Groß-Razzia in Reichsbürgerszene: Auch Rich­terin und Ex-AfD-Abge­ord­nete fest­ge­nommen

07.12.2022

Reichsbürger planten nach Ermittlungen der Bundesanwaltschaft einen Umsturz - zentrales Gremium sollte der "Rat" sein. Dessen Justizministerin angeblich: Die Ex-AfD-Abgeordnete und Richterin Malsack-Winkemann. Auch sie wurde nun festgenommen.

Mehrere Tausend Polizisten sind am frühen Morgen ausgerückt, um Verdächtige festzunehmen, die sich auf einen "Tag X" vorbereiteten. Sie sollen einen Umsturz geplant und dafür teilweise auch mit Waffen trainiert haben: Die Bundesanwaltschaft hat 25 Menschen aus der sogenannten Reichsbürgerszene festnehmen lassen. Rund 3.000 Polizeibeamte seien am Mittwochmorgen in elf Bundesländern im Einsatz gewesen, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe der Deutschen Presse-Agentur. Die terroristische Vereinigung habe die staatliche Ordnung in Deutschland stürzen und durch eine eigene ersetzen wollen, die in Grundzügen schon ausgearbeitet sei. Dafür hätte sie auch Tote in Kauf genommen.

Ergangen seien die Haftbefehle nach Angaben des Generalbundesanwalts aufgrund des dringenden Tatverdachts der Bildung terroristischer Vereinigungen (§ 129a StGB). Ermittelt werde zudem wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens. Hochverrat im Sinne des § 83 Absatz 1 StGB ist anzunehmen, wenn das Unternehmen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland als Angriffsgegenstand beeinträchtigen, die staatliche Einheit der Bundesrepublik beseitigen oder ein zur Bundesrepublik gehörendes Gebiet abtrennen soll. Auch umfasst ist eine angestrebte Änderung der verfassungsmäßigen Ordnung.

Ex-AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin festgenommen

22 der Festgenommenen sollen Mitglieder dieser terroristischen Vereinigung sein, zwei davon Rädelsführer. Drei weitere gelten als Unterstützer. Zudem gebe es 27 weitere Beschuldigte, sagte die Sprecherin. Mehr als 130 Objekte wurden durchsucht. Zu den am Mittwoch festgenommenen Personen gehört auch die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin am Landgericht Dr. Birgit Malsack-Winkemann, welche die Berliner Justizverwaltung bereits im Juni vorzeitig in den Ruhestand versetzen wollte. Malsack-Winkemann saß von 2017 bis 2021 für die AfD im Bundestag, im März 2022 kehrte sie in den Richterdienst zurück und ist am Landgericht Berlin tätig. Grund für den Versuch, die Richterin aus dem Amt zu entfernen, waren Äußerungen der Richterin als ehemalige AfD-Abgeordnete im Bundestag.

Foto: picture alliance/dpa | Wolfgang Kumm

Malsack-Winkemann habe wiederholt und öffentlich Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, ausgegrenzt und wegen ihrer Herkunft herabgesetzt. Durch ihre Äußerungen sei in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, die Richterin werde künftig nicht unvoreingenommen Recht sprechen. Im Oktober scheiterte die Justizverwaltung dann mit ihrem Vorhaben, die Richterin vorzeitig in den Ruhestand zu versetzen. Das Richterdienstgericht am Berliner Verwaltungsgericht entschied, dass die Äußerungen aus dem Bundestag nicht verwertet werden dürften und Malsack-Winkemann vorerst Richterin bleiben darf.

Nach Angaben der Zeit sei Malsack-Winkemann seit Monaten überwacht worden und gilt unter Parteifreunden, Bekannten und Parlamentariern als Anhängerin von Verschwörungstheorien mit einer Neigung zur QAnon-Ideologie. Sie stehe der Reichsbürger-Ideologie nahe und glaube an Esoterik. Zuletzt soll sie innerhalb des Verschwörerkreises darauf gedrungen haben, möglichst bald aktiv zu werden, so die Zeit.

Nähere Verbindungen zu Reichsbürgern hätten aber im Verfahren keine Rolle gespielt, so eine Sprecherin des Verwaltungsgerichts gegenüber LTO. Auch dass Malsack-Winkemann Sportschützin war, wurde nicht in das Verfahren eingeführt. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, bis zum 14. Dezember kann die Senatsverwaltung Rechtsmittel einlegen. Denkbar wäre allerdings auch, dass es nun zu einem Disziplinarverfahren kommt. Nach dem Deutschen Richtergesetz käme auch eine vorläufige Untersagung der Amtsgeschäfte in Betracht - ähnlich wie in dem prominenten Fall des AfD-Richters Jens Maier in Sachsen. Über ein solches Eilverfahren würde im Fall Malsack-Winkemann ebenfalls das Dienstgericht am VG Berlin entscheiden.

Die Parteispitze der AfD wusste nach eigenen Angaben nichts von möglichen Aktivitäten der früheren Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann im sogenannten Reichsbürgermilieu. "Von dem Fall haben wir heute, wie die meisten Bürger auch, erst aus den Medien erfahren", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla und Alice Weidel vom Mittwoch. Sie fügten hinzu: "Wir verurteilen solche Bestrebungen und lehnen diese nachdrücklich ab." Die AfD-Vorsitzenden, die in der Vergangenheit mehrfach Kritik am Verfassungsschutz geübt hatten, sagten: "Wir haben vollstes Vertrauen in die beteiligten Behörden."

