verfassungsblog.de wird die Diskussion zur "Esra"-Entscheidung, die vor zehn Jahren ergangen war, fortgesetzt. Das Bundesverfassungsgericht hatte darüber zu befinden, ob Maxim Biller in seinem Roman "Esra" mit einer zu realitätsnahen Beschreibung einer ehemaligen Freundin deren Persönlichkeitsrecht verletzte und wie weit die Kunstfreiheit greife.

BAG zur Überwachung durch Keylogger: Der Spiegel (Dietmar Hipp/Steffen Winter) widmet sich ausführlich der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Überwachung eines Arbeitnehmers mittels eines sogenannten Keyloggers. Die Erfurter Richter hatten am Donnerstag festgestellt, dass der Einsatz des Software-Keyloggers, mit dem alle Tastatureingaben an einem dienstlichen Computer für eine verdeckte Überwachung und Kontrolle des Arbeitnehmers aufgezeichnet werden, unzulässig ist, wenn kein konkreter Verdacht einer Straftat oder einer anderen schwerwiegenden Pflichtverletzung besteht. Anlässlich der Entscheidung des BAG stellt die FAS (Corinna Budras) die rechtliche Situation rund um die private Nutzung des Bürocomputers dar.

Christian Rath (taz.de) meint in seinem Kommentar zur BAG-Entscheidung, dass es gut sei, dass Gerichte solche Überwachungsexzesse von Arbeitgebern unterbinden. Und fügt hinzu: "Noch konsequenter wäre der Staat, wenn er auch selbst bei der Kriminalitätsbekämpfung auf anlasslose und flächendeckende Vorratsdatenspeicherungen verzichten würde."

EuGH zu Fristen im Asylverfahren: Rechtsanwalt Marcel Keienborg erläutert auf lto.de die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes im Fall Tsegezab Mengesteab. Die Luxemburger Richter haben festgestellt, dass ein Aufnahmegesuch nach der Dublin-III-Verordnung spätestens drei Monate nach der Antragstellung an den Erstaufnahmestaat zu richten ist. Als Antragstellung gilt dabei bereits das Asylgesuch und nicht erst der Asylantrag. Auf verfassungsblog.de befasst sich Dana Schmalz, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften in Göttingen, mit der Entwicklung der Dublin-Verordnungen von einem rein zwischenstaatlichen Ordnungsinstrument hin zu einer Regelung, die auch den Asylbewerber mit subjektiven Rechten am Verfahren beteiligt.

EuGH zur Zuständigkeit nach Dublin III: Der Leiter der Abteilung Protection der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH, Constantin Hruschka, widmet sich auf verfassungsblog.de den Entscheidungen A.S. und Jafari des Europäischen Gerichtshofes. Darin wurde festgestellt, dass die Zuständigkeit des Ersteinreiselandes bestehen bleibt, auch wenn ein anderer Staat* seine Grenzen öffnet. Der Autor plädiert für ein rasches, gemeinsames, idealerweise von einer EU-Agentur durchgeführtes Asylverfahren. Die Statusgewährung müsste dann mit einem Freizügigkeitsrecht verbunden sein.

EuGH zu Passagierdaten: Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik befasst sich auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Europarechtswidrigkeit des europäisch-kanadischen Fluggastdatenabkommens.

BGH zu Messerangriff: Die Samstags-FAZ meldet, dass der Bundesgerichtshof die Verurteilung wegen eines Messerangriffes aufgehoben hat. Opfer und Täter waren wegen eines Mathematikrätsels in Streit geraten. Die Vorinstanz war davon ausgegangen, dass der Täter den Tod des Opfers billigend in Kauf genommen habe, nach Auffassung des BGH war die Beweisbegründung dazu aber widersprüchlich und lückenhaft. Das Verfahren wurde daher an das Landgericht Schwerin zurückverwiesen.

