Bundesregierung antwortet EU-Kommission: Zweifel an Vor­rats­da­ten­spei­che­rung aus­ge­räumt?

von Anne-Christine Herr

19.11.2015

2/2: Ist das Gesetz überhaupt wirksam?

Die mögliche Unvereinbarkeit mit der EU-Grundfreiheit war nicht der einzige Aspekt, an dem die Kommission Zweifel hatte. Sie äußerte auch grundlegende Bedenken, ob eine Speicherfrist von vier beziehungsweise zehn Wochen unbedingt notwendig ist, um das verfolgte Ziel des Allgemeininteresses zu erreichen: "Die faktischen Elemente und Nachweise, die der Bewertung zugrunde liegen, (…) sollten bereitgestellt und erläutert werden." Im Klartext: Es fehlen Beweise dafür, dass die Vorratsdatenspeicherung überhaupt etwas bewirkt – ein zentraler Punkt der Kritiker des Gesetzes.

Die Regierung dementierte diese Zweifel nicht. Zur Rechtfertigung könne sie auch weder statistische Daten noch entsprechende Studien vorlegen, denn: "Derzeit besteht in Deutschland keine Pflicht zur Speicherung von Verkehrsdaten, die die notwendigen statistischen Informationen für eine wissenschaftlich fundierte Bewertung der Wirksamkeit einer solchen Maßnahme liefern könnte."

Stattdessen verwies sie auf die in Zukunft geplante Erhebung solcher Daten, welche im Gesetz vorgesehen sind. Das nun verabschiedete Gesetz war außerdem um eine Vorschrift ergänzt worden, nach der die Wirksamkeit des Gesetzes einige Zeit nach seinem Inkrafttreten durch einen unabhängigen Sachverständigen evaluiert werden soll.

Tatsächlich ist die Äußerung der Regierung in dieser Hinsicht nicht ganz korrekt – bevor das BVerfG das damalige Gesetz kippte, war die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland für kurze Zeit bereits Realität. Das Max-Planck-Institut hatte anlässlich der BVerfG-Entscheidung eine Studie zu der Frage durchgeführt, "welche Auswirkungen das Fehlen von auf Vorrat gespeicherten Verkehrsdaten der Telekommunikation für Strafverfolgung und Gefahrenabwehr hat". Als Fazit hatte das Institut festgestellt, dass der Wegfall der Vorratsdatenspeicherung keine Schutzlücken eröffnet hatte.

Speicherung der Verkehrsdaten von Anwälten

Die Kommission bemängelte außerdem, dass die Verkehrsdaten von Anwälten, die dem Berufsgeheimnis unterliegen, zwar nicht verwertet, aber dennoch erhoben und gespeichert werden. Der EuGH hatte einen gesteigerten Schutz für diese Berufsgruppe gefordert.

Die Regierung erklärt dies zum einen mit dem Unterschied zwischen Anwälten und sonstigen Personen, Behörden und Organisationen in sozialen oder kirchlichen Bereichen, die einer besonderen Verschwiegenheitsverpflichtungen unterliegen. Nur letztere sind von Speicherpflicht gänzlich ausgenommen. Die Besonderheit dieser Dienste sei aber die Anonymität der Beratung und weniger das zu wahrende Berufsgeheimnis.

Berufsgeheimnisträger seien demgegenüber Gegenstand besonderer Schutzmaßnahmen, weil sie zu ihren Kontaktpersonen ein besonderes Vertrauensverhältnis hätten, das geschützt werden müsse, weil es seinerseits der Verwirklichung von Grundrechten diene. Demgegenüber ginge es nicht um die Anonymität, sodass das Gesetz anstelle einer Ausnahme von der Speicherpflicht nur ein Erhebungs- und Verwertungsverbot vorsehe.

Zum anderen sei es kaum möglich, vollständige, tagesaktuelle Listen der Telefonnummern sämtlicher Berufsgeheimnisträger an alle Telekommunikationsunternehmen zu verteilen, die in Deutschland tätig sind. Im Übrigen wäre das auch kein Beitrag zum Datenschutz, denn gerade die Erstellung von Listen mit Telefonnummern von bestimmten Personengruppen würde wiederum selbst datenschutzrechtliche Bedenken aufwerfen.

Nicht hinreichend bestimmt, Fehlende gerichtliche Kontrolle?

Ein weiterer Kritikpunkt der Kommission war die mangelnde Bestimmtheit der Tatbestandsvoraussetzung "Straftat von erheblicher Bedeutung" für den Zugang zu Verkehrsdaten von Beschuldigten.

Zur Rechtfertigung verweist die Regierung nun darauf, dass es bereits nach der geltenden Gesetzeslage in § 100g Absatz 1 Strafprozessordnung (StPO) einen solchen Straftatenbegriff gebe, der rechtsstaatlichen Anforderungen gerecht werde. Das Bestimmtheitsgebot im Strafrecht verbiete die Verwendung auslegungsfähiger Rechtsbegriffe zudem nicht grundsätzlich. Zudem werde dem Straftatenkatalog des § 100a StPO Indizwirkung zugesprochen und der Rechtsbegriff dadurch konkretisiert.

Zuletzt war die Kommission der Ansicht, es fehle sowohl eine vorherige als auch eine nachträgliche Möglichkeit, den Zugang zu Verkehrsdaten gerichtlich überprüfen zu lassen.

In Hinblick auf die vorherige gerichtliche Kontrolle verwies die Regierung auf die Verpflichtung zur richterlichen Anordnung, um überhaupt Zugang zu den Daten zu bekommen. Anders als sonst üblich dürfe die Staatsanwaltschaft auch in eiligen Fällen nicht anstelle des Richters tätig werden.

Zudem gebe es für den Betroffenen die Möglichkeit, eine gerichtliche Überprüfung herbeizuführen, nachdem er von der Durchführung der Maßnahme benachrichtigt worden ist und bevor diese tatsächlich durchgeführt wurde. Dies sei auch dann möglich, wenn die Maßnahme bereits beendet ist. Darüber hinaus gebe es im Nachhinein alle Möglichkeiten des nachträglichen Rechtsschutzes nach den allgemeinen Regeln.

Zitiervorschlag

Anne-Christine Herr, Bundesregierung antwortet EU-Kommission: . In: Legal Tribune Online, 19.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17603 (abgerufen am: 07.12.2024 )

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