Die juristische Presseschau vom 15. bis 19. Juni 2017: Staat­stro­janer und Onli­ne­durch­su­chung / Dis­kus­sion um NetzDG / EuGH zu File­sha­ring-Platt­formen

19.06.2017

Justiz

EGMR – Kindeswohl bei lebenserhaltenden Maßnahmen: Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wird derzeit ein Anliegen verhandelt, in dem es um ein unheilbar krankes Kind geht. Die Ärzte wollen das Kind in Würde sterben lassen und die lebenserhaltenden Geräte abschalten, die Eltern dagegen beabsichtigen, mit dem Kind in die Vereinigten Staaten fliegen, damit es einer – bisher allerdings noch nicht erprobten – Behandlung unterzogen werden kann. Die Straßburger Richter müssen jetzt entscheiden, ob der Staat berechtigt ist, in die Entscheidung der Eltern einzugreifen und entsprechend dem Antrag der Ärzte über ein Abschalten der Geräte zu verfügen. Die FAS (Florentine Fritzen) beschreibt die Hintergründe des Falles.

BFH zur Erbschaftssteuer beim Pflichtteil: Steuerberater Sven Oberle befasst sich in der FAS mit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofes vom vergangenen Dezember, nach der ein vererbter, vom zunächst Berechtigten jedoch nicht geltend gemachter Pflichtteilsanspruch der Erbschaftssteuer unterliegt.

LG München I zu Ermittlungen durch Kanzleien: Am Beispiel von VW und der vom Unternehmen beauftragten Kanzlei Jones Day setzt sich die Montags-SZ (Klaus Ott) kritisch mit Ermittlungstätigkeiten von Kanzleien auseinander. Die Staatsanwaltschaft München hatte im Zusammenhang mit der Dieselaffäre Mitte März Räumlichkeiten von Volkswagen, Audi und Jones Day durchsucht, eine Beschwerde der Kanzlei wurde vom Gericht zurückgewiesen. In der Entscheidung machten die Richter klar, dass Konzerne, die betrogen oder auf andere Weise gegen Gesetze verstoßen haben, die Untersuchungsergebnisse eigens eingeschalteter Anwaltskanzleien nicht dem Zugriff der Behörden entziehen könnten.

EuGH zu "Tofubutter" und "Pflanzenkäse": Die Begriffe "Milch", "Butter" und "Käse" sind tierischen Produkten vorbehalten. Dementsprechend sind nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom vergangenen Mittwoch "Tofubutter" und "Pflanzenkäse" unzulässige Bezeichnungen für vegane Lebensmittel. Die auf Vorlage des Landgerichts Trier ergangene Entscheidung und die zugrunde liegende europäische Rechtslage stellen Donnerstags-taz (Christian Rath) und Donnerstags-Welt (Carsten Dierig) sowie die Freitags-SZ (Wolfgang Janisch/Kristiana Ludwig) vor. Die Freitags-FAZ (Hendrik Wieduwilt) weist darauf hin, dass das EuGH-Urteil unmittelbar ausschließlich für Milchprodukte gelte. "Vegetarischer Fleischsalat oder Tofuwurst darf so bezeichnet werden, weil diese Nahrungsmittel nicht dem besonderen Bezeichnungsschutz für Milchprodukte unterliegen", zitiert der Autor die Lebensmittelrechtlerin Astrid Hüttebräuker.

In einer Analyse der Entscheidung fragt Rechtsanwalt David Ziegelmayer auf lto.de, ob die auf einer wortgetreuen Auslegung der einschlägigen EU-Verordnung beruhende Entscheidung tatsächlich dem vom EuGH selbst etablierten Leitbild des "aufgeklärten und informierten Verbrauchers" entspreche. Hermann Unterstöger (Freitags-SZ) amüsiert sich über das aus seiner Sicht wenig effektive Bemühen der Richter, den Verbraucher zu schützen. Auch für Hendrik Wieduwilt (Freitags-FAZ) schießt die Entscheidung über das Ziel hinaus. Jost Müller-Neuhof meint dagegen auf tagesspiegel.de dass es als bewährtes Prinzip gilt, dass eine äußere Kennzeichnung darauf verweise, was tatsächlich in der Packung stecke, und dieses Prinzip nur mit guten Gründen aufgegeben werden sollte.

EuGH zu File-Sharing-Plattformen: Der Europäische Gerichtshof hat in der vergangenen Woche eine Entscheidung getroffen, in der festgestellt wurde, dass File-Sharing-Plattformen Urheberrechtsverletzungen begehen können, selbst wenn sie nur die Strukturen bereitstellten, die Rechtsverletzungen erlauben. Unter anderem netzpolitik.org (Alexandra Hiller) und Freitags-SZ (Marvin Strathmann) berichten über die Entscheidung.

BVerfG – EU-Patent: Die in der vergangenen Woche bekanntgewordene, an den Bundespräsidenten gerichtete Bitte des Bundesverfassungsgerichts, die bereits verabschiedeten Umsetzungsgesetze für eine EU-Patentrechtsreform nicht auszufertigen, ist Thema eines vertieften Beitrags von Paetrick Sakowski auf lto.de. Der Rechtsanwalt mutmaßt, dass die der Bitte zugrunde liegende Verfassungsbeschwerde Bedenken gegen die Rechtsstaatlichkeit der Verfahren vor dem Europäischen Patentamt geltend macht.

