Druckversion
Samstag, 14.06.2025, 22:29 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/nachrichten/n/vorgezogene-neuwahl-afd-gutachten-verfassungsschutz-haldenwang-battis
Fenster schließen
Artikel drucken
55895

Staatsrechtler uneins über Neutralitätspflicht: Muss der Ver­fas­sungs­schutz das Gut­achten zur AfD zurück­halten?

19.11.2024

Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln-Chorweiler

Das BfV wird derzeit von seinen beiden Vizepräsidenten geführt. Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt/Geisler-Fotopress

Muss sich das Bundesamt für Verfassungsschutz mit Äußerungen zu Parteien, die unter Extremismus-Verdacht stehen, zurückhalten, wenn Wahlen anstehen? Die Staatsrechtler sind sich in dieser Frage nicht einig.

Anzeige

Der Berliner Staatsrechtler Ulrich Battis sieht in der vorgezogenen Bundestagswahl keinen Grund, eine ursprünglich zur Veröffentlichung in diesem Jahr angekündigte Neubewertung der AfD zurückzuhalten. "Das Bundesamt für Verfassungsschutz muss seine Einschätzung der AfD zeitnah öffentlich machen", sagte der Jurist der Deutschen Presse-Agentur. Auf Nachfrage erklärte er, damit sei durchaus ein Termin noch vor der für den 23. Februar 2025 geplanten Neuwahl gemeint.

Aus Sicherheitskreisen hieß es in der vergangenen Woche, aufgrund der vorgezogenen Neuwahl werde die angekündigte Neubewertung der AfD durch den Verfassungsschutz erst nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr abgeschlossen werden, LTO berichtete hier. Begründet wurde dies damit, dass im zeitlichen Umfeld von Wahlen insoweit Zurückhaltung geboten sei. Die Beobachtung der Partei als rechtsextremistischer Verdachtsfall werde aber fortgesetzt.

Staatsrechtler: “Veröffentlichung könnte erhebliche Auswirkungen auf Wahlausgang haben” 

Auch der Berliner Staatsrechtsprofessor Alexander Thiele äußerte gegenüber LTO, dass es "aus rechtlicher Sicht kein Gebot" gebe, die Neubewertung "aufgrund externer Ereignisse wie der Bundestagswahl zurückzuhalten". Es lasse sich aber nicht bestreiten, so Thiele weiter, "dass eine entsprechende Veröffentlichung in einer solchen Situation erhebliche Auswirkungen auf den Wahlausgang haben könnte" und erinnert diesbezüglich auch an die Email-Affäre um Hillary Clinton vor der US-Präsidentschaftswahl 2016. Deshalb hält Thiele es für zulässig, die Neubewertung um einige Monate zu verschieben.

Rechtspolitiker und Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, Till Steffen, bezeichnete hingegen die Begründung der Verzögerung mit einer Neutralitätspflicht gegenber der FAZ als "absurd". Das BfV habe die Pflicht, meint Steffen weiter, "seine Aufgaben nach Recht und Gesetz zu erfüllen ohne Rücksicht auf wahltaktische Überlegungen."

In dem FAZ-Bericht kommt auch der Göttinger Staatsrechtler Florian Meinel zu Wort, der die Zurückhaltung des Gutachtens ebenfalls kritisch bewertet. Es gehe um "öffentliches Handeln des Bundeamtes für Verfassungsschutz, das dem gesetzlichen Auftrag entspricht". Dass andere daraus möglicherweise im Wahlkampf Kapital schlagen könnten, entbinde nicht von den rechtlichen Aufgaben. Zwar äußert Meinel auch Verständnis für die Entscheidung des BfV aufgrund der aktuellen Lage mit Verweis auf das Neutralitätsgebot, betont aber zugleich, dass auch eine Nichtintervention eine Intervention darstellen könnte. Allein die Markierung einer Partei als verfassungsfeindlich mache behördliches Handeln noch nicht politisch, heißt es in dem FAZ-Bericht*.

Haldenwang hatte Informationen noch vor Jahresende in Aussicht gestellt

Der scheidende Präsident des BfV, Thomas Haldenwang, hatte am vergangenen Wochenende im Interview mit der taz geäußerrt: "Die Verkündung dieses Prüfergebnis noch in diesem Jahr war mit der vorgezogenen Neuwahl obsolet – das wäre zu nah an den Wahltermin gerückt. Weiter möchte ich mich dazu, jetzt da ich mein Amt niedergelegt habe, nicht mehr äußern".

Im Oktober hatte Haldenwang noch angekündigt: "Mit einer Entscheidung wird noch in diesem Jahr zu rechnen sein." Damals war man allerdings noch von einem Wahltermin nicht im Februar 2025, sondern erst im September ausgegangen. Inzwischen führt Haldenwang die Amtsgeschäfte nicht mehr. Grund dafür ist seine überraschende Bundestagskandidatur für die CDU.

Im Mai hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen in Münster entschieden, dass der Verfassungsschutz die AfD zu Recht als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft hat, was den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel wie Observation erlaubt. Der Rechtsstreit geht noch weiter, der Fall liegt derzeit beim Bundesverwaltungsgericht. Theoretisch sind drei Szenarien denkbar: Entweder hat sich der Verdacht der Verfassungsschützer nicht bestätigt, dann würde der Inlandsnachrichtendienst die Beobachtung der AfD als Verdachtsfall beenden. "Ich halte diese Variante für äußerst unwahrscheinlich", sagte Haldenwang im Oktober.

Oder der Verdacht bestätigt sich. Das hätte dann eine Einstufung der Gesamtpartei als gesichert extremistische Bestrebung zur Folge. Möglich wäre aber auch eine weitere Beobachtung als Verdachtsfall mit einer entsprechenden Begründung - etwa falls sich aufgrund noch nicht abgeschlossener interner Vorgänge in der Partei nicht klar sagen lässt, in welche Richtung sich die AfD entwickelt.

