Vor Beginn der eigentlichen Koalitionsverhandlungen haben sich SPD, Grüne und FDP bereits auf konkrete Projekte wie etwa auf diverse GG-Änderungen, eine "Revision" der Sicherheitsarchitektur und die Herabsetzung des Wahlalters verständigt.
SPD, Grüne und FDP haben am Freitag ein Ergebnispapier ihrer Sondierungen vorgelegt. Auf zwölf Seiten wird beschrieben, welche Schwerpunkte eine künftige Ampel-Koalition setzen wird. Klar stellen die Parteien gleich auf der ersten Seite, warum in dem Papier auch eine Reihe von Themen fehlen, auf die man sich aber durchaus im Rahmen der anstehenden Koalitionsverhandlungen verständigen könne.
"Dieses Papier zeichnet die Ergebnisse der Sondierungen nach. Es umfasst nur die Themen, über die die Verhandlungspartner vor Eintritt in Koalitionsverhandlungen eine Vorfestlegung erreichen wollten. Nicht alle Themen wurden besprochen, nicht jedes Thema bis in die Einzelheiten diskutiert", heißt es. Andere Themen könnten also erst in den nun folgenden Koalitionsverhandlungen angesprochen werden. Gut möglich, dass hierzu dann auch das Thema Drogenpolitik gehört. Denn das rechtspolitische Aufregerthema Cannabislegalisierung wird im Sondierungsergebnis nicht genannt.
Entschlossen ist das mutmaßliche Dreibündnis dagegen, die "großen Herausforderungen wie den Klimawandel, die Digitalisierung, die Sicherung unseres Wohlstands, den sozialen Zusammenhalt und den demografischen Wandel" anzugehen. In puncto Genehmigungsverfahren für Infrastrukturvorhaben soll alles effektiver, schneller und zielsicherer gehen.
Um Deutschland zügig zu modernisieren, seien z.B. schnelle Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsverfahren zentrale Voraussetzung. "Im ersten Jahr der Regierung sollen daher alle notwendigen Entscheidungen getroffen und durchgesetzt werden, um private wie staatliche Investitionen schnell, effizient und zielsicher umsetzen zu können. Unser Ziel ist es, die Verfahrensdauer mindestens zu halbieren." Inwieweit auch die gerichtlichen Verfahrensordnungen hierzu "angefasst" werden und Rechtsmittel ggf. beschnitten werden, geht aus dem Papier nicht hervor.
Stärkung des Parlaments: Lehre aus der Coronakrise?
Gespannt sein darf man, wie die künftige Ampel offenbar eine Lehre aus der mangelnden Parlamentsbeteiligung während der Coronakrise ziehen will. Im Papier heißt es: "Demokratie lebt von Vertrauen in alle staatlichen Institutionen und Verfassungsorgane. Wir werden daher das Parlament als Ort der Debatte und der Gesetzgebung stärken. Wir wollen die Entscheidungsfindung verbessern, indem wir neue Formen des Bürgerdialogs, wie etwa Bürgerräte, nutzen, ohne das Prinzip der Repräsentation aufzugeben."
Nicht ausgeschlossen ist, dass auch die föderalen Strukturen des Grundgesetzes angepasst werden: Der Föderalismus sei die Grundsäule der Bundesrepublik. Um die Leistungsfähigkeit zu erhöhen, brauche es aber "Klarheit bei den Aufgaben und der Finanzierung. Wir streben eine engere, zielgenauere und verbindliche Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen an". Was das genau heißt, bleibt im Dunkeln.
Beim Klimaschutz die Vorgaben des BVerfG befolgen
Wie zu erwarten, genießt für die Ampel-Parteien der Klimaschutz in der nächsten Legislatur hohe Priorität: "Wir sehen es als unsere zentrale gemeinsame Aufgabe, Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad zu bringen, so wie es der Pariser Klimavertrag und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorgeben".
Das Klimaschutzgesetz werde man noch im Jahr 2022 konsequent weiterentwickeln und ein Klimaschutz-Sofortprogramm mit allen notwendigen Gesetzen, Verordnungen und Maßnahmen auf den Weg bringen. Den Ausbau der Erneuerbaren Energien wollen SPD, Grüne und FDP "drastisch beschleunigen und alle Hürden und Hemmnisse aus dem Weg räumen". Auch in diesem Kontext sollen Planungs- und Genehmigungsverfahren "erheblich" beschleunigt werden. Zum kontroversen Ausstiegstermin bei der Kohle heißt es im Papier: "Zur Einhaltung der Klimaschutzziele ist auch ein beschleunigter Ausstieg aus der Kohleverstromung nötig. Idealerweise gelingt das schon bis 2030."
Änderungen des Arbeitszeitgesetzes geplant
Vorfestlegungen trifft die Ampel auch im Bereich Arbeitswelt, hier könnten auf das Arbeitsrecht so einige Veränderungen zukommen: Gewerkschaften und Arbeitgeber sollen "flexible Arbeitszeitmodelle" ermöglicht werden. "Im Rahmen einer befristeten Regelung mit Evaluationsklausel werden wir es ermöglichen, dass im Rahmen von Tarifverträgen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen und in einzuhaltenden Fristen ihre Arbeitszeit flexibler gestalten können. Außerdem wollen wir eine begrenzte Möglichkeit zur Abweichung von den derzeit bestehenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der Tageshöchstarbeitszeit schaffen, wenn Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen dies vorsehen (Experimentierräume)."