BGH zu Eizellspende: Eine private Krankenversicherung muss die Kosten einer in Tschechien vorgenommenen künstlichen Befruchtung mittels Eizellspende nicht übernehmen. Dies entschied der Bundesgerichtshof in der vergangenen Woche. Zwar sähen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen Kostenübernahmen für Heilbehandlungen im europäischen Ausland vor, so der Bericht der Donnerstags-Welt (Hannelore Crolly). Sie bestimmten aber gleichzeitig die Geltung deutschen Rechts. Hierzulande sind Eizellspenden illegal. Eine vertiefte Darstellung der rechtlichen Problematik liefert Rechtsanwalt Cäsar Czeremuga auf lto.de. Er fragt dabei auch, ob die "restriktive Haltung des deutschen Gesetzgebers" zur Frage einer gespaltenen Mutterschaft noch zeitgemäß ist.

Helene Bubrowski (Samstags-FAZ) begrüßt die Entscheidung. Im Handel mit den Eizellen zeige sich die hässliche Seite des Machbarkeitswahns. Der Bundesgerichtshof habe nun zumindest verhindert, dass weitere Anreize geschaffen werden.

BAG zu unbilligen Arbeitsanweisungen: Über eine Divergenz beim Bundesarbeitsgericht berichtet Rechtsanwalt Christoph Bergwitz (lto.de) zum Fall eines Dortmunder Immobilienkaufmanns, der sich einer Versetzungsanordnung widersetzte und dem deshalb gekündigt wurde. Hierzu habe nun der 10. Senat des BAG beim 5. Senat angefragt, ob an der dortigen Rechtsauffassung festgehalten werde. Der 5. Senat hatte 2012 entschieden, dass auch unbilligen Arbeitsanweisungen bis zu einem rechtskräftigen Urteil, das die Unverbindlichkeit feststellt, gefolgt werden müsse.

OLG Stuttgart zu FDLR-Unterstützer: Wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung hat das Oberlandesgericht Stuttgart einen ruandischen Staatsbürger zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Nach den Erkenntnissen des Gerichts hatte der Mann Hilfe beim Aufbau und Betrieb der Webseite der ruandischen FDLR geleistet, schreibt taz.de (Dominic Johnson).

OLG München zu Beleidigung: Der in einer anwaltlichen Anhörungsrüge angestellte Vergleich des angeschriebenen Gerichts mit Roland Freisler erfüllt nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts München nicht den Tatbestand der Beleidigung. Bei den fraglichen Äußerungen sei "im Kern nur der Vorwurf sehr großen Unrechts und willkürlichen, rechtsbeugenden richterlichen Handelns" thematisiert worden, schreibt lto.de (Constantin van Lijnden) über die Entscheidung.

OVG Berlin-Brandenburg zur Informationspflicht der BRAK: Die Bundesrechtsanwaltskammer unterliegt einer umfassenden Informationspflicht nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Dies stellte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in einem Beschluss aus dem Mai klar, über den lto.de (Marvin Oppong) berichtet. Die BRAK sei eine Behörde des Bundes im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG, so die Richter.

LG Leipzig zu Youtube: Das Landgericht Leipzig entschied in der vergangenen Woche, dass Youtube zumutbare Prüfpflichten bei der Entfernung eines urheberrechtlich geschützten Werks auf seiner Plattform verletzt habe. Der Anbieter hatte einen Dokumentarfilm auf die Beschwerde der Produktionsfirma zwar zunächst entfernt, nach einer wohl nicht besonders stichhaltigen Gegendarstellung eines betroffenen Nutzers aber wieder eingestellt, erläutert die Donnerstags-Welt (Christian Meier).

LG Mosbach zu DocMorris: Das Landgericht Mosbach hat dem Arzneimittel-Versandhandel DocMorris den Betrieb eines Apothekenautomaten untersagt. Die bei dem Automaten nach Videochat mit einem DocMorris-Mitarbeiter erfolgte Freigabe von Medikamenten sei nicht von der dem Unternehmen erteilten Erlaubnis für den Versandhandel mit Arzneimitteln gedeckt, berichtet lto.de über die Entscheidung.

Schadensersatzklage wegen NSU-Ermittlungspannen: Zwei Familien von Mordopfern des "Nationalsozialistischen Untergrunds" haben laut Montags-taz und FR Schadenersatzklagen gegen die Bundesrepublik sowie die Länder Bayern und Thüringen erhoben. Das NSU-Trio hätte bereits deutlich früher festgenommen und die weiteren Morde damit verhindert werden können.

Presserecht: Der Spiegel (Rafael Buschmann u.a.) beleuchtet kritisch und aus eigener Betroffenheit die Rechtsprechungspraxis der Hamburger und der Berliner Pressekammern. In der Sache geht es dabei um die Berichterstattung über die beiden Fußballer Mezut Özil und Cristiano Ronaldo, denen von den spanischen Behörden Steuerhinterziehung vorgeworfen wird.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 15. bis 19. Juni 2017: Staatstrojaner und Onlinedurchsuchung / Diskussion um NetzDG / EuGH zu Filesharing-Plattformen . In: Legal Tribune Online, 19.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23211/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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