Steuererleichterungen für die Wirtschaft, weniger Bürokratie für alle, höhere Hürden für Menschen aus Georgien und Moldau: Nach viel Streit konnte sich die Ampel-Regierung auf einige Reformvorhaben einigen.
Zum Abschluss einer zweitägigen Klausurtagung im Brandenburger Schloss Meseberg beschloss das Kabinett von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ein Maßnahmenpaket zur Ankurbelung der Wirtschaft und Entlastung von Verbrauchern.
Ob das Bündnis von SPD, Grünen und FDP mit den Vorhaben aus dem Umfragekeller kommen kann, wird sich erst noch zeigen. Jedenfalls gelobten in Meseberg alle Besserung und verständigten sich auf ein Regieren ohne das laute öffentliche Poltern der vergangenen Monate. "Wir werden hämmern und klopfen, aber mit Schalldämpfern", sagte der Kanzler, als er nach der Klausur eingerahmt von Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) die Ergebnisse des zweitägigen Treffens vorstellte.
Steuererleichterungen durch "Wachstumschancengesetz"
Zwei Wochen später als geplant einigte sich das Bundeskabinett am Mittwoch nun doch auf das sog. Wachstumschancengesetz, das 50 steuerpolitische Maßnahmen umfasst. Damit soll die deutsche Wirtschaft in den kommenden Jahren um 32 Milliarden Euro entlastet werden. Kern des Vorhabens ist eine Prämie für Investitionen in den Klimaschutz. Außerdem enthält der Gesetzentwurf neue Abschreibungsregeln für Wohngebäude und Möglichkeiten für Unternehmen, Verluste steuerlich umfangreicher zu verrechnen. Das Steuersystem soll zudem durch höhere Schwellenwerte und Pauschalen vereinfacht werden.
Das Gesetz wird nun im Bundestag beraten. Damit es in Kraft treten kann, müssen auch die Bundesländer zustimmen.
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm lobte das Gesetz, aber sieht auch Schwachstellen. "Das Gesetz ist zumindest ein Signal, dass die Politik verstanden hat, dass gute Rahmenbedingungen für die Wirtschaft wichtig sind. Es reicht aber nicht, man muss sich dringend den viele strukturellen Herausforderungen widmen: Rente, Bildung, Energieangebot, Auf- und Ausbau von Infrastrukturen und Bürokratieabbau", sagte Grimm der Funke-Mediengruppe.
Bürokratieentlastung durch weniger Papier
Um den Bürokratieabbau kümmerte sich die Ampelkoalition in einem gesonderten Gesetzesvorhaben. Wie bereits am Dienstag angekündigt trug Justizminister Marco Buschmann einen ganzen Katalog von Maßnahmen zusammen. Eine davon ist die Verkürzung der handels- und steuerrechtlichen Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege von zehn auf acht Jahre. Zudem müssen Hotels künftig nicht mehr für jeden einzelnen Gast einen Meldeschein ausfüllen.
Entlastende Effekte erhofft sich Buschmann auch von einer Lockerung der Schriftformerfordernisse. Zum einen heißt es in dem Eckpunktepapier für das vierte Bürokratieentlastungsgesetz, das LTO vorliegt: "Um den digitalen Rechtsverkehr zu fördern, soll im Allgemeinen Teil des BGB die elektronische Form [§ 126a BGB] oder – soweit geeignet – die Textform [§ 126b BGB] als Regelform ausgestaltet werden und an die Stelle der Schriftform [§ 126 BGB] treten."
Zum anderen sollen einige Schriftformerfordernisse im Vereins-, Schuld- und Mietrecht ganz entfallen. Laut dem Papier betreffe dies etwa Mietverträge über Gewerberäume. Diese unterliegen zwar nicht per se der Schriftform, jedoch sind sie in der Regel befristet – und die Befristung kann nur schriftlich erfolgen (§ 550 BGB). Im Wohnraummietrecht sollen künftig auch Betriebskostenabrechnungen digital verfügbar sein.
Im Arbeitsrecht soll etwa der Anspruch auf ein schriftliches Arbeitszeugnis (§ 630 BGB) auch durch ein elektronisch übermitteltes Zeugnis erfüllt werden. Geplant ist auch, dass die vorgeschriebenen Aufzeichnungen über Allergene, Zusatzstoffe und Aromen in lose verkauften Lebensmitteln künftig nicht mehr schriftlich beim Verkäufer vorliegen müssen. Eine Aufzeichnung in digitaler Form soll dann genügen.