OLG München – NSU-Prozess: Die Samstags-SZ (Ronen Steinke) fragt, warum im NSU-Prozess kein Tonband läuft und erinnert an den Frankfurter Ausschwitz-Prozess, der 1963 bis 1965 aufgezeichnet wurde. 1966 meinte Hans Hofmeyer, Vorsitzender Richter im ersten Auschwitz-Prozess, auf dem Deutschen Juristentag, dass es "geradezu grotesk" sei, wenn Juristen am Ende eines Mammutprozesses über Aussagen urteilen müssten, die Jahre zurücklägen und nirgends mehr nachzuhören seien. Die FAS (Helene Bubrowski) widmet sich dem tatsächlichen Anteil Zschäpes an den Straftaten, den das Gericht in seiner Entscheidung jetzt feststellen muss. Es gehe dabei um die Frage, wann ein Täter Täter ist, obwohl er nicht am Tatort war. Die Samstags-taz (Konrad Litschko) beleuchtet die Perspektive der Nebenkläger.

OLG Frankfurt/M. – Mordverfahren: In Frankfurt am Main kommt, so berichtet die Montags-taz (Christoph Schmidt-Lunau), bald der Mann vor Gericht, der "die Blaupause für den NSU geliefert" haben könnte. Es handelt sich um John Wolfgang Alexander Ausonius, der in Schweden zwischen August 1991 und Januar 1992 elf Migranten niedergeschossen hatte, eines der Opfer erlag seinen Verletzungen. Polizei und Staatsanwaltschaft gehen davon aus, dass er auch in Deutschland getötet hat.

Verfassungsbeschwerde gegen bayerisches Verfassungsschutzgesetz: Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) haben in einem Interview mit der Montags-SZ (Ronen Steinke) angekündigt, in Karlsruhe gegen das bayerische Verfassungsschutzgesetz, das im vergangenen Jahr deutlich verschärft wurde, vorzugehen. Unterstützt werde die Verfassungsbeschwerde von der Gesellschaft für Freiheitsrechte, einer Bürgerrechtsgruppe aus Berlin.

LG Köln zum Telekom-Hacking: Das Landgericht Köln hat einen britischen Hacker zu einer Haftstrafe von einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung verurteilt. Wie nun auch die Samstags-SZ meldet, hatte er im November 2016 einen Netzausfall bei 1,25 Millionen Telekom-Kunden verursacht. Allerdings nicht vorsätzlich, wie das Gericht feststellte. Eigentlich sollte er im Auftrag einer liberianischen Telekommunikationsfirma deren Konkurrenten angreifen. Wie die Samstags-FAZ (Marcus Jung) berichtet, blieb das Gericht unter den Anträgen der Anklage, denen sich die Verteidigung anschloss, weil es sich bei den betroffenen Telekom-Routern um einen "Kollateralschaden" gehandelt habe. Der Mann muss sich aber wegen weiterer Hackerangriffe auch in Großbritannien verantworten.

Panne in Mecklenburg-Vorpommern: Wie die Samstags-SZ (Thomas Hahn) berichtet, mussten in Mecklenburg-Vorpommern drei Terrorverdächtige wieder freigelassen werden, weil sie erst nach 13 beziehungsweise 17 Stunden und damit nach Ansicht des Richters nicht "unverzüglich" dem Haftrichter vorgeführt worden waren. In einem separaten Kommentar meint Thomas Hahn, dass der Umgang mit möglichen Terroristen bei Polizei und Gerichten doch so eingespielt sein sollte, dass kein Formfehler auftrete. Alles andere mache den Anti-Terror-Kampf zur Posse, so Hahn.

LG Berlin – Prozess wegen zweifacher Tötung: In der Rubrik "Leben" berichtet die FAS (Julia Schaaf) vom Prozess gegen einen 51-jährigen Mann, dem die Staatsanwaltschaft vorwirft, vor vier Jahren seine Ehefrau und jetzt die Mutter seiner Freundin getötet zu haben.

Hepatitis C im Gefängnis: Kristiana Ludwig (Montags-SZ) kritisiert den Umgang der Landesjustizminister mit dem Problem des Drogenkonsums hinter Gittern und der damit verbundenen Infektion mit Hepatitis C. Wenn sich die Justizminister schon nicht zur Abgabe steriler Spritzen entschließen könnten, müssten sie den Häftlingen eben konsequent Hepatitis-Tests anbieten und ihnen die Medikamente bezahlen.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 29. bis 31. Juli 2017: Testlauf Gesichtserkennung / VG Stuttgart zum Fahrverbot / Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen . In: Legal Tribune Online, 31.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23701/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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