Die Justizreform in Polen wird heftig kritisiert. Außerdem in der Presseschau: Die Zahl der Selbstanzeigen zur Vermeidung von Abschiebungen steigt und deutsche Firmen müssen US-Justizministerium Rede und Antwort stehen.
Thema des Tages
Justizreform in Polen: In Warschau haben am Wochenende Tausende gegen die jüngst verabschiedeten Gesetze zur Justizreform demonstriert. Das berichtet u.a. die Montags-FAZ. Am Samstag hatte der Senat über zwei Gesetze beschlossen, mit denen künftig die Regierung stärkeren Einfluss auf die Besetzung von Richterstellen bekommen soll. Die Samstags-taz (Gabriele Lesser) beschreibt die hastige Beschlussfassung, mit der am vergangenen Mittwoch noch um Mitternacht einer der beiden Gesetzentwürfe im Sejm verabschiedet wurde. Sollte der Plan der Regierungspartei PiS aufgehen, werde Polen nach der Sommerpause kein unabhängiges Gerichtswesen mehr haben, heißt es in dem Beitrag. Die Details der Reform beschreibt Rechtsstudentin Magdalena Okonska (verfassungsblog.de). Einem Bericht der Samstags-FAZ (Konrad Schuller/Michael Stabenow) zufolge hatten am Donnerstag und Freitag noch hohe Vertreter der polnischen Gerichtsbarkeit und führende Oppositionsvertreter dazu aufgerufen, die Gesetzesvorhaben zu stoppen. In einer gemeinsamen Erklärung von fünf früheren Verfassungsgerichtspräsidenten heißt es, mit den geplanten Neuregelungen werde jede Kontrolle der Exekutive und des Parlamentes unmöglich gemacht. Die Europäische Kommission hat laut der FAZ-Meldung "mit großer Besorgnis" reagiert und eine Prüfung im Rahmen eines Rechtsstaatsverfahrens angekündigt. Auch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat die Neuregelung kritisiert, berichtet die Samstags-FAZ in einem weiteren Artikel.
Reinhard Veser (Montags-FAZ) schaut in seinem Kommentar in die Zukunft: Schon bisher habe die polnische Regierung einen ausgeprägten Willen zum Machtmissbrauch an den Tag gelegt und es sei zu vermuten, dass es jetzt erst richtig losgehe. Florian Hassel (Samstags-SZ) wundert sich, dass die polnischen Bürger so wenig Anteil an den Vorgängen nähmen. So sterbe im größten mittel- und osteuropäischen Mitgliedsland der Europäischen Union der Rechtsstaat im Sommer 2017 einen stillen, bitteren Tod, prognostiziert er. Und Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) weist auf die Konsequenzen hin, die eine staatlich beeinflusste Gerichtsbarkeit auch im Ausland haben kann.
Rechtspolitik
Außenwirtschaftsrecht: Rechtsanwalt Rolf Hempel (lto.de) erläutert die Änderungen in der Außenwirtschaftsverordnung, die die Bundesregierung am vergangenen Mittwoch beschlossen hat. Kern der neuen Regelungen ist die Stärkung der Prüfungsmöglichkeiten des Bundeswirtschaftsministeriums bei der Übernahme inländischer Unternehmen durch ausländische Investoren.
Aufenthaltsrecht: Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) berichtet, dass die Landesinnenminister den Bundesinnenminister mit der Prüfung von "gesetzgeberischen Reaktionen" beauftragt haben, um Ausländern in Deutschland politische Aktivitäten zu verbieten. Es geht dabei insbesondere um Ausländer ohne Staatsamt, denn über Auftrittsverbote für Regierungsvertreter kann die Bundesregierung bereits jetzt nach völkerrechtlichen Regeln und politischem Ermessen entscheiden.
