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Bundesregierung erteilt Erlaubnis: Ukraine darf deu­t­­sche Waffen in Russ­land ein­setzen

31.05.2024

Das Bild zeigt einen gepanzerten Kampfpanzer, der potenziell in militärischen Konflikten eingesetzt werden könnte.

Ukrainische Truppen mit einer deutschen Panzerhaubitze 2000 an der Frontlinie in der Nähe von Bachmut. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Efrem Lukatsky

Deutschland erlaubt der Ukraine, deutsche Waffen für Angriffe auf militärische Ziele in Russland einzusetzen. Grund sind die verstärkten russischen Angriffe auf Charkiw. Völkerrechtler sehen das als vom Selbstverteidigungsrecht gedeckt an.

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Seit einigen Wochen greift Russland verstärkt die Stadt Charkiw und die umliegende Region an. Die Ukraine forderte schon länger, zur Verteidigung gegen die Angriffe vom Westen gelieferte Waffen auf russischem Territorium einsetzen zu dürfen. Nun gibt Deutschland die Erlaubnis dazu, teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag in Berlin mit. Gemeinsam sei man der Überzeugung, dass die Ukraine das völkerrechtlich verbriefte Recht habe, sich gegen diese Angriffe zu wehren. "Dazu kann sie auch die dafür gelieferten Waffen in Übereinstimmungen mit ihren internationalen rechtlichen Verpflichtungen einsetzen; auch die von uns gelieferten", so Hebestreit.

NATO-Staaten hatten lange kontrovers diskutiert, ob die Ukraine sämtliche vom Westen gelieferten Waffen auch für Angriffe auf militärische Ziele in Russland nutzen können sollte. Bisher hatte die Ukraine dabei vor allem eigene Raketen und Drohnen verwendet, die westlichen Waffen zielten bislang in erster Linie auf russische Stellungen in den von Moskau besetzten Gebieten der Ukraine. Wegen der Eskalation der Lage kam es jetzt zu einem Kurswechsel.

Für die Erwiderung russischer Angriffe aus dem Grenzraum kommen theoretisch mehrere aus Deutschland gelieferte Waffen in Frage. Dazu gehören zum Beispiel die Panzerhaubitze 2000 sowie Raketenwerfer vom Typ Mars II.

Washington erteilte ebenfalls Erlaubnis

Auf Ebene der Nationalen Sicherheitsberater hatte es zu Fragen des Einsatzes westlicher Waffen am 29. und 30. Mai intensive Beratungen zwischen den USA, Frankreich, Großbritannien und Deutschland gegeben.

Im Gegensatz zu anderen Nato-Staaten haben Deutschland und die USA die Abgabe bestimmter Waffensysteme an die Ukraine in der Vergangenheit an strenge Auflagen für deren Nutzung gekoppelt. Hintergrund ist die Befürchtung, dass der Konflikt mit Russland weiter eskalieren und Nato-Staaten zur Kriegspartei werden könnte. Wie weitgehend die Auflagen nun aufgehoben sind, blieb zunächst unklar. 

Kurz vor der Bundesregierung hatte bereits am Donnerstagabend die US-Regierung bestätigt, dass sie der Ukraine die Erlaubnis erteilt hat, amerikanische Waffen in begrenztem Umfang gegen Ziele auf russischem Gebiet einzusetzen. Dies gelte aber ausschließlich für Gegenschläge zur Verteidigung der ostukrainischen Großstadt Charkiw, sagte ein US-Regierungsvertreter. Das ukrainische Militär solle in die Lage versetzt werden, gegen russische Streitkräfte vorzugehen, "die sie angreifen oder sich vorbereiten, sie anzugreifen". Davon abgesehen bleibe der Einsatz von US-Waffen auf Ziele in Russland aber verboten.

