Ein Video, in dem junge Menschen auf Sylt rassistische Parolen grölen, hat bundesweit Empörung ausgelöst. Der Fall wird von der Polizei geprüft. Was in dem Video strafbar sein könnte, schätzt Strafrechtsprofessor Matthias Jahn ein.
In einem Video, das seit Donnerstag in den sozialen Medien viral geht, grölen im Außenbereich des Lokal "Pony" auf Sylt junge Männer und Frauen "Ausländer raus“ und "Deutschland den Deutschen". Dazu läuft der Party-Hit "L'amour Toujours" von Gigi D'Agostino. Ein Mann scheint mit seinen Fingern auf der Oberlippe einen Hitlerbart anzudeuten. Zahlreiche bekannte Politiker und Journalisten – von der SPD-Politikerin Sawsan Chebli bis hin zum Journalisten Julian Reichelt – haben dieses Verhalten sowie dessen Duldung durch das Lokal "Pony" scharf kritisiert. Das Lokal hat sich inzwischen distanziert und den Beteiligten ein Hausverbot erteilt. Die Polizei prüft den Vorfall.
LTO: Herr Jahn, sehen Sie in dem Video strafbares Verhalten?
Prof. Dr. Matthias Jahn: Das Video ist zunächst, zumal in der Woche eines wichtigen Verfassungsjubiläums, nicht nur geschmacklos und empörend. Es kann für gut identifizierbare Personen auf dem Videosnippet auch Ermittlungsverfahren nach sich ziehen.
Was könnte strafbar sein?
Einige Oberlandesgerichte sehen als möglich an, dass die aus einer größeren Personengruppe heraus gegrölte Parole "Ausländer raus" den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt. Dies wird als grundsätzlich dazu geeignet angesehen, zum Hass aufzustacheln und zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung aufzufordern. Eine unmittelbare Aktion braucht nicht beabsichtigt zu sein.
Strafbarkeit wegen Volksverhetzung?
Welche Gerichtsentscheidungen gibt es denn zu ähnlichen Fällen?
Ähnliche Vorkommnisse bei einer Silvesterfeier zur Jahrtausendwende am 31.12.1999 haben ein strafrechtliches Nachspiel gehabt. Das Oberlandesgericht Brandenburg hatte 2001 einen solchen Fall für die Parole "Ausländer raus" zu entscheiden gehabt. Damit hob es ein Urteil des Amtsgerichts Guben auf, das keine Volksverhetzung erkannt hatte. Ob die strafrechtlichen Voraussetzungen nach Lage des Sylter Einzelfalls erfüllt sind, müssen weitere Prüfungen der Staatsanwaltschaft ergeben.
Inwiefern spielt das Grundgesetz und die Meinungsfreiheit bei solchen Ausrufen eine Rolle? Das Bundesverfassungsgericht hatte 2010 in einem ähnlichen Fall der Meinungsfreiheit den Vorrang gegeben. Die Instanzgerichte sahen das anders. Damals ging es um ein Plakat mit der Aufschrift "Ausländerrückführung – Für ein lebenswertes deutsches Augsburg".
Das Bundesverfassungsgericht ist bei der Volksverhetzung nach § 130 Strafgesetzbuch (StGB) in seiner Meinungsfreiheitsjudikatur deutlich restriktiver. Es geht für die Parole "Ausländer raus" nur beim Hinzutreten weiterer Begleitumstände von einem Angriff auf die Menschenwürde aus. Diese Umstände müssen jetzt über die kurze Videosequenz hinaus durch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden ermittelt werden, denn ein Anfangsverdacht besteht.
Vielen Dank für Ihre vorläufige Einschätzung.
Dr. Matthias Jahn ist Inhaber eines Lehrstuhls für Straf- und Strafprozessrecht an der Goethe-Universität in Frankfurt und Richter am dortigen Oberlandesgericht und Mitherausgeber der Zeitschrift Strafverteidiger.
kj/kus/LTO-Redaktion
Strafrechtler zu rassistischen Parolen: . In: Legal Tribune Online, 24.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54620 (abgerufen am: 12.12.2024 )
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