BVerfG zu § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB: Raser­pa­ra­graf ist ver­fas­sungs­kon­form

01.03.2022

Was strafbares Rasen nach § 315d I Nr. 3 StGB sein soll, beurteilten Gerichte bislang unterschiedlich. Dennoch hält das BVerfG die Strafnorm des Raserparagrafen für hinreichend bestimmt und verfassungskonform.

Mit heute veröffentlichtem Beschluss vom 9. Februar 2022 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) den sogenannten Raserparagrafen des § 315d Abs. 1 Nr. 3 des Strafgesetzbuches (StGB) als verfassungskonform eingestuft (2 BvL 1/20). Der Zweite Senat entschied, dass der Gesetzgeber den Tatbestand hinreichend konkretisiert und so dem aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz folgenden Bestimmtheitsgebot Genüge getan habe. Insbesondere sei das subjektive Tatbestandsmerkmal "um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen" einer methodengerechten Auslegung durch die Fachgerichte zugänglich.

2017 wurde der Tatbestand der verbotenen Kraftfahrzeugrennen ins StGB aufgenommen. Dabei gibt es in § 315d Abs. 1 StGB mehrere Tatvarianten: In Nr. 1 wird die Ausrichtung und Durchführung von Straßenrennen als Veranstalter und in Nr. 2 die Teilnahme als Kraftfahrzeugführer unter Strafe gestellt. Nr. 3 kann als Auffangtatbestand betrachtet werden. Er bestraft denjenigen, der "sich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen". 

Diese Variante soll nicht nur Personen aus der Raserszene erfassen, sondern auch den gewöhnlichen Autofahrer, der sich ohne an einem Straßenrennen teilzunehmen maßlos über jegliche Geschwindigkeitsgrenzen hinwegsetzt.

Zweifel an Bestimmtheit der Rasernorm in Literatur und Rechtsprechung

Wann diese Strafvariante erfüllt ist, beurteilten Gerichte unterschiedlich. Das Landgericht Stade verlangte hierfür einen rennähnlichen Charakter, der erfüllt sei, wenn der Fahrer sein Fahrzeug an die technischen und physikalischen Grenzen ausfährt (Beschl. v. 04.07.2018, Az. 132 Qs 112 88/18). Das Oberlandesgericht Stuttgart stellte hingegen auf das Erreichen einer relativen Höchstgeschwindigkeit ab, die vom jeweiligen Fahrzeug und der Situation abhängt (Beschl. v. 04.07.2019, Az. Rv 28 Ss 103/19).

Vor dem Hintergrund des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes (Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz) wird die Norm in der Literatur kritisiert. Es sei für den Laien nicht erkennbar, wann eine nicht angepasste Geschwindigkeit vorliegt. Unklar sei auch, ob die "höchstmögliche" Geschwindigkeit objektiv festzulegen sei oder von den Bedingungen des Einzelfalls abhängig ist. Auch das Amtsgericht (AG) Villingen-Schwenningen hält die Norm für zu unbestimmt und legte sie dem BVerfG im Rahmen eines konkreten Normenkontrollantrags vor.

Der Vorlage des AG liegt ein Fall zugrunde, in dem ein Angeklagter bei einer drohenden Polizeikontrolle vor den Beamten geflüchtet sein soll, da er keine Fahrerlaubnis inne hatte. Während der Verfolgungsfahrt soll er auf bis zu 100 Stundenkilometer beschleunigt haben, um den Beamten zu entkommen, die ihn nur mit größter Mühe nicht aus den Augen verloren. Die Verfolgungsjagd endete erst bei einem selbst verursachten Unfall durch den Angeklagten (Az. 6 Ds 66 Js 980/19). Der Bundesgerichtshof (BGH) äußerte hingegen in einem Urteil vom 24. Jumi 2021 keine Bedenken an der Bestimmtheit der Norm (4 StR 79/20).

BVerfG: Gesetzesbegründung führt zu Bestimmtheit der Norm  

Mit heute veröffentlichtem Beschluss stuft auch das BVerfG den Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 als hinreichend bestimmt ein. Zwar sei aus dem Wortlaut nicht unmittelbar ersichtlich, wann eine "nicht angepasste Geschwindigkeit" vorliege, gleiches gelte für das Merkmal der "höchstmöglichen Geschwindigkeit". Doch könnten diese Begriffe mit Hilfe der Gesetzesbegründung methodengerecht ausgelegt werde, die ausdrücklich auf die Straßen-, Sicht und Wetterverhältnisse verweise. Soweit Randunschärfen bei der Auslegung verblieben, sei eine Präzisierung durch die Rechtsprechung innerhalb des Wortsinns möglich.

Insbesondere die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Interpretation sei methodengerecht. Dieser nimmt Verhaltensweisen im Straßenverkehr von der Strafbarkeit aus, die nach den Vorstellungen des Täters zwar auf das Erreichen einer höchstmöglichen Geschwindigkeit zielen, sich aber subjektiv nur auf eine unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten unerhebliche Wegstrecke beziehen und damit im Grad der abstrakten Gefahr nicht mit einem Kraftfahrzeugrennen vergleichbar sind. Diese Auslegung stehe im Einklang mit gesetzessystematischen und teleologischen Erwägungen, so das BVerfG.

Vorlegender Amtsrichter äußert Kritik an BVerfG-Entscheidung

Bundesjustizminister Marco Buschmann begrüßte die Entscheidung und wertete sie als "gutes Zeichen". Bei illegalen Autorennen oder Verfolgungsfahrten setzten die Fahrerinnen und Fahrer alles aufs Spiel - auch das Leben völlig Unbeteiligter. Dieses Verhalten sei zu Recht im Jahr 2017 explizit unter Strafe gestellt worden. Der Amtsrichter des AG Villingen-Schwenningen Simon Pschorr, der den Vorlagebeschluss verfasste (Beschl. v. 04.07.2019, Az. Rv 28 Ss 103/19), zeigte sich auf Twitter hingegen enttäuscht. Statt eine Tatbestandspräzisierung unter Anwendung der Auslegungsmethoden zu erhalten, segne das BVerfG einfach ab, was der BGH ohne Methoden als Erkenntnis gewonnen habe.

fz/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG zu § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB: Raserparagraf ist verfassungskonform . In: Legal Tribune Online, 01.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47671/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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