Ekrem Imamoglu ist Bürgermeister von Istanbul und gilt als aussichtsreicher Herausforderer des türkischen Präsidenten Erdogan bei der nächsten Wahl. Nun ist er festgenommen worden, die Stadt teils gesperrt und es gilt ein Nachrichtenverbot.
Wenige Tage vor seiner geplanten Ernennung zum Präsidentschaftskandidaten der größten türkischen Oppositionspartei CHP ist der Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu festgenommen worden – einer der wichtigsten Kontrahenten des autoritären Staatschefs Recep Tayyip Erdogan (AKP). Das bestätigte die sozialdemokratische CHP. Imamoglu sollte am Sonntag offiziell zu ihrem Kandidaten für die nächste reguläre Präsidentschaftswahl im Jahr 2028 bestimmt werden.
Imamoglu wird unter anderem die Führung einer kriminellen Organisation und Korruption vorgeworfen, wie aus dem Haftbefehl der Staatsanwaltschaft hervorgeht, der der dpa vorliegt. Außerdem gibt es Terrorismusvorwürfe: Der 53-Jährige soll die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK unterstützen, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Im Friedensprozess zwischen der PKK und der Türkei hatte es kürzlich eigentlich bedeutsame Fortschritte gegeben.
Neben Imamoglu wird gegen 99 weitere Beschuldigte ermittelt. Am Morgen wurden laut Anadolu 79 Menschen festgenommen, darunter auch die Bürgermeister zweier Istanbuler Gemeinden und ein bekannter Sänger. Konkret gehe es dabei um den Verdacht der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Erpressung, Bestechung, Betrug und Ausschreibungsmanipulation.
Demonstrationsverbot und Straßensperrungen
Das Büro des Gouverneurs der Provinz Istanbul verhängte eine viertägige Demonstrations-, Versammlungs- und Nachrichtensperre bis Sonntag. In der Millionenmetropole wurden auch mehrere Straßen gesperrt. Vier Tage lang bleiben laut dem Gouverneursamt in der Innenstadt ausgewählte Straßen unpassierbar, zudem wurden Bahnstationen geschlossen. Gleichwohl rief die CHP zu landesweiten Protesten auf. Am Mittwochnachmittag gab es Berichte über Studentenproteste in Istanbul*.
Etliche soziale Netzwerke sowie Kurznachrichtendienste waren nur eingeschränkt nutzbar. Viele Türken beschrieben Drosselungen und Beschränkungen unter anderem auf X, Youtube, Instagram, Tiktok, Whatsapp sowie Signal und Telegram.
Der autoritär auftretende Erdogan führt die Türkei seit mehr als 20 Jahren als Regierungschef beziehungsweise Präsident. Er darf 2028 laut Verfassung nicht ein weiteres Mal kandidieren – doch er hat angedeutet, dass er gerne länger im Amt bleiben möchte. Rechtlich wäre das eigentlich nur möglich, wenn das Parlament eine vorgezogene Neuwahl ansetzt. Über die nötige Mehrheit dafür verfügen Erdogans Partei und deren Partner ohne die Stimmen der Opposition aber derzeit nicht.
Imamoglu: "Im Angesicht einer großen Tyrannei"
Imamoglu veröffentlichte am Morgen auf der Plattform X ein Video, in dem er davon sprach, dass Hunderte Polizisten vor seiner Haustür stünden. "Wir befinden uns im Angesicht einer großen Tyrannei", schrieb er dazu. Er werde aber nicht aufgeben. Mehrere Fernsehsender berichteten, die Polizei habe sich Zutritt zu Imamoglus Anwesen verschafft und das Gebäude durchsucht.
Das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden gegen Imamoglu hatte sich schon vorher angekündigt. Am Dienstag war bekannt geworden, dass die Istanbul-Universität ihm den Hochschulabschluss aberkannt hat. Dieser ist Voraussetzung zur Kandidatur für das Präsidentenamt. Hintergrund der Annullierung soll ein angeblich unrechtmäßiger Universitätswechsel sein. Imamoglu erklärte, er wolle gegen die Entscheidung vor Gericht ziehen, habe aber das Vertrauen in faire Urteile verloren. Ihm drohen in einer Reihe weiterer Verfahren Haftstrafen und Politikverbote. Sein Anwalt Kemal Polat hatte der dpa vor Bekanntwerden des Haftbefehls gesagt, Imamoglu könne erst als Präsidentschaftskandidat antreten, wenn alle Rechtswege gegen die Entscheidung ausgeschöpft seien.
CHP-Chef Özgür Özel sprach vom Versuch eines Staatsstreichs und einem entscheidenden Moment für die Zukunft der türkischen Demokratie. Das Volk solle daran gehindert werden, den nächsten Präsidenten selbst zu bestimmen. Er rief die 1,7 Millionen Parteimitglieder dazu auf, trotzdem am Sonntag an der parteiinternen Wahl des CHP-Spitzenkandidaten teilzunehmen.
Solidarität und Kritik aus Deutschland
Die Bundesregierung hat die Vorgänge als schweren Rückschlag für die Demokratie in der Türkei kritisiert. "Die Festnahme reiht sich ein in eine Serie erhöhten juristischen Drucks gegen den Istanbuler Oberbürgermeister. Und für uns ist die Achtung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien Grundbedingung für eine funktionierende Demokratie", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin. Es sei bereits zuvor eine ungewöhnliche Häufung von Verfahren gegen den Bürgermeister bemerkt worden, sagte der Sprecher. Dieses Vorgehen werde in angemessener Weise gegenüber türkischen Ansprechpartnern adressiert werden.*
Auch Lars Klingbeil (SPD) bezeichnete die Geschehnisse als "schweren Angriff" auf die Demokratie in der Türkei. Der Versuch, Imamoglu im politischen Wettbewerb auszuschalten, sei "unübersehbar", so Klingbeil. Die SPD und CHP sind sozialdemokratische Schwesterparteien. Insoweit betonte Klingbeil, seine Solidarität und die der gesamten SPD gelte Imamoglu, der CHP und allen heute Festgenommenen. "Sie müssen sofort freigelassen werden. Politische Willkür darf nicht die Zukunft der Türkei bestimmen."
dpa/jb/LTO-Redaktion
* Anm. d. Red.: Reaktion der Bundesregierung ergänzt am Tag der Veröffentlichung, 16:13 Uhr
Unübersichtliche Lage in der Türkei: . In: Legal Tribune Online, 19.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56825 (abgerufen am: 29.04.2025 )
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