Kinderrechte: Der Spiegel (Melanie Amann/Ann-Katrin Müller) beleuchtet die Auswirkungen, die die von der Bundeskanzlerin angekündigte Aufnahme von Kinderrechten in die Verfassung haben könnten. Die Autorinnen meinen, dass eine Verfassungsänderung mehr als nur eine verfassungsrechtliche Girlande sei und vielmehr wie ein Hebel auf Entscheidungen von Behörden und Justiz in allen erdenklichen Rechtsgebieten wirken würde – von einer kindgerechten Stadtplanung über die Ansprüche von Pflegekindern bis hin zur Flüchtlingspolitik.
"Ehe für alle": Laut Samstags-SZ hat sich der Münchener Erzbischof Reinhard Marx dafür ausgesprochen, dass die Bayerische Staatsregierung in Karlsruhe einen Normenkontrollantrag gegen das kürzlich verabschiedete Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts stellen solle. "Für den Rechtsfrieden in Deutschland wäre ein Urteil gut", wird der Geistliche in der Meldung zitiert.
1957 – Diskussion um Krankenschwestern: Martin Rath (lto.de) beschreibt die Diskussion, die vor sechzig Jahren um das Gesetz über die Ausübung des Berufs der Krankenschwester, des Krankenpflegers und der Kinderkrankenschwester (Krankenpflegegesetz) geführt wurde. Der Autor erinnert an ein zentrales Argument gegen die damals geplante Neuregelung: Die Krankenpflege sei ein so tief in der christlichen Nächstenliebe verwurzeltes Bestreben, dass sie dem staatlichen Zugriff nur begrenzt zugänglich sei und an ihrem Wesen – der Gutherzigkeit und Opferbereitschaft pflegender Frauen – Schaden nähme, wolle man es doch versuchen.
Justiz
BGH zur Richterbeteiligung bei Herausgabe von Kommunikationsdaten: lto.de behandelt jetzt auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum Filesharing. Die Karlsruher Richter stellten dabei fest, dass zwar die Weitergabe der IP-Adresse sowie Tag und Uhrzeit einer richterlichen Erlaubnis bedürften, nicht aber zusätzlich die Nutzerkennung und die Anschrift des jeweiligen Kunden, weil es sich bei Letzteren um Bestandsdaten handelt.
BVerfG zum Tarifeinheitsgesetz: Rechtsprofessor Manfred Löwisch (Handelsblatt-Rechtsboard) befasst sich mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Tarifeinheitsgesetz und ihren Folgen. Das Gericht hat dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 31.12.2018 zur Nachbesserung des Gesetzes gegeben. Löwisch beleuchtet die Handlungsmöglichkeiten und auch die Konsequenzen, die folgen, wenn der Gesetzgeber ganz untätig bleiben sollte. Rechtsprofessor Florian Rödl und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Andreas Leidinger erörtern auf verfassungsblog.de die tarifrechtlichen und verfassungsrechtlichen Grundlagen der Karlsruher Entscheidung.
BVerfG zur "Aktion Geschäftsfreund": Das Feuilleton der Montags-FAZ (Martin Otto) analysiert ausführlich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu einem möglichen Informationsanspruch einer Journalistin in Bezug auf Akten zur so genannten "Aktion Geschäftsfreund". In den 1960er-Jahren sollen insgesamt 630 Millionen Mark am bundesdeutschen Parlament vorbei nach Israel transferiert worden und dort vermutlich in das Atomwaffenprogramm geflossen sein. Die Karlsruher Richter hatten Ende Juni die Verfassungsbeschwerde einer Journalistin verworfen, die vom Bundesarchiv die Herausgabe der entsprechenden Akten verlangt hatte. Allerdings hatte das Bundesarchiv die Akten nie besessen, diese waren seinerzeit vom Bundeskanzleramt an zwei private Stiftungen übergeben worden. Die Beschwerdeführerin habe es versäumt, zur Durchsetzung des von ihr begehrten Informationszugangs zunächst einen Antrag an das Bundeskanzleramt zu stellen, in dessen Zuständigkeit die Akten geführt wurden, so das Gericht.
