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Versammlungen trotz Corona?: Nichts geht mehr

14.04.2020

Artikel 8 Grundgesetz

Manuel Schönfeld - stock.adobe.com

Versammlungen finden aufgrund der Coronakrise praktisch nicht mehr statt. Wer sich vor Gericht dagegen wehrt, hat im Moment wenig Chancen. Wer findet, dass der Staat zu weit geht, darf in einigen Bundesländern nicht einmal demonstrieren.

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Der Oster-Gottesdienst in der Kirche verboten, das Familientreffen unmöglich, der Feiertagsausflug tabu: Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie sind die drastischsten Beschränkungen der Freiheitsrechte in der Geschichte der Bundesrepublik. Auch die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Grundgesetz (GG) ist davon stark betroffen. Landauf, landab gehen derzeit Eilanträge bei den Verwaltungs- und Verfassungsgerichten ein. In den allermeisten Fällen bestätigen die Gerichte die Versammlungsverbote.

So entschied der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) am Dienstag, dass eine für den selben Tag geplante Versammlung mit dem Thema "Gesundheit stärken statt Grundrechte schwächen –Schutz vor Viren, nicht vor Menschen" in Gießen verboten bleibt. Wegen der Eilbedürftigkeit beschränkte sich das Gericht auf die Beschlussformel, eine Begründung soll "zeitnah im Laufe der Woche" gegeben und den Beteiligten zugestellt werden (Beschl. v. 14.04.2020, Az. 2 B 985/20).

Das Verwaltungsgericht (VG) Gießen hatte Versammlungsverbot zuvor ebenfalls bestätigt (Beschl. v. 09.04.2020, Az. 4 L 1479/20.Gl). Die durch die Hessische Corona-Verordnung vorgesehenen Grundrechtseinschränkungen hielt das VG angesichts der infektionsrechtlichen Bedrohungslage für gerechtfertigt.

Gedenkfeier zur KZ-Befreiung fällt aus

Am 11. April sollte eigentlich der 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald gefeiert werden – aber auch in diesem Fall bestätigte das Thüringer Oberverwaltungsgericht (OVG) das Verbot einer Versammlung, die auf dem ehemaligen Appellplatz des Geländes stattfinden sollte. Die Thüringer Richter betonten, dass im Eilverfahren nicht geklärt werden könne, ob das völlige Verbot der Gedenkfeier gerechtfertigt sei. Der Staat habe fortwährend zu kontrollieren, ob die bestehenden Einschränkungen weiter erforderlich sein (Beschl. v. 10.04.2020, Az. 3 EO 248/20).

"Der Gesetzgeber hat der Regierung im Prinzip keine Vorgaben gemacht, welche Eskalationsstufen im Falle einer Pandemie bei der Beschränkung von Freiheitsrechten möglich und erforderlich sind", sagt Bijan Moini, Hausjurist der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). "Jetzt in Eilverfahren diese Abwägung leisten zu müssen, lastet den Gerichten enorm viel auf."

Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, spricht in der Süddeutschen Zeitung von einem Dilemma: "Es führt dazu, dass man derzeit keine ernsthaften rechtlichen Bedenken gegen die Maßnahmen erheben kann, auch wenn sie zu schwerwiegenden Grundrechtseingriffen führen." Und: "Ich kann mir schon vorstellen, dass ein Richter sagt: Ich kann nicht die Verantwortung dafür übernehmen, den Schutz von Leben und Gesundheit hintanzustellen, selbst wenn die Freiheit der Person sehr wichtig ist."

Beschränkungen auf Dauer nicht hinnehmbar

Die Internetseite "LexCorona", die sämtliche Rechtsakte und Urteile zum Thema sammelt, verzeichnete am Dienstag schon mehr als 130 Gerichtsentscheidungen. Erfolg haben bisher die wenigsten Kläger. "Die Gerichte sind sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, die Einschätzung der Behörden durch eigene Werturteile zu ersetzen", beobachtet Moini.

Die strikten Versammlungsverbote in einigen Bundesländern bereiten den Bürgerrechtlern dabei besonders große Sorge. In einem Fall hat das VG Neustadt sogar eine Demonstration von zwei Personen untersagt, die Schutzmasken tragen und zueinander Abstand halten wollten.

Rechtsexperten sind sich außerdem einig, dass die schrittweise Lockerung der Corona-Maßnahmen eine entscheidende Rolle spielt. Der gestaffelte "Exit" sei "ein nicht nur praktisch naheliegender, sondern auch verfassungsrechtlich gebotener Weg", schreibt der frühere Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Auch Ex-Gerichtspräsident Papier meint: "Es muss alles getan werden, um Art und Ausmaß der Gefahren genauer einzugrenzen." Auf Dauer könne man eine solche flächendeckende Beschränkung nicht hinnehmen. "Das muss befristet sein."

acr/LTO-Redaktion

mit Materilien der dpa

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