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Schuldenbremse und Sondervermögen: Union und SPD haben ihre Geld­qu­ellen gefunden

05.03.2025

Markus Söder, Friedrich Merz, Lars Klingbeil, Saskia Esken

Am Dienstag erreichte Schwarz-Rot in den Sondierungen für eine künftige Bundesregierung einen wichtigen Meilenstein: Union und SPD beschafften sich Geld für die kommende Koalition. Foto: picture alliance/dpa | Carsten Koall

Schwarz-Rot hat ein gigantisches Finanzpaket geschnürt und steuert auf Koalitionsgespräche zu. Kurzfristig Hunderte Milliarden Euro neue Schulden machen – das bleibt nicht ohne Kritik. Verfassungsrechtler sehen hier aber keine Probleme.

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Union und SPD haben auf der Suche nach Geld in ihren Sondierungsgesprächen einen ersten Durchbruch erzielt und ein Finanzpaket von historischem Ausmaß für Verteidigung und Infrastruktur geschnürt. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse soll für Verteidigungsausgaben gelockert werden. Außerdem soll ein Sondervermögen für die Instandsetzung der Infrastruktur mit 500 Milliarden Euro geschaffen werden. Mittlerweile steht auch der enge Zeitplan für die Sondersitzungen des Bundestags fest.

Beide Beschlüsse sollen wegen der komplizierten Mehrheitsverhältnisse im neuen Bundestag noch vom alten Bundestag (Art. 39 Grundgesetz (GG)) gefasst werden. Allein haben Union und SPD auch im alten Bundestag nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit für eine Grundgesetzänderung. Sie setzen aber auf die Grünen. Im neuen Bundestag dagegen sind AfD und Linke mit über einem Drittel der Sitze so stark, dass sie entsprechende Grundgesetzänderungen blockieren könnten (sogenannte Sperrminorität).

Merz: "Whatever it takes"

Die Beschlüsse gelten auch als wichtiges Signal für die Handlungsfähigkeit Deutschlands mit Blick auf den EU-Gipfel am Donnerstag, wo es um eine Antwort auf den Kurswechsel der USA in der Ukraine-Politik gehen wird. "Angesichts der Bedrohungen unserer Freiheit und des Friedens auf unserem Kontinent muss jetzt auch für unsere Verteidigung gelten: whatever it takes", so Bald-Bundeskanzler Friedrich Merz. 

Nach der Einigung sollen diejenigen Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse ausgenommen werden, die über einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen. Das wäre – gerechnet mit dem BIP von 2024 – alles über etwa 43 Milliarden Euro.

Das sei aber nur zu verkraften, wenn die Wirtschaft binnen kürzester Zeit wieder auf einen stabilen Wachstumskurs zurückkomme, so Merz. Dafür müsse die Infrastruktur verbessert werden. "Die notwendigen Mittel dazu können nicht allein aus den laufenden Haushalten des Bundes, der Länder und der Gemeinden finanziert werden", sagte er. Das geplante kreditfinanzierte Sondervermögen solle über zehn Jahre laufen. Außerdem sollen auch die Länder die Möglichkeit bekommen, mehr Schulden zu machen. Ihre Schuldenbremse, die bisher besonders streng ist, soll an die etwas flexiblere Bundesregelung angepasst werden.

Alter Bundestag bleibt handlungsfähig

Die Pläne, noch mit dem alten Bundestag Hunderte Milliarden freizumachen, lobten insbesondere Gewerkschaften und Kommunen. Kritik kommt dagegen besonders aus dem liberal-konservativen Lager, unter anderem von der sogenannten Wirtschaftsweisen Veronika Grimm. Sie befürchtet, dass die nächste Bundesregierung nun deutlich weniger Reformdruck verspüren wird, weil mehr Geld zur Verfügung steht. Es sei eine "extrem riskante Wette", den Reformbedarf durch Verschuldung immer weiter hinauszuschieben, sagte sie der dpa.

Neben ökonomischen Argumenten gibt es aber auch juristische Kritik am Vorhaben, noch mit dem alten Bundestag die Neuverschuldung zu beschließen, obwohl die wahrscheinlich künftige schwarz-rote Regierung weiß, dass die Verhältnisse im neuen Bundestag ganz andere wären. Bereits vergangene Woche hatte deshalb die Linke mit dem Gang nach Karlsruhe gedroht. Für eine Grundgesetzänderung in der Übergangszeit vor der Konstituierung eines neuen Bundestags gebe es keinen Präzedenzfall, sagte der amtierende Parlamentarische Geschäftsführer Christian Görke.