Was den Mindestlohn anbelangt, soll die Politik jedenfalls noch einmal eine Erhöhung selbst entscheiden dürfen: "Wir werden den gesetzlichen Mindestlohn im ersten Jahr in einer einmaligen Anpassung auf zwölf Euro pro Stunde erhöhen. Im Anschluss daran wird die Mindestlohnkommission über die etwaigen weiteren Erhöhungsschritte befinden."
Kinderrechte ins GG, kein bundesweiter Mietendeckel
Im Bereich Kinderrechte wollen Rot-Grün-Gelb einen erneuten Versuch der GG-Änderung unternehmen, der in dieser Wahlperiode noch gescheitert war. "Wir wollen starke Kinderrechte im Grundgesetz verankern", heißt es.
Stärken wollen die möglichen Koalitionspartner die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland als Grundlage für nachhaltiges Wachstum, Wohlstand und hohe Beschäftigung in einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft. Ein "regelbasierter Freihandel" soll auf Grundlage "von fairen sozialen, ökologischen und menschenrechtlichen Standards" gestärkt werden. Im Kampf gegen unfaire Handels- und Wettbewerbspraktiken werde man das europäische Wettbewerbsrecht nutzen.
Beim vor allem zwischen FDP und Rot-Grün herrschenden Streit über die richtigen Maßnahmen für bezahlbares Wohnen ist von einem bundesweiten Mietendeckel, mit dem SPD und Grüne sympathisieren, keine Rede. Stattdessen setzt die Ampel "vordringlich" auf den Bau neuer Wohnungen: "Wir wollen mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen. Dazu ist es vordringlich, deutlich mehr Wohnungen zu bauen. Unser Ziel ist der Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr, davon 100.000 öffentlich geförderte Wohnungen. Hierzu werden wir zu einem ‘Bündnis bezahlbarer Wohnraum’ mit allen wichtigen Akteuren einladen. In diesem Rahmen gewährleisten wir Planungssicherheit für die Bauindustrie zum Aufbau von Baukapazitäten."
Allerdings skizzieren die Parteien auch Alternativen, für den Fall, dass Bauen allein nicht weiterhilft: "Solange nicht genug bezahlbare Wohnungen gebaut werden, verhindert die Wohnraumknappheit vor allem in Ballungsgebieten, dass sich angemessene Mieten am Wohnungsmarkt bilden können. Daher werden wir die geltenden Mieterschutzregelungen evaluieren und verlängern."
Bekenntnis zu Vielfalt und Teilhabe
Im Bereich Innenpolitik und Recht setzen die Ampelparteien auf Vielfalt, gerechte Teilhabe und Antidiskriminierung. Die Rechtsordnung soll der "gesellschaftlichen Realität" angepasst werden. "Dazu werden wir u.a. das Staatsangehörigkeitsrecht, das Familienrecht, das Abstammungsrecht und das Transsexuellengesetz ebenso wie die Regelungen zur Reproduktionsmedizin anpassen und beispielsweise Verantwortungsgemeinschaften bzw. einen Pakt für Zusammenleben möglich machen."
"Wir werden in allen Bereichen entschlossen gegen Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus, Islamismus, Linksextremismus, Queer-Feindlichkeit und jede andere Form der Menschenfeindlichkeit vorgehen, damit Vielfalt auch in gleicher Sicherheit für jede und jeden möglich ist." Explizit erwähnt wird ein "Demokratiefördergesetz".
Auch eine Generalrevision der Sicherheitsarchitektur ist geplant. "Gemeinsam mit den Ländern werden wir die vom Bundesverfassungsgericht geforderte gesamtheitliche Betrachtung der Eingriffsbefugnisse des Staates vornehmen und eine Generalrevision der Sicherheitsarchitektur durchführen." Eine neue gesetzliche Grundlage werde es in Bezug auf die Abwehr von Cyberrisiken geben.
Zwei weitere GG-Änderung betreffen Art. 3 Grundgesetz (GG): "Wir wollen den Gleichbehandlungsartikel des Grundgesetzes um ein Verbot der Diskriminierung wegen sexueller Identität ergänzen und den Begriff 'Rasse' im Grundgesetz ersetzen.”
Wahlalter mit 16 für Bundestag und EU-Parlament
Ebenfalls geändert werden soll Art.38 GG, der für Bundestagswahlen in Abs.2 noch von einem Wahlalter ab 18 spricht: "Das Wahlalter für die Wahlen zum Deutschen Bundestag und Europäischen Parlament wollen wir auf 16 Jahre senken." Einen erneuten Anlauf soll es auch bei der Verkleinerung des Parlamentes geben: "Wir wollen das Wahlrecht überarbeiten, um nachhaltig das Anwachsen des Deutschen Bundestages zu verhindern."
Im Bereich Flüchtlings- und Asylrecht bekennt sich die Ampel "zur humanitären Verantwortung, die sich aus dem Grundgesetz, aus der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt. Daraus leiten wir die Aufgabe ab, mit den europäischen Partnern Anstrengungen zu unternehmen, das Sterben auf dem Mittelmeer genauso wie das Leid an den europäischen Außengrenzen zu beenden"
Wie den Menschen konkret geholfen werden soll, bleibt noch im Ungefähren: "Wir wollen die Verfahren zur Flucht-Migration ordnen und die ausbeuterischen Verhältnisse auf den Fluchtwegen bekämpfen. Die Asylverfahren, die Verfahren zur Familienzusammenführung und die Rückführungen wollen wir beschleunigen und legale Wege schaffen. Abkommen mit Drittstaaten über Migration sollen dabei helfen."
Sondierungen zwischen SPD, Grünen und FDP: . In: Legal Tribune Online, 15.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46376 (abgerufen am: 09.11.2024 )
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