Senegal gilt als sicherer Herkunftsstaat. Asyl zu bekommen, ist für Menschen aus diesen Ländern schwieriger. Das VG hat in Bezug auf Senegal Zweifel an der politischen Einstufung und hat dem EuGH einige Fragen vorgelegt.
Wie sicher ist Senegal? Das Verwaltungsgericht (VG) Berlin hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) dazu im Rahmen eines Asylklageverfahrens eines 26-Jährigen mehrere Fragen vorgelegt (Beschl. v. 29. 11.2024, Az. VG 31 K 671/23 A). Das westafrikanische Land ist seit 1993 als sicherer Herkunftsstaat eingestuft.
In dem Fall geht es um einen Mann aus Senegal, der im Jahr 2019 zunächst zum Studium nach Russland, von dort aus im März 2023 nach Deutschland gereist war. Da Senegal als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a Asylgesetz (AsylG) gilt, wird sein Verfahren nach besonderen Regeln durchgeführt: Gilt ein Herkunftsland als sicher, können Asylanträge als offensichtlich unbegründet beschieden werden. Es besteht bei diesen Ländern die gesetzliche Vermutung, dass keine Gründe für Asyl bestehen, anderes muss der Schutzsuchende durch entsprechenden Vortrag glaubhaft machen.
Senegal ist nach Darlegung des VG Berlin in manchen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht (mehr) als sicherer Herkunftsstaat eingestuft; so etwa in den Niederlanden nur mit gruppenbezogenen Ausnahmen, zum Beispiel für LGBTQI+-Antragsteller und Personen, die Strafverfolgung oder Diskriminierung geltend machen).
Genitalverstümmelung, Zwangsheirat, Betteln
Die 31. Kammer des VG legte weitere Umstände zu dem Land dar: Rund 25 Prozent der Mädchen und Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren seien Opfer von Genitalverstümmelung. Einige Regionen des Staates wiesen dabei die höchsten Prävalenzraten weltweit auf, über 90 Prozent aller Frauen der jeweiligen Region. Zwangsheirat, besonders Minderjähriger, sei trotz Verbots auf dem Lande verbreitet. Eine große Zahl von Kindern - Schätzungen gehen von 60.000 bis ca. 100.000 Kindern aus - zwischen drei und 15 Jahren würden von ihren Familien in Koranschulen geschickt (sogenannte Talibé-Kinder), wo sie in vielen Fällen zum Betteln auf der Straße missbraucht werden.
Gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen seien im Senegal strafbar und würden mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe geahndet, so das VG weiter. Religionsgemeinschaften zeigten keine Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten, in der Gesellschaft würden LGBTQI+-Personen diskriminiert. Die senegalesische Verfassung sehe zwar vor, dass alle Angeklagten das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren haben und die Justiz hat dieses Recht im Allgemeinen durchgesetzt, aber willkürliche Verhaftungen und längere Inhaftierungen gäben weiterhin Anlass zur Sorge, so das Gericht.
Einordnung als "sicher", wenn für viele Menschen unsicher?
Vor diesem Hintergrund bittet die 31. Kammer des VG im Rahmen eines Vorlageverfahrens den EuGH um Klärung, ob für die Bestimmung eines Staates zum sicheren Herkunftsstaat (landesweit) Sicherheit für alle Bevölkerungsgruppen bestehen muss und was eine solche Bevölkerungsgruppe ist bzw. unter welchen Voraussetzungen sie als nicht sicher anzusehen ist. Dafür braucht es die Auslegung der Asylverfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU).
Das Gericht wies dabei auf eine jüngere Entscheidung des EuGH hin: Der habe entschieden, dass ein Drittstaat nicht als sicherer Herkunftsstaat eingestuft werden könne, wenn Teile des Landes nicht sicher seien. In der Entscheidung sei es aber um den territorialen Aspekt gegangen (Urt. v. 04.10.2024, Az. C-406/22). Offen sei jedoch noch der personenbezogene Aspekt, so das VG Berlin, ob also "ein Drittstaat nicht als sicher eingestuft werden dürfe, wenn bestimmte Personengruppen nicht sicher sind".
Für den Anwalt des Mannes aus dem Senegal, Christoph Tometten, steht schon jetzt fest: "Die Bundesregierung muss Senegal unverzüglich von der Liste der sicheren Herkunftsstaaten streichen. Staaten, die Frauen nicht vor Genitalverstümmelung schützen und LSBTI* kriminalisieren, sind nicht sicher. Kaum denkbar, dass der EuGH das anders sieht."
tap/LTO-Redaktion
VG fragt den EuGH: . In: Legal Tribune Online, 11.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56090 (abgerufen am: 18.01.2025 )
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