Malsack-Winkemann vorerst aus Zivilkammer ausgeschieden

Nach ihrer Festnahme ist die Richterin zunächst nicht mehr an aktuellen Entscheidungen des Landgerichts Berlin beteiligt. Die Juristin ist am Mittwoch aus der Zivilkammer 19a ausgeschieden, die für Bausachen zuständig ist, wie eine Sprecherin des Gerichts auf Anfrage mitteilte. Der Geschäftsverteilungsplan sei am selben Tag per Eilverfügung entsprechend geändert worden. Malsack-Winkemann ist damit vorerst nicht in aktuelle Verfahren eingebunden. Sie steht den Angaben zufolge aber weiterhin als Richterin zur Verfügung auf einer sogenannten Bereitschaftsliste.

Weitere Angaben zum Dienstverhältnis der Richterin könne sie nicht machen, erklärte die Sprecherin und verwies auf die Zuständigkeit der Senatsjustizverwaltung. Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) teilte am Mittwoch mit, dass sie einen neuen Anlauf nehmen werde, Malsack-Winkemann in den Ruhestand zu versetzen. "Wir werden alle Instrumente ausschöpfen, um die Beschuldigte vollständig aus dem Richterdienst zu entfernen", so Kreck. "Die Ermittlungen sind abzuwarten, aber offenbar lag die Senatsverwaltung in ihrer Einschätzung richtig", sagte sie nach der Festnahme der Richterin.

Der "Rat" als zentrales Gremium

Spätestens Ende November 2021 sollen die Menschen die Gruppierung gegründet haben. Zentrales Gremium sei ein "Rat". Dieser verfüge ähnlich wie das Kabinett einer regulären Regierung über Ressorts wie Justiz, Außen und Gesundheit. "Die Mitglieder des 'Rates' hätten sich seit November 2021 regelmäßig im Verborgenen getroffen, um die angestrebte Machtübernahme in Deutschland und den Aufbau eigener Staatsstrukturen zu planen", teilte die Bundesanwaltschaft mit.

Richterin Malsack-Winkemann sollte nach Angaben des Generalbundesanwalts eine zentrale Funktion innerhalb des "Rates" wahrnehmen. Als zukünftige Justizministerin der neuen Ordnung, sei sie nach Angaben der Zeit für das Ressort Justiz vorgesehen gewesen.

Richterin Birgit Malsack-Winkemann

Richterin Birgit Malsack-Winkemann

Ein "militärischer Arm" sollte den demokratischen Rechtsstaat auch auf Ebene der Gemeinden, Kreise und Kommunen "beseitigen", hieß es. Der Vereinigung sei bewusst, dass es dabei zu Toten kommen werde. "Sie nimmt dieses Szenario aber als notwendigen Zwischenschritt zur Erreichung des von ihr angestrebten "Systemwechsels auf allen Ebenen" zumindest billigend in Kauf." Einige mutmaßliche Mitglieder des militärischen Arms hätten aktiv Dienst in der Bundeswehr geleistet.

Auch hätten sie vor allem Angehörige der Bundeswehr und Polizei für den geplanten Staatsumsturz rekrutieren wollen. Bei mindestens vier Treffen in Baden-Württemberg im Sommer hätten mutmaßliche Mitglieder für die terroristische Vereinigung und ihre Ziele geworben. Im Herbst hätten Beschuldigte in Norddeutschland gezielt Polizeibeamte für die Vereinigung gewinnen wollen. Angehörige des "militärischen Arms" hätten Bundeswehrkasernen in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern ausgekundschaftet, "um sie auf ihre Tauglichkeit für die Unterbringung eigener Truppen nach dem Umsturz zu inspizieren".

Vereinigung begründe auf Verschörungsmythen

Festgenommen wurden die Menschen den Angaben nach in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen, Sachsen und Thüringen sowie jeweils eine Person in Österreich und Italien. Durchsuchungen habe es darüber hinaus in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland gegeben. Noch am Mittwoch wollte die Bundesanwaltschaft mit der Vernehmung der ersten Festgenommenen beginnen, wie die Sprecherin sagte.

Nach Angaben des Generalbundesanwalts Peter Frank in Karlsruhe, befinden sich acht der 25 festgenommenen Verdächtigen aus der Reichsbürgerszene inzwischen in Untersuchungshaft. 

"Wir haben noch keinen Namen für diese Vereinigung", sagte die Sprecherin. Diese begründe sich den Erkenntnissen zufolge auf Verschwörungsmythen. Die Mitglieder seien der festen Überzeugung, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines sogenannten Deep States, eines "tiefen Staats", regiert werde, hieß es in einer Mitteilung. Ein Angriff eines technisch überlegenen Geheimbundes von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten, einschließlich der Russischen Föderation sowie der Vereinigten Staaten von Amerika stehe dieser Überzeugung nach kurz bevor.

"Demokratie ist wehrhaft: Seit heute Morgen findet ein großer Anti-Terror-Einsatz statt", schrieb Bundesjustizminister Marco Buschmann am Mittwochmorgen auf Twitter. Ausgangspunkt der Ermittlungen sollen Verbindungen von Mitgliedern der nun ausgehobenen Vereinigung zu Angehörigen der Gruppe "Vereinte Patrioten" sein, die im April festgenommen worden waren und geplant haben sollen, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu entführen.

dpa/ku/aka/fz/LTO-Redaktion

Artikelversion vom 07.12.2022, 16:50 Uhr.

Zitiervorschlag

Groß-Razzia in Reichsbürgerszene: . In: Legal Tribune Online, 07.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50394 (abgerufen am: 04.10.2024 )

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