Abgesagte Termine und Forderungen nach längeren Fristen: Auch Bayerns Justiz steckt in der Corona-Krise. Am LG München I kam es am Dienstag zu einem Disput im Gerichtssaal - und einer Strafanzeige gegen einen Richter.
Die rasante Ausbreitung des neuartigen Coronavirus sorgt für Wirbel in der bayerischen Justiz. Ein Münchner Rechtsanwalt zeigte am Dienstag einen Richter des Landgerichtes (LG) München I wegen versuchter Körperverletzung an, weil er trotz der aktuellen Corona-Pandemie auf einer Verhandlung bestand. Zahlreiche andere Verfahren wurden dagegen abgesetzt - und Bayerns Justizminister Georg Eisenreich sprach sich angesichts der Krise für eine Änderung der Strafprozessordnung (StPO) aus.
Zu dem Corona-Eklat in München kam es während eines Verfahrens wegen versuchten Totschlags. Der Richter habe "bewusst eine Gefahrenlage" geschaffen und nahm "sehenden Auges in Kauf, dass sich die Anwesenden im Sitzungssaal einem erhöhten Ansteckungsrisiko aussetzen", heißt es in der Anzeige des Rechtsanwaltes, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Er sprach von einem "ungeheuerlichen Vorgang".
Rechtsanwalt: Verhandlung ist "Hochrisikoverstanstaltung"
Seinen Angaben zufolge waren während der Verhandlung mehr als 50 Menschen im Gerichtssaal. "Eine derartige Anzahl von Personen wird nach allgemeiner Auffassung (...) als absolute Hochrisikoveranstaltung bezeichnet", kritisierte er. Die Verteidiger hätten sich geweigert, den Sitzungssaal zu betreten, der Richter habe aber darauf bestanden, die Verhandlung zu beginnen. Der Anwalt stellte daraufhin nicht nur Strafanzeige, sondern erstattete auch eine Dienstaufsichtsbeschwerde.
Gerichtssprecher Florian Gliwitzky wies die Vorwürfe gegen den Richter zurück. Die Justiz könne auch in Zeiten des sich rasant verbreitenden Coronavirus nicht die Arbeit einstellen. "Die Justiz ist in bestimmten Bereichen systemrelevant", sagte er. Außerdem habe es keine Hinweise darauf gegeben, dass sich im Gerichtssaal ein infizierter Mensch aufhalte oder jemand, der Kontakt zu einem Infizierten gehabt habe.
LG München I: "Justiz ist in bestimmten Bereichen systemrelevant"
Wo es gehe, seien Strafprozesse abgesetzt worden, betonte Gliwitzky. So finde beispielsweise in dieser Woche keine einzige Berufungsverhandlung statt und auch andere Verhandlungen seien abgesetzt worden. Auch andere Gerichte in Bayern meldeten Prozessausfälle und erhöhte Sicherheitsvorkehrungen.
Nach dem Willen des Justizministeriums sollen derzeit so wenig Verhandlungen wie möglich stattfinden. "Das bayerische Justizministerium hat den Gerichten, die in richterlicher Unabhängigkeit entscheiden, empfohlen, nur noch in eiligen und dringenden Fällen Verhandlungstermine durchzuführen", teilte eine Sprecherin mit.
StPO-Änderung: Prozesse sollen länger unterbrochen werden können
Justizminister Eisenreich sprach sich angesichts der rasanten Ausbreitung des neuartigen Coronavirus für längere Unterbrechungen von Strafprozessen aus. "In der aktuellen Krise benötigen unsere Gerichte dringend eine flexible Regelung", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Die zulässige Unterbrechung von Hauptverhandlungen sollte sich deutlich verlängern, etwa von drei beziehungsweise vier Wochen auf drei Monate, ohne dass die Hauptverhandlung wieder neu begonnen werden muss."
Laut StPO darf eine Hauptverhandlung in der Regel für höchstens vier Wochen unterbrochen werden. Das Bundesjustizministerium arbeitet derzeit an einer entsprechenden gesetzlichen Regelung, die eine Pause für maximal drei Monate und zehn Tage erlaubt. So wolle man verhindern, dass viele Verhandlungen platzen und neu begonnen werden müssen, erklärte das Ministerium.
Die Vorsitzende des Bayerischen Richterbundes, Andrea Titz, sagte, die maximal zulässige Unterbrechungsfrist könne zum Problem werden. Sie fügte aber hinzu: "Wir befinden uns ohne Zweifel in einer absoluten Ausnahmesituation, in der man im Moment genug zu tun hat, die Lage stets neu zu bewerten und darauf so flexibel wie möglich zu reagieren, ohne sofort mit Forderungen an den Gesetzgeber zu reagieren."
dpa/mgö/LTO-Redaktion
Strafprozess in Zeiten des Coronavirus: . In: Legal Tribune Online, 18.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40903 (abgerufen am: 09.10.2024 )
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