Druckversion
Saturday, 4.02.2023, 01:32 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/nachrichten/n/sg-berlin-urteil-s-175-as-15482-14-hartz-iv-kuerzung/
Fenster schließen
Artikel drucken
15986

SG Berlin zur Anrechnung von Verpflegung: Keine Hartz IV-Kür­zung für Wurst­ver­käu­fe­rin auf Diät

25.06.2015

Wurst

© volff - Fotolia.com

Stellt der Arbeitgeber Pausenverpflegung zur Verfügung, dürfe deswegen nicht pauschal der Hartz-IV-Satz gekürzt werden. Insbesondere gelte das, wenn man das Essen wegen einer Diät überhaupt nicht verzehrt, entschied das SG Berlin.

Anzeige

Das Jobcenter Reinickendorf hatte einer Frau, die als Verkäuferin bei einem Berliner Betrieb für Fleisch- und Wurstwaren arbeitete, auf den Arbeitslosengeld (ALG) II-Anspruch eine Pauschale von monatlich zwischen rund 35 und 50 Euro für die Pausenverpflegung angerechnet, die der Arbeitgeber seinen Angestellten zur Verfügung stellte.

Dagegen klagte die Frau. Schließlich habe sie die zur Verfügung gestellten Speisen gar nicht gegessen. Aus gesundheitlichen Gründen habe sie viel abgenommen und sehr auf ihre Ernährung geachtet. Das Essen – viel Fleisch, Wurst, Salate mit Mayonnaise - sei jedoch sehr fett und kohlenhydratreich gewesen. Dass trotzdem eine Pauschale angerechnet werde, verletze sie daher in ihren Persönlichkeitsrechten.

Die ALG II-Verordnung gibt in § 2 Abs. 5 allerdings grundsätzlich vor, dass die sogenannte Verpflegungspauschale zusätzlich zum ausgezahlten Erwerbseinkommen - in ihrem Fall monatlich rund 1.000 Euro - angerechnet wird.

SG: Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt

Das Sozialgericht (SG) Berlin gab der Frau in seinem am Donnerstag veröffentlichten Urteil Recht (Urt. v. 23.03.2015, Az. S 175 AS 15482/14). Die entsprechende Vorschrift der ALG II-Verordnung zur Anrechnung von Verpflegung verstoße gegen höherrangiges Recht. Sie beachte nicht, dass nach dem Grundprinzip der Grundsicherung für Arbeitsuchende eine abschließend pauschalierte Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes gewährt werde - die sogenannte Regelleistung. Eine aufwendige individuelle Bedarfsermittlung sei daneben weder zugunsten noch zulasten der Leistungsempfänger vorgesehen. Die pauschalierte Regelleistung solle gerade die Selbstverantwortung und Eigenständigkeit der Hilfeempfänger fördern. Sei ein bestimmtes Bedürfnis aber nicht vorhanden, dürfe dies nicht zum Leistungsentzug führen.

Selbst aber wenn man die Wirksamkeit der Vorschrift unterstellen würde, hätte sie einschränkend ausgelegt werden müssen. Unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechts und der allgemeinen Handlungsfreiheit der Leistungsbezieher könne eine Anrechnung von Verpflegung nur erfolgen, wenn sie auch tatsächlich verzehrt worden ist. Das Normverständnis des Jobcenters, das allein auf die Bereitstellung der Verpflegung abstelle, beeinträchtige die Betroffenen in ihrer grundrechtlich geschützten Entscheidungsfreiheit. Es sei zu respektieren, wenn Leistungsempfänger auf angebotene Verpflegung verzichteten, zum Beispiel aufgrund religiöser Speisevorschriften, aus gesundheitlichen oder ethisch-moralischen Gründen.

Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.

age/LTO-Redaktion

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

SG Berlin zur Anrechnung von Verpflegung: Keine Hartz IV-Kürzung für Wurstverkäuferin auf Diät . In: Legal Tribune Online, 25.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15986/ (abgerufen am: 04.02.2023 )

Infos zum Zitiervorschlag
Das könnte Sie auch interessieren:
  • Schlussanträge des EuGH-Generalanwalts - Fla­schenp­fand muss bei Geträn­ke­au­s­p­rei­sung nicht ent­halten sein
  • VG Berlin zum Visum für einen Koch - Eine Döner­bude ist kein Spe­zia­li­tä­t­en­re­stau­rant
  • Änderung der Richtlinien für Strafverfolger geplant - Künftig keine Anklagen mehr wegen Con­tai­nerns?
  • Corona-Ausbruch in Schlachtbetrieb - Ver­fahren gegen Tön­nies ein­ge­s­tellt
  • OLG München sieht Verwechslungsgefahr - All­gäuer Her­s­teller darf keine Gold­hasen ver­kaufen
  • Rechtsgebiete
    • Sozialrecht
  • Themen
    • Ernährung
    • Hartz IV
    • Lebensmittel
  • Gerichte
    • Sozialgericht Berlin
TopJOBS
Voll­ju­ris­tin / Voll­ju­rist (w/m/d)

Deutsche Rentenversicherung Hessen , Kö­n­ig­stein

Pro­ject Ma­na­ger - Soft­wa­re Im­p­le­men­ta­ti­on (m/w/d) (Ho­me Of­fice mög­lich) ...

Wolters Kluwer Deutschland GmbH , Bun­des­weit

Voll­ju­ris­ten (m/w/d) – Ih­re Zu­kunft in der hes­si­schen Jus­tiz

Hessisches Ministerium der Justiz , Wies­ba­den

Wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­ten­de / Wi­Mi / Werk­stu­dent:in (w/m/d)

rightmart , Bre­men

Rechts­an­wäl­te (m/w/d) als An­ge­s­tell­te oder Frei­be­ruf­ler

RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH , Bun­des­weit

Wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter (w/m/d)

Taylor Wessing , Ber­lin

Be­reichs­lei­tung Soft­wa­re Ent­wick­lung - On­li­ne Ac­co­un­ting (m/w/d) -...

Wolters Kluwer Deutschland GmbH , Lud­wigs­burg

Key Ac­co­unt Ma­na­ger Pu­b­lic (Ho­me Of­fice) (m/w/d)

Wolters Kluwer Deutschland GmbH , Dres­den und 4 wei­te­re

Steu­er­fa­ch­ex­per­te als Kun­den­be­ra­ter (m/w/d) - Soft­wa­re- und Pro­zess­be­ra­tung...

Wolters Kluwer Deutschland GmbH , Ber­lin und 1 wei­te­re

Voll­ju­rist:in als Le­gal Ad­vi­sor (all gen­ders)

Sea-Watch e.V. , Ber­lin

Alle Stellenanzeigen
Veranstaltungen
Montagskaffee: Wie du deine Expertise in Fachvorträgen didaktisch gut vermittelst

06.02.2023

Powerworkshop-Reihe: "Deine Networking-Erfolgsstrategie 2023"

08.02.2023

Digitales MARKENFORUM® 2023 vom 06.-10.02.2023 jeweils von 12—13 Uhr

06.02.2023

Umsatzsteuer national und international

07.02.2023

Fachanwaltslehrgang Steuerrecht im Fernstudium/online

08.02.2023

Alle Veranstaltungen
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH