Erfolgreiches Eilverfahren irischer Palästina-Aktivistin: VG Berlin stoppt wei­tere dro­hende Abschie­bung

von Joschka Buchholz

07.05.2025

Ohne strafrechtliche Verurteilung will Berlin propalästinensische Aktivisten abschieben. Das VG Berlin stoppte dies nun erneut für eine Irin – zumindest vorerst.

Drei EU-Bürger und eine US-amerikanische Person sollen nach Teilnahme an propalästinensischen Protesten, insbesondere einer gewaltsamen Uni-Besetzung, aus Deutschland ausreisen. Nun war eine weitere palästinensische Aktivistin aus Irland vor Gericht erfolgreich: Sie darf vorerst nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin entschieden (Beschl. v. 06.05.2025, Az. VG 21 L 157/25).

Die Entscheidung steht im Kontext der Bescheide des Landeseinwohneramts (LEA) Berlin von Anfang März, mit denen vier an der gewaltsamen Besetzung der Freien Universität beteiligte Personen abgeschoben werden sollen. Soweit davon auch EU-Bürger betroffen sind, wurde der Entzug der Freizügigkeit ohne Strafverfahren scharf kritisiert, LTO berichtete.

Bereits vor etwa vier Wochen entschied das VG Berlin einen der Fälle, bei dem ebenfalls ein irischer Staatsangehöriger betroffen ist. Die 24. Kammer stellte die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den LEA-Bescheid wieder her. Bis das VG in der Hauptsache entschieden hat, darf der 29-Jährige in Deutschland bleiben. 

Gleichlautend erging nun die Entscheidung der 21. Kammer, die betroffene 31-jährige irische Aktivistin darf ebenfalls bis zur Hauptsacheentscheidung in Deutschland bleiben. "Nach der gebotenen summarischen Prüfung bestehen durchgreifende Bedenken gegen die materielle Rechtmäßigkeit", so die Kammer.

Was geschah bei der Besetzung der FU Berlin?

Gegen die Aktivistin waren in der Vergangenheit bereits zwei strafrechtliche Ermittlungsverfahren aus dem Kontext propalästinensischer Proteste eingestellt worden. Derzeit laufen noch drei weitere Ermittlungsverfahren, die im Kontext der gewaltsamen Besetzung der FU Berlin im Oktober 2024 stehen. Laut der Darstellung des Berliner Senats sollen etwa 40 Personen das Gebäude gestürmt haben. "Von Seiten der Besetzerinnen und Besetzer wurde der Versuch unternommen, Mitarbeitende aus ihren Büros zu zerren. Die angreifenden Personen waren zudem vermummt und mit Äxten, Sägen, Brecheisen und Knüppeln bewaffnet", heißt es in der Beantwortung einer Kleinen Anfrage. 

Wiederum weichen die Schilderungen des ermittelnden Landeskriminalamtes (LKA) in den Ausweisungsbescheiden davon ab. Dort ist die Rede von 20 Personen, die sich Zugang zum Gebäude verschafft, dort Wände beschmiert und die Technik zerstört hätten. Sie sollen Brecheisen bzw. "Kuhfüße" bei sich geführt haben. Hiermit sollen sie versucht haben, eine Tür zu einem Raum aufzubrechen, in dem sich ein stark verängstigter FU-Mitarbeiter verschanzt hatte. Äxte, Sägen und Knüppel werden nicht erwähnt. Im Anschluss an die Besetzung kam es zu Festnahmen. Zehn Verdächtige – unter ihnen auch die vier Aktivisten – sollen versucht haben, dies zu verhindern.

In Rede steht deshalb eine mögliche Strafbarkeit unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs gemäß §§ 125, 125a Strafgesetzbuch (StGB), wobei der Ausgang des Ermittlungsverfahrens noch offen ist. Wichtig ist diese Frage, weil im Falle einer Verurteilung ein Freizügigkeitsentzug gemäß § 6 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) wohl eher möglich wäre. Zusätzlich muss gleichwohl noch prognostiziert werden, ob die Person eine "tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung" begründet, "die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt".

Möglicher Verstoß gegen Staatsräson – "in erster Linie eine außenpolitische Zielvorgabe"

Die 21. Kammer entschied nun, dass eine solche Gefährdung zulasten der Irin – insbesondere aus den laufenden Ermittlungsverfahren – nicht festgestellt werden könne. Es sei zum derzeitigen Ermittlungsstand zum Landfriedensbruch weder "von einem herausragenden Maß der Beteiligung der Antragstellerin an der vorgeworfenen Tat auszugehen noch kann angesichts ihrer bisherigen Entwicklung und Persönlichkeit auf eine künftige erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit geschlossen werden".

Ferner hatte das LEA der Frau vorgeworfen, wider die Staatsräson gehandelt zu haben. "Ohne nähere verfassungs- oder verwaltungsrechtliche Konkretisierung", so die Kammer, sei die Staatsräson indes "eine außenpolitische Zielvorgabe, die in der Abwägungsentscheidung des § 6 FreizügG/EU allenfalls im Rahmen der Bestimmung des Schutzgutes der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit Berücksichtigung finden kann". Sodann kommt die Kammer zu der Feststellung, es möge zwar sein "dass einige der gegen die Antragstellerin geführten Ermittlungsverfahren aus Versammlungen heraus entstanden sind, die im Zusammenhang mit dem sogenannten Nahostkonflikt stehen. Aus diesem Umstand kann für sich genommen jedoch nicht auf eine der Staatsräson zuwiderlaufende Gesinnung der Antragstellerin geschlossen werden". Jedenfalls könnte aber eine entsprechende Gesinnung allein nicht Anknüpfungspunkt für den Freizügigkeitsentzug sein.

Wann mit einer Entscheidung in der Hauptsache zu rechnen ist, sei derzeit noch nicht abzusehen, teilte das VG Berlin mit.

Zitiervorschlag

Erfolgreiches Eilverfahren irischer Palästina-Aktivistin: . In: Legal Tribune Online, 07.05.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57140 (abgerufen am: 24.05.2025 )

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