Bei der anstehenden Neubewertung gehe es nicht um Öffentlichkeitsarbeit der Regierung im Wahlkampf, sondern um den gesetzlichen Auftrag des Verfassungsschutzes, betont auch Battis. Teil dieses Auftrages sei es, die Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen und Tätigkeiten zu informieren. "Das Gesetz räumt der Behörde bei der Erfüllung des gesetzlichen Auftrages kein Ermessen ein", fügte er hinzu.

jb/hs/LTO-Redaktion

Mit Materialien der dpa

* Anm. d. Red.: Ergänzt am Tag der Veröffentlichung, 11:35 Uhr

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Staatsrechtler uneins über Neutralitätspflicht: . In: Legal Tribune Online, 19.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55895 (abgerufen am: 14.06.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Staatsrecht und Staatsorganisationsrecht
    • AfD
    • Bundestagswahl
    • Innere Sicherheit
    • Rechtsextremismus
    • Verfassungsschutz
Eingang zum Justizzentrum in Gera 12.06.2025
Volksverhetzung

Vorwurf der Volksverhetzung gegen Vize des VG Gera:

Anklage gegen den Richter Bengt Fuchs erhoben

Die Staatsanwaltschaft Gera hat Anklage gegen den Vizepräsidenten des örtlichen Verwaltungsgerichts, Bengt Fuchs, erhoben. Ein Kommentar von ihm auf Facebook soll den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen, so der Vorwurf.

Artikel lesen
Drei Personen in einem eleganten Raum, offenbar in Diskussion. Elegante Ausstattung und formelle Kleidung dominieren das Bild. 12.06.2025
Medien

Der zweite Tag im Compact-Prozess:

"Unsere guten alten Gast­ar­beiter"

Das rechtsextreme Magazin Compact versuchte vor dem BVerwG zu beweisen, dass es Ausländer gar nicht generell ablehnt. Die Diskussion um die Verhältnismäßigkeit des Verbots blieb wenig erhellend. Das Urteil wird noch im Juni verkündet.

Artikel lesen
Compact vor dem BVerwG 10.06.2025
Vereinsverbot

Compact-Prozessauftakt beim BVerwG:

Warten auf die "Blatt­schüsse"

Durfte das BMI das rechtsextreme Compact-Magazin verbieten? Wurde die Pressefreiheit ausreichend berücksichtigt? Was ist verfassungsfeindlich, was politisch legitime Kritik? Beim Bundesverwaltungsgericht hat nun das Verfahren begonnen. 

Artikel lesen
Uli Grötsch, SPD 10.06.2025
Polizei

Polizeibeauftragter des Bundes bezieht Stellung:

"Enga­ge­ment für die AfD" als Grund für die Diens­t­ent­las­sung

Der Polizeibeauftragte des Bundes, Uli Grötsch, äußert sich deutlich: eine AfD-Mitgliedschaft und die Tätigkeit als Polizist seien unvereinbar. Das müsse Konsequenzen haben, spätestens seit dem Verfassungsschutzgutachten über die Partei.

Artikel lesen
Demonstration am Rande der Urteilsverkündung des OLG München 2018 im NSU-Verfahren 10.06.2025
NSU

Beschwerde beim BGH erfolgreich:

Doch NSU-Unter­stützer-Pro­zess vorm Ober­lan­des­ge­richt Dresden

Wie weit reichte Susann Emingers Unterstützung für die rechtsterroristischen Taten des NSU? Darüber wird das OLG Dresden nun doch zu verhandeln haben, nachdem es die Eröffnung eines Verfahrens wegen Terrorunterstützung zuvor abgelehnt hatte.

Artikel lesen
Alexander Dobrindt (CSU) 10.06.2025
Verfassungsschutz

Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2024:

Immer mehr gewalt­be­reite Ext­re­misten

Gewaltbereite Salafisten, "Reichsbürger" und Rechtsextremisten: Der Verfassungsschutz hat laut seinem am Dienstag vorgestellten Jahresbericht zurzeit alle Hände voll zu tun. Das hat zum Teil auch mit der AfD zu tun.

Artikel lesen
ads lto paragraph
lto karriere logo
ads career people

Wir haben die Top-Jobs für Jurist:innen

Jetzt registrieren
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von Oppenhoff
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) al­le Fach­be­rei­che

Oppenhoff , Frank­furt am Main

Logo von BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB
Prak­ti­kan­ten

BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB , Köln

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Frank­furt (Oder)

Logo von Personalamt der Freien und Hansestadt Hamburg
Voll­ju­rist:in­nen (m/w/d) - Trainee­pro­gramm für an­ge­hen­de...

Personalamt der Freien und Hansestadt Hamburg , Ham­burg

Logo von RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) als An­ge­s­tell­te oder in frei­er Mit­ar­beit

RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH , 100% Re­mo­te

Logo von Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern
Ju­ris­ti­sche Mit­ar­bei­ter & Re­fe­ren­da­re | Ar­beits­recht | Ber­lin, Frank­furt,...

Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern , Ber­lin

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Pots­dam

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Cott­bus

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
Green Legal Lab 2025

29.08.2025, Berlin

DRK-Sommerschule im Humanitären Völkerrecht

25.08.2025, Strausberg

förder/kreis/tag 2025

23.06.2025

Webinar Weltraumrecht «Wettlauf ins All – Europas Rolle, Liechtensteins Beitrag»

17.06.2025

Webinar: RVG-Erhöhung 2025 – so rechnen Sie richtig ab!

18.06.2025

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH