Weil EuGH zur nachträglichen Prognose zwingt: BGH hebt Gerichts­ent­schei­dungen zu Corona-Rei­se­rück­tritten auf

von Joschka Buchholz

28.01.2025

Welche Umstände dürfen bei Reiserücktritten wegen der Corona-Pandemie berücksichtigt werden? Damit hat sich der BGH in mehreren Verfahren befasst und sämtliche Urteile aufgehoben. Die Gerichte stehen vor einer schwierigen Aufgabe.

Vor fünf Jahren kam die Corona-Pandemie in Deutschland an – mit massiven Folgen. Auch viele lange vorher gebuchte Reisen waren betroffen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun in mehreren Fällen entschieden, welche Folgen ein insoweit erfolgter Reiserücktritt auf Entschädigungsansprüche von Reisveranstaltern gemäß § 615h Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hat (Urt. v. 28.01.2025, Az. X ZR 53/21, X ZR 3/22 u. X ZR 55/22).

Vorausgegangen war eine Vorlage des BGH an den Europäischen Gerichtshof (EuGH), denn es kam auf die Auslegung von Art. 12 Abs. 2 der EU-Pauschalreiserichtlinie an. Konkret ging es um die Frage: Sind nur diejenigen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände maßgeblich, die im Zeitpunkt des Rücktritts bereits aufgetreten sind oder sind auch Umstände zu berücksichtigen, die nach dem Rücktritt, aber noch vor dem geplanten Beginn der Reise tatsächlich aufgetreten sind?

EuGH: antizipierter Rücktritt nicht kostenlos

Der EuGH entschied im Februar 2024: Reisende können bei außergewöhnlichen Umständen (wie der Corona-Pandemie) grundsätzlich kostenlos von ihren gebuchten Pauschalreisen zurücktreten. Allerdings müssen die Umstände bereits zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung bestehen. Treten sie erst später auf, kann der Reiseveranstalter gemäß § 615h Abs. 3 BGB eine Stornogebühr verlangen.

Alle drei Verfahren verbindet, dass der BGH sie zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an die jeweiligen Landgerichte zurückverwiesen hat. Es wird für die Landgerichte nun zu klären sein, ob bereits im Zeitpunkt des Rücktritts die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB bestand. Dem X. Zivilsenat fehlten insoweit noch dafür maßgebliche tatrichterlichen Feststellungen, weshalb er deshalb nicht gleich selbst entschied.

Im einem der Verfahren geht es beispielsweise um eine zehntägige Reise nach Japan, die für Anfang April 2020 geplant war. Bereits im Februar hatten damals japanische Behörden unter anderem die Absage von Großveranstaltungen sowie Schulschließungen bis mindestens Anfang April verfügt. Deshalb trat der Kläger am 01. März 2020 vom Reisevertrag zurück. Dafür berechnete der Reiseveranstalter eine Stornogebühr in Höhe von 25 Prozent des Reisepreises, die der Kläger bezahlte. Sodann erging Ende März 2020 in Japan auch ein Einreiseverbot, woraufhin der Kläger die Zahlung der Stornogebühr zurückverlangte.

Die Schwierigkeit der nachträglichen Prognose 

In erster Instanz hatte der Mann noch vollumfänglich Erfolg, jedoch reduzierte das Landgericht (LG) München I den zu zahlenden Betrag auf 14,50 Euro zuzüglich vorgerichtlicher Kosten in Höhe von 83,54 Euro und wies die weitergehende Klage ab. Denn im Zeitpunkt des Rücktritts habe man noch nicht vom Vorliegen unvermeidbarer außergewöhnlicher Umstände ausgehen können, die gemäß § 651h Abs. 3 BGB zu einem Ausschluss des Entschädigungsanspruchs führen. Das Einreiseverbot dürfe nicht berücksichtigt werden, weil es erst nach dem Rücktritt erlassen worden sei, so das LG.

Diese Beurteilung war rechtsfehlerhaft, entschied der X. Zivilsenat. "Die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung darf nicht allein deshalb verneint werden, weil es im Zeitpunkt des Rücktritts noch nicht zu einer erheblichen Zahl von Infektionen in Japan gekommen war und die dort getroffenen Maßnahmen vor allem der Verhinderung von Infektionen gedient haben", so der BGH. Vielmehr hätte das LG sich damit befassen müssen, "ob die ungewöhnliche Art und Anzahl dieser Maßnahmen schon damals hinreichende Anhaltspunkte dafür begründeten, dass eine erhebliche Infektionsgefahr bestand und nicht sicher war, ob die getroffenen Maßnahmen ausreichen würden, um diese Gefahr abzuwenden".

Das bedeutet: Nach der Entscheidung des EuGH dürfen zwar das Einreiseverbot und die Absage der Reise durch den Veranstalter bei der Beurteilung nicht berücksichtigt werden, weil diese Ereignisse erst nach dem Zeitpunkt des Rücktritts stattgefunden haben. Aber zugleich ist ein kostenloser Rücktritt des Reisenden nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil er zunächst keine Gründe für den Rücktritt angibt. Maßgeblich ist laut BGH allein, "ob im Zeitpunkt des Rücktritts tatsächlich unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände vorgelegen haben, die die Durchführung der Reise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen". Das müssen die Zivilgerichte in diesen Fällen nachträglich, also lange nach dem außergewöhnlichen zum Rücktritt berechtigenden Umstand bewerten und zwar ohne das später hinzugekommene Wissen zu berücksichtigen.

Zitiervorschlag

Weil EuGH zur nachträglichen Prognose zwingt: . In: Legal Tribune Online, 28.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56448 (abgerufen am: 17.03.2025 )

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