VGH Baden-Württemberg: Wer deutsch sein will, muss Hände schüt­teln

16.10.2020

Der Handschlag ist laut VGH einer der elementaren Bestandteile des gesellschaftlich-kulturellen Zusammenlebens in Deutschland. Ein Mann, der Frauen aus religiösen Gründen nicht die Hand geben will, kann deshalb nicht eingebürgert werden.

Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg hat den Einbürgerungsantrag eines libanesischen Staatsangehörigen abgelehnt, der es ablehnt, Frauen die Hände zu schütteln. Die innere Einstellung des Mannes gewährleiste nicht, dass er sich in die deutschen Lebensverhältnisse einordne, entschied der VGH mit am Freitag bekanntgegebenem Urteil (v. 20.08.2020, Az. 12 S 629/19). Der Mann lehnt nach Angaben des VGH "infolge einer fundamentalistischen Kultur- und Wertevorstellung" das Händeschütteln mit jeder Frau ab, weil sie ein anderes Geschlecht hat und damit per se als eine dem Mann drohende Gefahr sexueller Versuchung beziehungsweise unmoralischen Handelns gelte.

Der knapp 40 Jahre alte Mann kam 2002 für ein Medizinstudium nach Deutschland und hielt sich seitdem ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Mittlerweile ist der Mann Facharzt und in einer Klinik als Oberarzt tätig. Sein Verhalten kam ihm dann bei der Übergabe der Einbürgerungsurkunde im Jahr 2015 in die Quere. Nachdem er das Merkblatt zur Verfassungstreue und zur Absage an jegliche Form von Extremismus unterschrieben und die maximale Punktezahl beim Einbürgerungstest erreicht hatte, weigerte er sich, bei der geplanten Übergabe der zuständigen Sachbearbeiterin die Hand zu schütteln. Er begründete dies damit, seiner Frau - einer Muslima deutscher Nationalität und syrischer Herkunft - versprochen zu haben, keiner anderen Frau die Hand zu geben. Zur Aushändigung der Urkunde kam es dann nicht mehr. Das Verwaltungsgericht Stuttgart wies seine daraufhin erhobene Klage ab.

VGH: Handschlag tief im gesellschaftlich-kulturellem Leben verwurzelt

Die Berufung des Mannes blieb vor dem VGH nun ebenfalls erfolglos. Eine Einbürgerung setze nach § 10 Staatsangehörigkeitsgesetz unter anderem voraus, dass der Bewerber seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleiste, so das Gericht zur Begründung. Die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse wiederrum setzt laut VGH "jenseits der stets vorauszusetzenden Bereitschaft zur Beachtung von Gesetz und Recht auch eine tätige Einordnung in die elementaren Grundsätze des gesellschaftlich-kulturellen Gemeinschaftslebens voraus."

Handschlag und Händeschütteln gingen in Deutschland auf eine jahrhundertelange Praxis zurück, der auch die Corona-Pandemie langfristig keinen Abbruch tun könne, so die Richter. Schließlich habe der Handschlag auch die Pandemien der Vergangenheit überdauert. Zwar seien als Ausdruck einer pluralistischen Gesellschaft auch andere Praktiken zur Begrüßung oder Verabschiedung anzutreffen, wie etwa Küsse oder ein "High Five". Bei durch Förmlichkeiten geprägten Anlässen sei es aber gerade der Handschlag, der regelmäßig praktiziert werde. Der Handschlag habe auch eine rechtliche Bedeutung und symbolisiere etwa einen Vertragsabschluss, so der VGH weiter. Er habe "daher im gesellschaftlich-kulturellen und rechtlichen Leben eine das Miteinander prägende, tiefgehende Verwurzelung" – unabhängig vom Geschlecht.

Verweigere ein Einbürgerungsbewerber also das Händeschütteln aus geschlechtsspezifischen Gründen, könne von keiner Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse keine Rede sein. Dies gilt laut Gericht insbesondere dann, "wenn die Verweigerung des zwischen-geschlechtlichen Handschlags - wie hier - dazu diene, dem Geltungsanspruch einer salafistischen Überzeugung zum Verhältnis von Mann und Frau zu einer gesellschaftlichen Wirkung zu verhelfen."

Vor Gericht trug der Mann vor, den Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau voll mitzutragen. Er habe sich deshalb dazu entschlossen, niemanden mehr die Hand zu geben. Überzeugt hat dies das Gericht allerdings nicht. Der Senat betrachtete die Einlassungen des Mannes " als ein unter dem Eindruck der Ablehnung der Einbürgerung entwickeltes taktisches Vorgehen".

Wegen grundsätzlicher Bedeutung ließ der VGH die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zu.

acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

VGH Baden-Württemberg: . In: Legal Tribune Online, 16.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43131 (abgerufen am: 10.10.2024 )

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