Abstrakte Normenkontrolle angekündigt: Linke und Uni­on­s­par­teien wollen gegen neues Wahl­recht vor­gehen

09.06.2023

Linke und CSU bald nicht mehr im Bundestag? Nach dem neuen Wahlrecht zumindest ein mögliches Szenario. Die ohnehin umstrittene Reform hat der Bundespräsident nun unterzeichnet, jetzt könnte das BVerfG entscheiden.

Nach der Unterzeichnung des Gesetzes zur umstrittenen Wahlrechtsreform durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will die Unionsfraktion einen abstrakten Normenkontrollantrag beim Bundesverfassungsgericht stellen. "Wir werden alle Hebel nutzen, damit diese Manipulation des Wahlrechts gestoppt wird", erklärte der Vorsitzende der CSU-Abgeordneten im Bundestag, Alexander Dobrindt. Man werde umgehend nach Karlsruhe ziehen. Dobrindt kritisierte Steinmeier: "Ich bedaure, dass der Bundespräsident seine Möglichkeiten nicht genutzt hat, auf ein faires und verfassungskonformes Wahlrecht hinzuwirken."

Dagegen hatte das Bundespräsidialamt am Donnerstag deutlich gemacht, dass Steinmeier das Gesetz sehr wohl für verfassungskonform halte und keine verfassungsrechtlichen Bedenken habe. Es verwies darauf, dass der Gesetzgeber nach dem Grundgesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts frei in der Ausgestaltung des Wahlrechts sei. Politische Erwägungen seien nicht Gegenstand der Prüfung im Rahmen der Ausfertigung von Gesetzen. Bei der Erarbeitung der Reform hatte es bis zuletzt keinen politischen Konsens gegeben, sie zählt zu den bisher umstrittensten Themen dieser Legislaturperiode.

"Blockade der Union mit zahlreichen Querschüssen"

Dafür machte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, Dirk Wiese, die Union und insbesondere die CSU verantwortlich. Steinmeiers Unterschrift "beendet die Blockade der Union mit zahlreichen Querschüssen durch die CSU, die über Jahre nur ihren eigenen Vorteil im Blick hatte", erklärte der Sozialdemokrat. "Eine gerechte Lösung für alle war so nicht zu erreichen. Damit ist jetzt endgültig Schluss."

Die Reform zur Verkleinerung des auf 736 Abgeordnete angeschwollenen Bundestags kann nach der Unterzeichnung des Gesetzes in Kraft treten. Es muss nur noch im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden. Jedoch haben die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die CSU-geführte bayerische Landesregierung und die Linke nun angekündigt, gegen die Reform vor dem Bundesverfassungsgericht vorzugehen.

Mit derzeit 736 Abgeordneten ist der Bundestag das größte frei gewählte Parlament der Welt. Das neue Wahlrecht deckelt die Sitzzahl nun bei 630. Gewählt wird weiter mit Erst- und Zweitstimme. Es gibt aber keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr, womit einige derzeit noch im Bundestag vertretene Parteien künftig nicht mehr im Parlament säßen bzw. erhebliche Sitzverluste hinnehmen müssten.

Unterzeichnung ein "Fehler"

Für die Zahl der Sitze einer Partei ist nämlich künftig allein ihr Zweitstimmenergebnis entscheidend. Das kann zur Folge haben, dass erfolgreiche Wahlkreisbewerber ihr Direktmandat nicht bekommen, weil nach der Zweitstimmenregelung sozusagen "kein Platz" mehr für sie im Parlament wäre. Auch die Grundmandatsklausel fällt weg. Nach ihr zogen Parteien bisher auch dann in der Stärke ihres Zweitstimmenergebnisses in den Bundestag ein, wenn sie unter der Fünf-Prozent-Hürde lagen, aber mindestens drei Direktmandate holten.

Davon profitierte bei der Bundestagswahl 2021 die Linke, die bundesweit nur auf 4,9 Prozent kam, aber drei Direktmandate errang. Auch die CSU könnte nach dem neuen Wahlrecht bei kommenden Wahlen betroffen sein. Sie kam 2021 bundesweit nur auf 5,2 Prozent der Zweitstimmen, holte aber in 45 von 46 bayerischen Wahlkreisen das Direktmandat. Diese Sitze würde die CSU nach dem neuen Recht bei einem Sturz unter die Fünf-Prozent-Marke nicht mehr bekommen.

CSU-Generalsekretär Martin Huber nannte die Unterzeichnung des Gesetzes durch den Bundespräsidenten einen "Fehler". Bayern werde dagegen "klagen". "Wir lassen nicht zu, dass die Ampel-Regierung Bayern strukturell schwächt", sagte er dem Tagesspiegel. Der SPD-Wahlrechtspolitiker Sebastian Hartmann hielt der Union in der Rheinischen Post mangelnden Kooperationswillen vor: "Es sollten sich vor allem CDU und CSU fragen, warum sie bei einem so wichtigen Thema eine breite parlamentarische Mehrheit blockiert haben."

dpa/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Abstrakte Normenkontrolle angekündigt: Linke und Unionsparteien wollen gegen neues Wahlrecht vorgehen . In: Legal Tribune Online, 09.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51955/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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