Nach Angaben Buschmanns, werden durch die geplanten Maßnahmen 2,3 Milliarden Euro im Jahr eingespart. "In den Betrieben wird schneller künftig Papier auch mal weggeworfen werden können", sagte er. Ein konkreter Gesetzentwurf soll noch im laufenden Jahr vorgelegt werden.
Georgien und Moldau als sichere Herkunftsstaaten
Neues ist auch im Asylrecht geplant. Nach dem Willen der Bundesregierung sollen Georgien und Moldau als sogenannte sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden. "Asylverfahren von Staatsangehörigen dieser Staaten werden dadurch schneller bearbeitet und – im Anschluss an eine negative Entscheidung über den Asylantrag – wird ihr Aufenthalt in Deutschland schneller beendet", heißt es in dem Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums, den das Kabinett bei seiner Sitzung im brandenburgischen Meseberg am Mittwoch beschloss. Bundestag und Bundesrat müssen noch zustimmen.
Tatsächlich bewirkt die Einstufung eines Landes als sicheres Herkunftsland einige Verkürzungen im Rechtsschutz für Asylbewerber, welche Pia Lotta Storf im Juli auf LTO umfassend dargestellt hat: Anträge von Asylbewerbern aus pauschal als sicher eingestuften Ländern werden gemäß § 29a Asylgesetz (AsylG) oft als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Es gilt dann eine Regelvermutung, dass Personen aus diesem Land keine politische Verfolgung befürchten müssen – weder durch staatliche noch nicht-staatliche Akteure. Verfahrensrechtlich folgt daraus gemäß § 36 AsylG wiederum, dass sich die Fristen für die Ausreise sowie die Klageerhebung auf eine Woche verkürzen und die Klage keine aufschiebende Wirkung hat. Betroffenen bleibt zur Vermeidung der Abschiebung daher nur ein Eilantrag, an den erhöhte Begründungserfordernisse gestellt werden.
Bis Ende Juli haben nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge 175.272 Menschen erstmals in Deutschland einen Asylantrag gestellt – das waren rund 78 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Georgien belegt in diesem Jahr auf der Liste der wichtigsten Herkunftsländer von Asylbewerbern bisher den sechsten Platz, hinter Syrien, Afghanistan, der Türkei, Iran und Irak.
Die geplante Einstufung von Georgien und Moldau als sichere Herkunftsländer ist aus Sicht von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann unzureichend. "Das muss auch künftig für Länder wie Armenien, Indien und die Maghreb-Staaten gelten. Denn auch diese Länder weisen eine regelmäßige Anerkennungsquote von unter fünf Prozent auf", sagte der CSU-Politiker.
Er wies auf die Innenministerkonferenz vom Juni hin – die Innenminister der Länder hatten damals gefordert, auch Armenien, Indien und die nordafrikanischen Maghreb-Staaten in die Liste der sicheren Herkunftsländer mit aufzunehmen. Storf hatte dies auf LTO kritisch gesehen, insbesondere LSBTI-Personen seien in den Maghreb-Staaten nicht sicher.
Breiter Einsatz von KI-Anwendungen und weitere Vorhaben
Für die zweite Hälfte der Wahlperiode nahm sich die Regierung außerdem vor, das Bundesnachrichtendienst-Gesetz den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entsprechend zu konkretisieren und die Digitalisierung des Gesundheitswesens voranzutreiben; hier ist insbesondere die flächendeckende Einführung einer elektronischen Gesundheitsakte zu nennen.
Zudem hat die Koalition ihre Datenstrategie überarbeitet: In den kommenden zwei Jahren will die Bundesregierung die technischen und rechtlichen Voraussetzungen für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Verwaltung schaffen. Dabei schließt sie auch die Entwicklung eigener KI-Sprachmodelle nicht aus, die in der Fachsprache als Large Language Models (LLM) bezeichnet werden. Neu in der Datenstrategie ist außerdem, dass in dem Papier nun erstmals ein zeitlicher Rahmen für die Umsetzung der Pläne formuliert wurde. Die Zeitleiste reicht bis Ende 2024.
mk/LTO-Redaktion mit Material der dpa
Worauf sich die Bundesregierung verständigt hat: . In: Legal Tribune Online, 30.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52600 (abgerufen am: 14.10.2024 )
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