Leitsatzentscheidung des BGH: Keine Immunität bei Spio­nage

von Joschka Buchholz und Marcel Schneider

10.09.2024

Hoheits- und Funktionsträger anderer Staaten genießen Immunität, das heißt sie unterliegen nicht der Gerichtsbarkeit deutscher Gerichte. Der BGH musste nun klären, wann dafür eine bestimmte Ausnahme greift und wann nicht.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass der erst kürzlich geschaffene § 20 Abs. 2 S. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), der eine Ausnahme von der allgemeinen Funktionsträgerimmunität regelt, einer Strafverfolgung bei Spionage nicht entgegensteht (Beschl. v. 27.08.2024, Az. StB 54/24).

Immunität bedeutet, dass Repräsentanten, Funktions- und Hoheitsträger anderer Staaten in Deutschland nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen. Das ist wichtige Grundlage für diplomatische Beziehungen zu anderen Staaten. Sie soll zum Beispiel verhindern, dass Staaten bei Meinungsverschiedenheit mit Repressalien gegen die entsandten Diplomaten des jeweils anderen Landes vorgehen.

Von der Immunität gibt es aber Ausnahmen. Eine solche findet sich in § 20 Abs. 2 S. 2 GVG. Danach erstreckt sich die deutsche Gerichtsbarkeit auch auf die Verfolgung von Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB). Hierin liegt der juristische Knackpunkt des Falls. Denn bedeutet § 20 Abs. 2 S. 2 GVG im Umkehrschluss, dass die Immunität nur bei Völkerstrafrechtsverfahren nicht gilt? Hierzu hat der BGH nun konkretisiert: Diese Ausnahme steht auch einer Strafverfolgung bei der Spionage nach § 99 Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) nicht entgegen.

Ein vermutlich russischer Agent in Deutschland

Konkret geht es um die Haftbeschwerde eines Mannes, gegen den wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit nach § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB ermittelt wird. Ihm wird vorgeworfen, einen ehemaligen ukrainischen Offizier in Deutschland als Zielperson für Ausforschungsbemühungen kontaktiert zu haben. Zwar ist nach Angaben des BGH noch ungeklärt, für welchen fremden Staat der Beschuldigte tätig gewesen ist. Gleichwohl erscheine naheliegend, dass es sich um einen russischen Geheimdienst handele, für den der Mann tätig wurde, so der BGH. 

Mit der Aktion sollten demnach sehr wahrscheinlich weitere geheimdienstliche Tätigkeiten auf deutschem Staatsgebiet ermöglicht und möglicherweise gar die Entführung oder – ähnlich wie beim sogenannten Tiergartenmord – die Tötung der ukrainischen Kontaktperson vorbereitet werden, so der BGH. Der kriegsversehrte ukrainische Offizier lebt seit Sommer 2023 in Deutschland. Als der beschuldigte, mutmaßlich russische Mann ihn kontaktierte, witterte er Gefahr und erfuhr über Kontakte, dass er zum Spionageziel geworden war. Der Ukrainer kontaktierte daraufhin die Polizei und half so gut er konnte dabei, den Spionagevorfall gegen sich aufzuklären.

So kam es letztlich dazu, dass Beamte des Landeskriminalamts Hessen den beschuldigten Mann und zwei weitere Personen festnehmen konnten. Dabei fand die Polizei auch GPS-Sensoren, die vermutlich am Auto des ukrainischen Offiziers angebracht werden sollten. Der Generalbundesanwalt sah insofern einen dringenden Tatverdacht, der Beschuldigte kam auf Grundlage eines in Vollzug gesetzten Haftbefehls ins Gefängnis. Dagegen wehrte er sich mit seiner Haftbeschwerde mit dem Argument, dass in seinem Fall nach § 20 Abs. 2 S. 2 GVG ein Verfahrenshindernis vorliege.

Spionage fällt unter Ausnahme von der Immunität

Der BGH hat dieses Argument des Mannes jedoch verneint und den Vollzug des Haftbefehls aufrechterhalten.

Dazu führt der Senat grundsätzlich aus, dass "Personen, die für einen Staat hoheitlich tätig werden, grundsätzlich aus der Staatenimmunität abgeleitete und völkergewohnheitsrechtlich anerkannte (funktionelle) Immunität in Bezug auf ihr hoheitlich-staatliches Handeln gegenüber der Strafgerichtsbarkeit anderer Staaten" genießen. Diese "allgemeine Funktionsträgerimmunität" erfahre indes Ausnahmen bei bestimmten Delikten. Bei fremdstaatlicher Spionage sei das der Fall, weil – völkerrechtlich anerkannt – das legitime Interesse des betroffenen Staates bestehe, solchen Souveränitätsverletzungen strafrechtlich zu begegnen.

Der erst am 3. August 2024 in Kraft getretene neue § 20 Abs. 2 S. 2 GVG ändert laut BGH nichts daran. Nach dem Wortlaut gilt die Ausnahme zwar nur für Straftaten nach dem VStGB. Auf solche Delikte habe der Gesetzgeber sie aber nicht beschränken wollen, so der Senat. Vielmehr ergebe sich aus den Gesetzesmaterialien, die auch ausdrücklich Bezug auf die Rechtsprechung des BGH nehmen, keine Auswirkung auf die Ausnahme von der Immunität bei Deliktsgruppen wie Spionage.

Die Entscheidung ist wichtig, weil sich immer wieder die Frage stellt, unter welchen Voraussetzungen welche staatlichen Funktionsträger strafrechtlich verfolgt werden dürfen und wann nicht. So hatte zum Beispiel Anfang 2021 ebenfalls der 3. Strafsenat des BGH in einer wegweisenden Entscheidung die Immunität von Angehörigen ausländischer Streitkräfte verneint. LTO berichtete an dieser Stelle ausführlich.

Zitiervorschlag

Leitsatzentscheidung des BGH: . In: Legal Tribune Online, 10.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55370 (abgerufen am: 06.10.2024 )

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