VerfGH Baden-Württemberg: Ver­fas­sungs­be­schwerde gegen Blitzer-Buß­geld erfolg­reich

18.01.2023

Wer geblitzt wurde und sich gegen den Bußgeldbescheid wehren möchte, muss die Daten des Messgeräts selbst überprüfen können. Das folgt aus der "Waffengleichheit" zwischen Behörde und Bürger, entschied der baden-württembergische VerfGH.

Adressaten von Blitzer-Bußgeldbescheiden muss Zugang zu den Wartungs- und Reparaturunterlagen des Messgeräts gewährt werden. Das entschied der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) des Landes Baden-Württemberg am Montag (Urt. v. 16.01.2023, Az. 1 VB 38/18). 

Dem betroffenen Autofahrer war vorgeworfen worden, die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 44 km/h überschritten zu haben. Ihm wurde deshalb zunächst mit Bußgeldbescheid und anschließend mit Urteil des Amtsgerichts (AG) Mannheim eine Geldbuße in Höhe von 160 Euro sowie ein einmonatiges Fahrverbot auferlegt. Während des Bußgeldverfahrens hatte der Mann die Übermittlung der Ermittlungsakte, der Rohmessdaten sowie der Lebensakte und der Wartungs- und Reparaturnachweise des Messgeräts angefordert. 

Die Bußgeldbehörde hatte ihm daraufhin die Ermittlungsakte sowie einige der gewünschten Rohmessdaten zur Verfügung gestellt, eine Einsicht in die Lebensakte und in die Wartungs- und Reparaturunterlagen des Messgeräts erhielt er hingegen nicht. Sowohl das Amtsgericht als auch das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe bestätigten die Entscheidung mit der Begründung, die Herausgabe der Unterlagen als Beweiserhebung sei nicht erforderlich und es bestehe kein Anspruch auf Beiziehung der Akten. 

Verweigerung der Einsicht verstößt gegen Grundsatz des fairen Verfahrens

Der Autofahrer legte daraufhin Verfassungsbeschwerde ein, die nun erfolgreich war. Nach Ansicht der Verfassungsrichter stellt die Verweigerung der Einsicht in die Unterlagen durch die Instanzgerichte einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens dar und ist damit verfassungswidrig. Sie stützen sich dabei auch auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, der festgestellt hatte, dass aus dem Recht auf ein faires Verfahren grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen folge. Hierbei handele es sich nicht um eine Frage der gerichtlichen Aufklärungspflicht, sondern der Verteidigungsmöglichkeiten des Betroffenen.

Im Rechtsstaat müsse dem Betroffenen die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen, betonten die baden-württembergischen Richter. Dabei wende sich das Gebot zur fairen Verfahrensgestaltung nicht nur an die Gerichte, sondern auch an die Exekutive. Ein rechtsstaatliches und faires Verfahren fordere "Waffengleichheit" zwischen den Verfolgungsbehörden einerseits und dem Beschuldigten andererseits. Er müsse daher möglichst frühzeitigen und umfassenden Zugang zu Beweismitteln und Ermittlungsvorgängen erhalten, ohne die er seine Rechte nicht wirkungsvoll wahrnehmen könnte. Dazu gehören nach Ansicht des Gerichts auch solche Inhalte, die zum Zweck der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden. Dadurch würden seine Verteidigungsmöglichkeiten erweitert, weil er selbst nach Entlastungsmomenten suchen könne. 

Diese Grundsätze seien von den Vorinstanzen verkannt worden, indem sie die Einsichtsgesuche betreffend die Wartungs- und Reparaturunterlagen als Beweisanträge bewertet und diese im Rahmen der Prüfung einer gerichtlichen Aufklärungspflicht abgelehnt hätten. Der Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen - aber vorhandenen - Informationen verpflichte aber nicht etwa das Gericht, die geforderten Unterlagen aufgrund seiner Aufklärungspflicht beizuziehen, sondern entspringe allein dem Recht des Betroffenen, die Grundlagen des gegen ihn erhobenen Vorwurfs einzusehen und selbst zu prüfen, so die Richter.

Das hatte in einem Verfahren aus dem Jahr 2021 auch schon der rheinland-pfälzische Verfassungsgerichtshof so gesehen, der ebenfalls einen Anspruch auf Herausgabe der Messgerät-Unterlagen bestätigt hatte.

pab/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

VerfGH Baden-Württemberg: Verfassungsbeschwerde gegen Blitzer-Bußgeld erfolgreich . In: Legal Tribune Online, 18.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50793/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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