BGH zu Prüfpflichten von Social-Media-Plattformbetreibern: "Ich ent­scheide, was ich sage und nur das ist mein Zitat"

18.02.2025

Ein Meme kursiert mit einer Aussage von Renate Künast, die sie nie getätigt hat - inwiefern ist Facebook dafür verantwortlich? Damit hat sich der BGH intensiv befasst. Das Gericht will aber erstmal eine andere EuGH-Entscheidung abwarten. 

Welche Ansprüche haben Betroffene, über die in sozialen Netzwerken Falschbehauptungen verbreitet werden? Diese Frage beschäftigt den Bundesgerichtshof (BGH) im Rahmen einer Klage der Grünen-Bundestagsabgeordneten Renate Künast gegen den Facebook-Konzern Meta. Der VI. Zivilsenat setzte das Verfahren nun aus und wartet die Entscheidung eines bereits anhängigen Verfahrens (Rs. C-492/23) beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) ab (Beschl. v. 18.02.2025, Az. VI ZR 64/24).

Gegenstand der Klage von Künast ist ein Meme, das ein Bild von ihr mit einem angeblichen Zitat zeigt: "Integration fängt damit an, dass sie als Deutscher mal Türkisch lernen." Die Wort-Bild-Kombination wurde bei Facebook in unterschiedlichen Varianten veröffentlicht und geteilt.

Das Entscheidende: Künast hat den Satz nie gesagt. Deshalb will sie vor Gericht unter anderem erreichen, dass Facebook alle "kerngleichen" Varianten des (Ausgangs-)Memes löschen muss – ohne, dass die Grünen-Politikerin noch einmal auf die jeweiligen Internetadressen hinweisen muss. In den Vorinstanzen hatten das Landgericht sowie das Oberlandesgericht Frankfurt ihr diesbezüglich im Kern bereits recht gegeben.

Es geht also konkret um die größere Frage, ob Plattformbetreiber sozialer Medien inhaltsgleiche Fake-News-Posts nach einmaliger Meldung proaktiv löschen und auch jeden neuen Upload löschen müssen. Meta argumentiert, dafür sei eine manuelle Prüfung des Beitrags auf dessen Sinngehalt nötig – zu der es als sog. Hosting-Anbieter nicht verpflichtet sei.

Was ändert der DSA?

"Ich entscheide, was ich sage und nur das ist mein Zitat", betonte Künast nach der mündlichen Verhandlung am BGH. Politikerinnen und Politiker seien auf ihre Glaubwürdigkeit angewiesen. "Wenn dann jemand ein Zitat erfindet, schadet es einem. Es führt dazu, dass sich Leute aufregen." Gerade Hasskommentare würden über den Facebook-Algorithmus dafür sorgen, dass sich das Falschzitat immer weiterverbreitet. Es könne nicht sein, dass das Unternehmen daran verdiene, während die Betroffenen sich um die Beseitigung der entsprechenden Posts bemühen müssten. "Die Macht dieser Konzerne und ihr Geschäftsmodell sind eine große Gefahr für unsere Demokratie." Künast wird im Verfahren vertreten von Rechtsanwalt Chan-jo Jun von der Jun Legal GmbH, vor dem BGH zudem von Dr. Siegfried Mennemeyer und Dr. Peter Rädler. Meta wurde beim BGH – wie auch schon im Scraping-Verfahren – von Prof. Dr. Christian Rohnke vertreten*.

Künast, Meta und die Frankfurter Vorinstanzen hatten in dem Verfahren bisher vor allem auf nationales Recht in Gestalt eines Unterlassungsanspruchs gemäß §§ 1004 Abs. 1 S. 2 (analog), 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i.V.m. Künasts Allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschaut. Jedoch wies der BGH schon vorab darauf hin, dass hier auch ein Verstoß gegen das Recht auf Vergessenwerden (Art. 17, 82 Datenschutz-Grundverordnung der EU (DS-GVO)) im Raum stehen könnte. Es stellten sich verschiedene europarechtliche Fragen, sagte der Vorsitzende Richter, Stephan Seiters, in der Verhandlung. Der BGH ziehe daher eine Vorlage an den EuGH in Erwägung.

Analog § 148 Zivilprozessordnung (ZPO) setzte der Senat das Verfahren nun aus, bis in der Rechtssache C-492/23 eine Entscheidung vorliegt. Der EuGH hatte sich bereits 2019 mit der Frage befasst, ob der Betreiber eines sozialen Netzwerks bei ihm gespeicherte Informationen zu entfernen hat, die den wort- oder sinngleichen Inhalt haben wie Informationen, die zuvor für rechtswidrig erklärt worden sind – dies geschah jedoch vor Inkrafttreten des Digital Services Act (DSA). Deshalb wartet der VI. Zivilsenat nun ab, wie der EuGH unter Berücksichtigung des DSA entscheidet.

Künast:"Für unsere Demokratie wichtig"

Künast tritt immer wieder Hass und Hetze in sozialen Medien entgegen. Eines der Verfahren beschäftigte auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), nachdem Künast gegen ein Urteil des Berliner Kammergerichts (KG) Verfassungsbeschwerde eingelegt hatte. Künast begehrte die Herausgabe von Nutzerdaten seitens Meta, in der Sache ging es um Beleidigungen wie "Drecks Fotze", "Pädophilen-Trulla" und weiteres. Mit scharfen Worten kritisierte der Erste Senat im Februar 2022, dass das KG keine Abwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern der Meinungsfreiheit einerseits und dem Schutz des Persönlichkeitsrechts Künasts andererseits vorgenommen habe. In der Folge kam es im November desselben Jahres dann doch noch zum Erfolg für Künast beim KG.

Unterstützt wird Künast von HateAid. Josephine Ballon, Geschäftsführerin von HateAid, sagte zu dem Verfahren: "Es ist einem Riesen-Konzern, der Milliardengewinne macht, indem zum Beispiel solche Falschzitate verbreitet werden, durchaus zumutbar, tatsächlich auch dafür zu sorgen, dass dieses Geschäftsmodell sicher betrieben wird". Der Einwand, "dass über eine menschliche Moderation gar nichts geleistet werden kann, weil es alles viel zu kompliziert und juristisch zu schwierig ist, den können wir hier einfach nicht gelten lassen", so Ballon.

Künast selbst betonte bereits vor der Verhandlung: "Lügen sind keine Meinung. Sie sind die Währung, die in den sozialen Netzwerken die Empörung hochtreibt. Das ist Teil des Geschäftsmodells der Plattformen, mit dem sie Milliarden verdienen. Für die Persönlichkeitsrechte der Nutzenden wollen sie aber keine Verantwortung übernehmen." Eine höchstrichterliche Entscheidung sei "für unsere Demokratie wichtig", so Künast abschließend. Wann der EuGH entscheidet, ist noch nicht absehbar. Erst vor knapp zwei Wochen wurden die Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH veröffentlicht.

jb/LTO-Redaktion mit Materialien der dpa

* Anm. d. Red.: Verfahrensbevollmächtigte ergänzt am 19.02.25, 16:44 Uhr 

Zitiervorschlag

BGH zu Prüfpflichten von Social-Media-Plattformbetreibern: . In: Legal Tribune Online, 18.02.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56621 (abgerufen am: 17.03.2025 )

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