Anhaltende Klageflut im Asylrecht: Die Samstags-SZ (Bernd Kastner) beschreibt am Beispiel des Verwaltungsgerichts München die anhaltend hohe Belastung der deutschen Verwaltungsgerichte durch Asylverfahren. Allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres seien rund 16.500 Asylklagen eingegangen. Mittlerweile beschäftigten sich die Verwaltungsrichter zu 80 Prozent mit dem Asylrecht.
Selbstanzeigen wegen Angst vor Abschiebungen: In einer Meldung der Montags-SZ heißt es, dass die Zahl der Ermittlungsverfahren wegen islamistischen Terrors steige und ein Grund dafür die Zunahme von Selbstanzeigen sei. Mit der Selbstbezichtigung einer Zwangsmitgliedschaft in einer islamistischen Vereinigung wollten viele Asylbewerber der Abschiebung entgehen. Allein bei der Staatsanwaltschaft München I gingen laut dem Bericht vom 1. September 2016 bis zum 1. April 2017 mehr als 40 Strafanzeigen ein, in denen Asylbewerber bei der Anhörung im Asylverfahren angaben, in ihrem Herkunftsland jemanden getötet oder dies versucht zu haben. Noch öfter hätten Flüchtlinge angegeben, vor ihrer Flucht einer Terrorgruppe angehört oder diese unterstützt zu haben.
Zusätzliche Stellen für Berliner Justiz: Der vom Berliner Senat verabschiedete Doppelhaushalt für 2018/2019 sieht insgesamt 243 zusätzliche Stellen für die Berliner Justiz vor. Das berichtet die Montags-SZ. Allein die Strafverfolgungsbehörden werden mit 42 zusätzlichen Stellen bedacht.
BVerfG zur Zulassung als BGH-Anwalt: Das Bundesverfassungsgericht hat laut einem Bericht von lto.de die Verfassungsbeschwerde eines Rechtsanwalts, mit der sich dieser gegen das Auswahlverfahren für die Zulassung als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof gewendet hatte, nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig, weil sie den Anforderungen an die Beschwerdebegründung nicht genüge.
LG Düsseldorf zum Anlagebetrug: Wie die Samstags-SZ berichtet, ist vor dem Landgericht Düsseldorf ein zehn Jahre dauerndes Verfahren wegen Anlagebetruges mit einer Bewährungsstrafe und einem Freispruch zu Ende gegangen. Vor Gericht standen der frühere Vorstand der DM Beteiligungen AG und der Steuerberater des Unternehmens. Im Verfahren ging es um ein Schneeballsystem, durch das Tausende Anleger insgesamt 70 Millionen Euro verloren hatten.
VG Cottbus zur Kündigung nach Krankschreibung: Das Verwaltungsgericht Cottbus hat einem Bericht von lto.de zufolge die Kündigung eines Dienstverhältnisses auf Probe für rechtmäßig erklärt. Der betroffene Polizist hatte sich wegen einer Fußverletzung krankgemeldet, dann aber an einem Hindernislauf teilgenommen und das auch auf Facebook gepostet. Dieses Verhalten rechtfertige Zweifel an der charakterlichen Eignung des Beamten für den Polizeidienst.
Oberamtsanwalt auf "Identitären"-Demonstration: Die Samstags-taz (Andreas Speit) berichtet über den Fall eines Rostocker Oberamtsanwalts, der mit der vom Verfassungsschutz beobachteten "Identitären"-Bewegung (IB) sympathisiere. Er habe an der Demonstration der IB am 17. Juni in Berlin teilgenommen und sich bereits mehrfach im Internet entsprechend geäußert. Das Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern gehe den Hinweisen nach.
Recht in der Welt
USA – Deutsche Firmen im Fokus der US-Justiz: Die Samstags-SZ (Hans Leyendecker/Klaus Ott) beschreibt in einem ausführlichen Beitrag, wie im Rahmen des Diesel-Skandals immer mehr deutsche Firmen in den Fokus des US-Justizministeriums geraten und wie dabei Grundsätze des deutschen und des amerikanischen Rechtssystems aufeinanderstoßen.
