VG Braunschweig beanstandet Einbürgerungspraxis: "Schauen Sie deut­sches Fern­sehen?"

24.02.2025

Der Antrag eines libanesischen Staatsbürgers auf Einbürgerung wurde laut VG Braunschweig zu Unrecht abgelehnt. Während des Verfahrens wurden Fragen gestellt wie "Schauen Sie deutsches Fernsehen?" und "Besuchen Sie regelmäßig die Moschee?".

Das Verwaltungsgericht (VG) Braunschweig hat der Klage eines libanesischen Staatsbürgers gegen die Ablehnung seiner Einbürgerung durch den Landkreis Peine stattgegeben. Obwohl er alle Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllte, hatte ein Behördenmitarbeiter ihm Fragen gestellt, für die es weder Anlass noch eine gesetzliche Grundlage gegeben habe, so das VG. Dass der Landkreis seine Einbürgerung allein wegen der "teilweise nicht vollständig[en] und richtig[en]" Beantwortung dieser Fragen ablehnte, sei daher nicht rechtmäßig gewesen (Urt. v. 20.02.2025, Az. 4 A 114/24).

Der seit zwölf Jahren in Deutschland lebende Mann hatte im Jahr 2023 seine Einbürgerung beim Landkreis Peine beantragt. Dazu legte er vollständige Unterlagen zu seiner Identität, seinem rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland, einem Sprachtest, dem erfolgreich absolvierten Einbürgerungstest, eigener Lebensunterhaltssicherung und Straffreiheit vor. Auch routinemäßigen Abfragen bei den Sicherheitsbehörden hatten keine der Einbürgerung entgegenstehenden Erkenntnisse über den Mann ergeben.

Dennoch erklärte ein Behördenmitarbeiter ihm, dass noch eine mündliche Befragung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes notwendig sei. Dazu wurden ihm 23 Fragen gestellt, zum Beispiel "Was verstehen Sie unter Demokratie?", "Was verstehen Sie unter einem Rechtsstaat und der Unabhängigkeit der Gerichte?", "Schauen Sie deutsches Fernsehen?" und "Besuchen Sie regelmäßig eine Moschee?".

Im April 2024 lehnte der Landkreis die Einbürgerung letztlich ab. Das begründete er allein damit, dass der Mann auf die 23 Fragen "teilweise nicht vollständig und richtig" geantwortet habe. Es sei daher anzunehmen, dass er Inhalt und Bedeutung der Erklärung, sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik zu bekennen, nicht verstehe, so der Landkreis. Es sei ihm deshalb auch nicht möglich, sich zu eben jener zu bekennen. Der Mann klagte letztlich.

Vor Gericht argumentierte der Landkreis, dass derartige Befragungen grundsätzlich bei allen sich um eine Einbürgerung Bewerbenden auch ohne Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Einstellung durchzuführen seien. Ein – wie vom klagenden Mann – erfolgreich abgelegter Einbürgerungstest über die Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung in Deutschland sei nicht ausreichend.

VG: Keine Grundlage für anlasslose Befragungen

Das sah das VG anders. Es gebe bereits keine gesetzliche Grundlage für eine solche anlasslose Befragung, auch nicht nach dem im Sommer 2024 in Kraft getretenen "Staatsangehörigkeitsmodernisierungsgesetz". Anders sei das nur, wenn Hinweise auf Äußerungen oder Handlungen vorlägen, die Zweifel an der Verfassungstreue von Einbürgerungswilligen wecken könnten.

Nur bei Anhaltspunkten zu Zweifeln an der Verfassungstreue oder Hinweisen auf andere mögliche Ausschlussgründe sehe der Gesetzgeber und die vom Bundesinnenministerium erlassenen Verfahrensrichtlinien weitere Ermittlungen, wie etwa ein persönliches Gespräch mit Fragen zur freiheitlich demokratischen Grundordnung, vor, so das VG. Solche Hinweise könnten unter anderem rassistische oder antisemitische Äußerungen oder die Unterstützung eines Vereins sein, der auswärtige Belange Deutschlands gefährdet. Der Landkreis konnte solche Anhaltspunkte für den Mann aber nicht darlegen.

Außerdem führte das VG an, dass der Landkreis bei der mündlichen Befragung und deren Auswertung weder das – gesetzlich für die Einbürgerung ausreichende und von dem Mann durch einen Sprachtest nachgewiesene – Sprachniveau "B1" noch sein individuelles Bildungsniveau berücksichtigt habe.

Nach dem geltenden Staatsangehörigkeitsgesetz sind die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Einbürgerung klar geregelt. Unter anderem muss sich die einbürgerungswillige Person seit fünf Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhalten, ihre Identität und Staatsangehörigkeit müssen geklärt sein, sie muss ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können, ausreichend Deutschkenntnisse haben und darf nicht wegen einer Straftat verurteilt worden sein. Außerdem muss sie sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes bekennen und Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung in Deutschland haben.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfragen zur Auslegung von Bundesrecht hat das VG die Berufung beim Oberverwaltungsgericht sowie die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.

mh/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

VG Braunschweig beanstandet Einbürgerungspraxis: . In: Legal Tribune Online, 24.02.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56655 (abgerufen am: 19.04.2025 )

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