Völkerrechtler: "Wäre absurd, wenn ein Aggressorstaat ungefährdet Angriffe führen könnte"

Da die Ukraine Opfer einer völkerrechtswidrigen Aggression ist, hat sie nach Art. 51 der UN-Charta das Recht, sich dagegen zu verteidigen und auch russisches Territorium anzugreifen. Alle UN-Mitgliedstaaten dürfen sie dabei im Rahmen der sogenannten kollektiven Selbstverteidigung unterstützen, auch in Form von Waffenlieferungen. Dabei stellt das Völkerrecht "es den westlichen Staaten frei, ob sie das Einsatzgebiet der von Ihnen an die Ukraine gelieferten Waffen überhaupt beschränken, denn das Recht auf Selbstverteidigung deckt ja gerade militärische Operationen auch im Gebiet des angreifenden Staates", schätzt der Bonner Völkerrechtsprofessor Matthias Herdegen gegenüber LTO ein. "Die Unterstützung durch westliche Waffenlieferungen kann diesen Rahmen voll ausschöpfen", ergänzt er.

Ein "Rückzugsgebiet im eigenen Land" darf Russland gerade nicht haben: "Es wäre geradezu absurd, wenn sich ein Aggressorstaat darauf verlassen könnte, ungefährdet aus einer sicheren Zone jenseits der Grenze heraus Angriffe führen zu können und sich immer auf ein sicheres Rückzugsgebiet im eigenen Land stützen zu können. Das widerspräche jeder Logik der Selbstverteidigung", so Herdegen.

Dass Deutschland durch Waffenlieferungen nicht zur Konfliktpartei wird, hatte Völkerrechtler Simon Gauseweg bereits in einem Gastbeitrag für LTO ausgeführt. Auch der Göttinger Professor für Straf- und Völkerrecht Kai Ambos hatte bereits kurz nach Kriegsbeginn im Verfassungsblog ausgeführt, Waffenlieferungen seien keine Einbeziehung in die Feindseligkeiten.

Politiker begrüßen Entscheidung

Deutsche Politiker begrüßen die Entscheidung der Bundesregierung. "Diese Entscheidung ist richtig. Sie ist das, was wir seit Beginn des Krieges, den Putin gegen die Ukraine führt, immer gemacht haben. Wir haben an die Lage angepasst, jeweils unsere Strategie angepasst", sagte der Verteidigungsminister und SPD-Politiker Boris Pistorius am Freitag bei einem Treffen mit seinem moldauischen Kollegen Anatolie Nosatii in der Hauptstadt Chisinau.  

"Die Entscheidung der Bundesregierung ist folgerichtig und ein wichtiges Signal angesichts der aktuellen russischen Angriffsziele", so die FDP-Politikerin und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) am Freitag gegenüber der dpa in Berlin. "Die Ukraine sollte grundsätzlich russische Raketen nicht nur auf eigenem Gebiet abwehren dürfen, sondern bereits den Abschuss auf russischem Gebiet verhindern können – auch mit von uns gelieferten Waffen", führte Strack-Zimmermann aus. Es sei bekannt, wo die Abschussrampen stehen, von den aus täglich die Ukraine unter Feuer gesetzt werde. "Welche Waffen für welche Abwehr genutzt werden, entscheidet im Rahmen einer völkerrechtskonformen Lösung die Ukraine."

Das unterstreicht auch Unionsfraktionsvize Johann Wadephul und betont, Misstrauen gegenüber der ukrainischen Regierung und dem Militär sei unangebracht. "Deswegen sollte die Ukraine Waffen auch auf legitime militärische Ziele auf russischem Territorium einsetzen dürfen. Russlands Truppen dürfen sich nicht quasi in Sichtweise zur Grenze mit der Ukraine in Sicherheit wiegen dürfen", so Wadephul.

Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann betonte das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung. "Die Ukraine verteidigt sich seit zwei Jahren gegen einen brutalen, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands", so Haßelmann gegenüber der dpa. Sie brauche die Unterstützung der europäischen Nachbarn und Partner, um sich und ihre Bürgerinnen und Bürger zu schützen. 

xp/fkr/LTO-Redaktion

Mit Material der dpa

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Bundesregierung erteilt Erlaubnis: . In: Legal Tribune Online, 31.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54667 (abgerufen am: 12.06.2025 )

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