Clara Bünger, rechtspolitische Sprecherin der Linken, bekräftigte am Mittwoch gegenüber LTO: "Es gibt einige Stimmen von Jurist*innen, die das geplante Vorgehen für rechtlich bedenklich halten. Wir prüfen deshalb derzeit, Rechtsbehelfe dagegen einzulegen. Politisch steht fest: Es ist maximal undemokratisch, eine Grundgesetzänderung in nie dagewesener finanzieller Dimension im Schnellverfahren durch den Bundestag zu peitschen. Im Grunde geht es um einen Blankoscheck für gigantische Aufrüstungsprojekte. Das lehnen wir als Linke entschieden ab".*

Gegenüber LTO äußern sich Verfassungsrechtler allerdings recht einhellig dahingehend, dass ein entsprechendes Verfahren beim Bundesverfassungsgericht wohl keine Aussicht auf Erfolg hätte. Die Düsseldorfer Staatsrechtlerin Prof. Dr. Sophie Schönberger betonte, der alte Bundestag bleibe "vollumfänglich handlungs- und entscheidungsfähig, bis der neue Bundestag zusammentritt". Prof. Dr. Ulrich Battis, Emeritus von der HU Berlin, sieht dies ebenso und sagte: "Es handelt sich um eine Stilfrage, nicht um eine Rechtsfrage", ob man die Milliarden jetzt noch auf den letzten Drücker mit dem alten Bundestag freimachen will. Ähnlich äußerte sich bereits vergangene Woche Gregor Laudage im LTO-Interview.

Zeit zu knapp? Am 18. März soll das Plenum abstimmen

Auch das Argument der Kritiker, die Bundestagspräsidentin müsse den neuen Bundestag einberufen, sobald dies möglich sei bzw. sie dürfe den alten Bundestag nicht mehr zusammenkommen lassen, habe keine verfassungsrechtliche Substanz, ordnet Schönberger gegenüber LTO weiter ein. "Denn die Bundestagspräsidentin hat überhaupt nur die ausdrückliche Kompetenz, den alten Bundestag zusammentreten zu lassen. Über die Frage, wer den neuen Bundestag lädt, schweigt das Grundgesetz. In der Praxis wird das sinnvollerweise von der alten Bundestagspräsidentin gemacht. Damit korrespondiert aber kein entsprechendes verfassungsrechtliches Recht und damit auch keine verfassungsrechtliche Pflicht, den neuen vorrangig vor dem alten Bundestag zu laden".

Auch der Berliner Verfassungsrechtler Prof. Dr. Alexander Thiele sagte zu LTO, er halte das Vorgehen von Union und SPD "für verfassungsrechtlich sowohl materiell als auch prozessual für zulässig". Es sei allenfalls ein Organstreitverfahren mit dem Argument denkbar, die Beratungszeit für die Änderungen sei nicht ausreichend (sogenanntes Heilmann-Argument, dazu LTO ausführlich hier). "Das dürfte aber angesichts der nicht allzu komplexen Angelegenheit und der verbleibenden zwei Wochen ebenfalls keine Aussicht auf Erfolg haben, zumal das nur im einstweiligen Rechtsschutz ginge. Insoweit halte ich es aufgrund der immensen politischen Bedeutung für ausgeschlossen, dass das Bundesverfassungsgericht auf so unsicherer verfassungsrechtlicher Grundlage interveniert", so Thiele.

Wie viel Zeit Schwarz-Rot dem Bundestag gewähren will, steht mittlerweile fest: Das Bundestagsplenum kommt am Donnerstag, 13. März, und am Dienstag, 18. März, für die erste bzw. zweite und dritte Lesung zu Sondersitzungen zusammen. Dies erfuhr die dpa am Donnerstag nach einer Sitzung des Ältestenrats des Bundestags. Aus Parlamentskreisen hieß es, es sei festgestellt worden, dass entsprechend der Vorgabe von Art. 39 GG ein Drittel der Abgeordneten – Union und SPD – Sondersitzungen an diesen Tagen verlangt hätten. Die Bundestagspräsidentin werde entsprechend dazu einladen. Zwischen den beiden Daten soll der Haushaltsausschuss mit den Änderungen befasst werden; laut einem Bericht der Welt soll er am 13. und 14. März tagen. Am 25. März soll sich der neue Bundestag konstituieren.**

jb/hs/LTO-Redaktion

mit Materialien der dpa

* Anm. d. Red.: Zitat eingefügt am Tag der Veröffentlichung, 14:33 Uhr.

** Anm. d. Red.: Zeitplan nachträglich hinzugefügt am 06.03.2025, 12:20 Uhr. 

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Schuldenbremse und Sondervermögen: . In: Legal Tribune Online, 05.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56729 (abgerufen am: 23.05.2025 )

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