Die globale Pandemie verhindere, dass auch gesunde Afghanen ohne soziales Netzwerk in ihrem Heimatland ihre elementarsten Bedürfnisse befriedigen können. Wie es aussieht, wenn die Männer Gefährder sind, prüft das Ministerium jetzt.
Ein Asylbewerber aus Afghanistan darf wegen der Corona-bedingt verschlechterten Lebensbedingungen nicht in seine Heimat abgeschoben werden. Ihm werde es dort voraussichtlich nicht gelingen, auf legalem Wege seine elementarsten Bedürfnisse nach Nahrung, Unterkunft und Hygiene zu befriedigen, argumentierte der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg in einem am Mittwoch veröffentlichten Urteil (v. 17.12.2020, Az. A 11 S 2042/20).
Der 2016 nach Deutschland eingereiste Mann hatte gegen seinen abgelehnten Asylbescheid erfolglos beim Verwaltungsgericht (VG) Sigmaringen geklagt. Im Berufungsverfahren ging es nur noch um die Frage nach der Abschiebung.
Dort wich der 11. Senat des VGH nach eigenen Angaben nun von seiner bisherigen Rechtsprechung ab, nach der einem leistungsfähigen Mann eine Rückkehr nach Afghanistan zumutbar sei. Aufgrund der Schilderung einer Sachverständigen über die Entwicklung des Landes in der Pandemie zeigte sich das Gericht nun überzeugt, dass ein aus dem Westen zurückkehrender Mann keine Chance habe, auf dem Tagelöhnermarkt eine Arbeit zu finden. Anderes gölte nur, wenn er nach seiner Rückkehr ein familiäres oder soziales Netzwerk, finanzielle oder materielle Unterstützung durch Dritte oder ein ausreichendes Vermögen habe. Diese begünstigenden Umstände lägen aber bei dem Kläger nicht vor. Seine Situation rechtfertige daher ein Abschiebungsverbot.
Innenministerium prüft Auswirkungen auf Fälle von Gefährdern und Straftätern
Mitte Januar waren fünf Gefährder und Straftäter aus Baden-Württemberg nach Afghanistan abgeschoben worden. Das Innenministerium will prüfen, welche Auswirkungen das Urteil auf weitere Abschiebungen aus dieser Personengruppe haben könnte. Bei anderen Gruppen sei man mit Abschiebungen derzeit zurückhaltend, sagte ein Sprecher von Innenminister Thomas Strobl (CDU).
Andere Oberverwaltungsgerichte hatten zuletzt ganz anders entschieden als die Mannheimer Richterinnen und Richter. In Bayern etwa wurde einem jungen gesunden Mann zugemutet, trotz der Corona-Pandemie nach Afghanistan zurückzukehren. In Bremen und Rheinland-Pfalz kamen noch die Kriterien "durchsetzungsfähig" beziehungsweise "durchsetzungsfähig und sozial eingebettet" hinzu. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) stellte zudem in einem Fall aus Berlin klar, dass bei nicht durchgesetzten Abschiebungen nach Afghanistan das Rechtsschützbedürfnis im Eilverfahren nicht entfällt.
Eine Revision im Fall aus Baden-Württemberg zum Bundesverwaltungsgericht wurde nicht zugelassen. Dagegen kann Nichtzulassungsbeschwerde erhoben werden.
dpa/pdi/LTO-Redaktion
VGH Baden-Württemberg: . In: Legal Tribune Online, 03.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44176 (abgerufen am: 14.10.2024 )
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