Vereinigtes Köringreich – schärfere Strafbarkeit von Säureattacken: Nachdem insbesondere in London die Zahl von Säure-Angriffen auf Personen zugenommen hat, will die britische Regierung jetzt die entsprechenden Strafen verschärfen, melden spiegel.de und Montags-taz. Säure soll dabei als "gefährliche Waffe" klassifiziert werden, so dass die Staatsanwaltschaft höhere Strafen beantragen kann.
Polen – Drohende Klage wegen Abholzungen: Die Samstags-taz (Eva Oer) meldet, dass die Europäische Kommission Polen wegen der Abholzungen im Białowieża-Wald vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen will. Białowieża ist eines der letzten großen Urwaldgebiete Europas und steht teilweise auf der Weltnaturerbe-Liste der Unesco. Polen begründet die Abholzungen mit dem Kampf gegen den Borkenkäfer.
Sonstiges
Kinderschutz: In einem Interview mit dem Spiegel (Barbara Hardinghaus/Maik Großekathöfer) beschreibt die Hamburger Rechtsmedizinerin Dragana Seifert ihren Arbeitsalltag. Sie hat 2005 das "Kinderkompetenzzentrum für die Untersuchung von Kindern und Jugendlichen beim Verdacht auf Vernachlässigung, Misshandlung und sexuellen Missbrauch" mitgegründet.
Nachlese G-20-Krawalle: In der Samstags-SZ wird vermeldet, dass im Zusammenhang mit den Ausschreitungen beim G-20-Gipfel 35 Ermittlungsverfahren gegen Beamte – in den meisten Fällen wegen Körperverletzung im Amt – eröffnet wurden.
Die Samstags-SZ (Ronen Steinke) geht in einem weiteren Beitrag auch der Frage nach, weshalb von den 186 in Hamburg Festgenommenen die meisten bereits wieder freigelassen wurden und ob sich hier möglicherweise die Hilflosigkeit des Rechtsstaates zeige. Eine Ursache sieht Steinke in der aufgegangenen Taktik des schwarzen Blocks. Wenn sich alle im gleichen Stil vermummten, könne man sie schwer auseinanderhalten. Dafür könnten die Ermittler nichts, die Strafjustiz brauche freie Sicht aufs Individuum.
50 Jahre "Verfassung und Recht in Überseee": Rechtsprofessor Philipp Dann (verfassungsblog.de) würdigt (in englischer Sprache) die Zeitschrift "Verfassung und Recht in Übersee – Law and Politics in Asia, Africa and Latin America", die im 50. Jahrgang erscheint.
1987 – Abschaffung der Todesstrafe in der DDR: Die Montags-taz erinnert an die Abschaffung der Todesstrafe in der DDR vor 30 Jahren. Zuletzt vollstreckt wurde sie 1981 an einem Stasi-Hauptmann. Ihm wurden "Verbrechen der Spionage im besonders schweren Fall" und "vorbereitete Fahnenflucht im schweren Fall“ vorgeworfen.
Knöllchen vom Straßenbahnfahrer? Rechtsanwalt Robert Hotstegs (lto.de) geht der die in der vergangenen Woche veröffentlichten Meldung nach, derzufolge das Düsseldorfer Nahverkehrsunternehmen Rheinbahn künftig selber "Knöllchen" gegen Falschparker verteilen will. Bei Lichte betrachtet verblasse die Sensation, meint der Autor. Die Rheinbahn will lediglich ihre rechtlichen Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer geschützten Interessen besser nutzen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 15. bis 17. Juli 2017: Widerstand in Polen gegen Justizreform / Selbstanzeigen gegen Abschiebung / US-Regierung gegen Auto-Firmen . In: Legal Tribune Online, 17.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23472/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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