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VG Frankfurt am Main: Stadt Frankfurt am Main muss Pressemitteilung widerrufen

22.07.2011

Das örtliche VG hat die Stadt Frankfurt am Main zum Widerruf einer Pressemitteilung über ein Braunkohlestaubkraftwerk verpflichtet. Das geht aus einem Beschluss vom Donnerstag hervor.

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Der Widerruf der am 30. März 2011 veröffentlichten Pressemitteilung müsse an denselben Verteiler von Presse, Rundfunk und Fernsehen gehen, über den auch die ursprüngliche Mitteilung verschickt wurde, so das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main (VG, Beschl. v. 21.07.2011, Az. 8 L 1521/11.F(V)).

Den Text hatte die Frankfurter Umweltdezernentin verschickt. Darin hieß es, dass ein geplantes Braunkohlestaubkraftwerk Quecksilber ausstoßen würde, das eingeatmet und die Böden kontaminieren kann. Die Belastung würde bis zu zwei Millionen Milligramm Quecksilber betragen und über den Regen auch in den Main gelangen. Außerdem sei die immissionsschutzrechtliche Genehmigung "ohne jede Umweltprüfung auf Zuruf" erteilt worden, denn Braunkohlestaub sei der klimaschädlichste und schmutzigste Energielieferant.

Die Betreiberin des Kraftwerks konnte wenig später alle erforderlichen Genehmigungen vorweisen; gebaut werden sollte in einem Industriegebiet gemäß Bebauungsplan.

Gerichtlicher Eilrechtsschutz über einstweilige Anordnung

Vor Gericht sollte es schnell gehen. Die Kraftwerksbetreiberin verlangte den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Zuvor hatte sie vergeblich versucht, die Dezernentin und die Stadt außergerichtlich zum Widerruf zu bewegen.

Die Richter entschieden, dass die Antragstellerin die Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung glaubhaft gemacht hatte. Entscheidend sei dafür die Rechtmäßigkeit der Pressemitteilung, gegen die das Gericht eine ganze Reihe von Einwänden sah.

Die Pressemitteilung sei rechtswidrig, weil die nötige Ermächtigungsgrundlage fehlte. Das Recht auf kommunale Selbstverwaltung reiche nicht. Hieraus folge zwar die Befugnis, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln - allerdings nur "im Rahmen der Gesetze". Das Genehmigungsverfahren nach Immissionsschutzrecht war aber Sache des zuständigen Regierungspräsidiums und nicht der Stadt.

Das Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) erlaube es der Gemeinde ebenfalls nicht, für den "Schutz von Leben und Gesundheit der Einwohner durch die Einhaltung einer intakten Umwelt" einzutreten. Die Gemeinde sei schließlich kein "Sachwalter des öffentlichen Interesses".

Auch das Bauplanungsrecht, auf das sich die Gemeinde zwar berufen könne, sei nicht verletzt. Im Bebauungsplan war ein Industriegebiet festgesetzt worden, das ein solches Braunkohlestaubkraftwerke erlaube. Hierzu sei durch das Stadtplanungsamt das gemeindliche Einvernehmen erteilt worden.

Keine Meinungsfreiheit für die Stadt

Schließlich könne auch die Meinungsfreiheit aus Art. 5 des Grundgesetzes die Mitteilung der Stadt nicht rechtfertigen. Die Stadt sei eine juristische Person des öffentlichen Rechts, deren Organe sich nicht auf Grundrechte berufen könnten.

Meinungsäußerungen müssten daher den Rahmen der geltenden Kompetenznormen einhalten. Der § 66 Abs. 2 der Hessischen Gemeindeordnung könne nicht als solche Kompetenznorm herhalten. Die Gemeinde dürfe über Fragen ihrer Verwaltung informieren, nicht aber über das Vorhaben der Antragsstellerin, das außerhalb der Gemeindeverwaltung liege.

Die sonst für staatliche Warnungen herangezogene Ermächtigung auf Grundlage höchstrichterlicher Rechtsprechung erlaube zwar Hinweise, Warnungen und Empfehlungen. Die Befugnis für diese mittelbaren Grundrechtseingriffe wird unmittelbar aus dem Grundgesetz abgeleitet und mit dem Rechtsgedanken der staatlichen Schutzpflicht begründet, der Kreis der Ermächtigten ist aber klein. Nur der Bundesregierung komme die Kompetenz für staatliche Warnungen zu - die Stadt Frankfurt am Main habe damit im Ergebnis ohne Ermächtigung gehandelt, die Pressemitteilung sei rechtswidrig.

Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig, innerhalb von zwei Wochen kann beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof Beschwerde eingelegt werden.

ssc/LTO-Redaktion

 

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VG Frankfurt am Main: Stadt Frankfurt am Main muss Pressemitteilung widerrufen . In: Legal Tribune Online, 22.07.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3833/ (abgerufen am: 04.06.2023 )

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