Der Link in einer Pressemeldung auf ein verbotenes Internetarchiv hat in der baden-württembergischen Justiz Streit ausgelöst. War das Journalismus oder Propaganda? Das Landgericht kritisiert das OLG. Als nächstes könnte der BGH eingreifen.
Das Landgericht (LG) Karlsruhe hat Anfang Juni ein Urteil gefällt, das es eigentlich nie fällen wollte. Die Richter haben den Journalisten Fabian Kienert freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, durch einen Link in einer Meldung eine verbotene Organisation unterstützt zu haben (§ 85 Abs. 2 Strafgesetzbuch). Es ging um die verbotene Plattform "linksunten indymedia". Bereits im Mai 2023 hatte die 5. Große Strafkammer am LG Karlsruhe es abgelehnt, die Anklage gegen Kienert zuzulassen. Die Staatsanwaltschaft schaltete daraufhin das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart* ein, das den Fall rechtlich anders einschätzte, ein strafbares Verhalten für wahrscheinlich hielt und die Eröffnung des Verfahrens anordnete. Gegen seinen Willen musste das LG nun also doch entscheiden. Es hat die Gelegenheit genutzt, für weitreichende Ausführungen – und für deutliche Kritik am OLG.
Die noch unveröffentlichten Entscheidungsgründe des LG liegen LTO vor. Während für gewöhnlich Gerichte einer höheren Instanz schon aufgrund des Instanzenzugs die Arbeit der unteren Gerichte kritisieren, ist es hier nun einmal umgekehrt. Das OLG habe "Vermutungen aufgestellt und Wahrscheinlichkeiten aufgezeigt", so das LG. Den größten Teil davon will es nun widerlegt und verworfen haben.
"Linksunten indymedia" ging vom Netz, digitales Archiv blieb
Der ganze Fall reicht zurück ins Jahr 2017. Damals verbot das Bundesinnenministerium (BMI) wenige Wochen vor der Bundestagswahl die Plattform "linksunten indymedia". Der damalige Innenminister Thomas de Maizière sprach von der "einflussreichsten Internetplattform gewaltbereiter Linksextremisten in Deutschland". Seit der Gründung im Jahr 2009 werde auf der Plattform öffentlich zur Gewalt gegen Polizisten und politische Gegner aufgerufen, hieß es in der Begründung des BMI. Auf "linksunten indymedia" konnte jeder Beiträge veröffentlichen, ein Team moderierte diese.
Medienverbote sind in Deutschland wegen der großen Bedeutung der Pressefreiheit rechtlich so gut wie unmöglich. Das BMI erklärte wohl auch deshalb die Betreibergruppe hinter "linksunten indymedia" kurzerhand zu einem linksextremen Verein, um diesen dann über das Vereinsrecht verbieten zu können. Die Plattform ging vom Netz, stattdessen erschien bald darauf ein digitales Archiv der Seite mit wohl nahezu allen dort veröffentlichten Beiträgen.
Im Sommer 2022 schrieb der Journalist Kienert vom freien Radiosender Dreyeckland in Freiburg eine knappe Meldung zu einem eingestellten Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit "linksunten indymedia". Die Überschrift: "Linke Medienarbeit ist nicht kriminell! - Ermittlungsverfahren nach Indymedia Linksunten Verbot wegen Bildung krimineller Vereinigung eingestellt". Der Text endet mit dem Satz: "Im Internet findet sich linsksunten.indymedia.org als Archivseite". Dahinter fügte er einen Link zu der Archivseite ein. Einige Monate später rückte die Polizei bei Kienert zuhause an, seine Wohnung wurde durchsucht.
Dagegen wehrte sich der Journalist vor Gericht, er sah seine Grundrechte, insbesondere die Pressefreiheit aber auch die Unverletzlichkeit der Wohnung verletzt. Noch bevor das LG Karlsruhe zu dieser Beschwerde eine Entscheidung treffen konnte, erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Kienert. Wieder war das LG Karlsruhe und dort die 5. Große Strafkammer zuständig. Sie musste im Mai 2023 entscheiden, ob sie die Anklage zulässt. War die Linksetzung schon die Unterstützung einer verbotenen Vereinigung?
Landgericht: "Kritischer Journalismus" – Oberlandesgericht: "Propaganda"
Das LG Karlsruhe hielt das von Anfang an für abwegig. Den Link so in den Text einzubauen, sei keine strafbare Handlung, sondern gehöre zu kritischer Pressearbeit dazu. Die Richter verwiesen auch auf andere Berichte zu Linksunten, erschienen in der taz oder bei Zeit Online, auch diese Medien hatten einen Link zu dem Archiv eingebaut. Das Kernargument der LG-Richter: Es sei nicht erkennbar, dass noch eine Vereinigung im Namen von "linksunten indymedia" existiere. Und wo keine verbotene Vereinigung mehr existiert, kann auch niemand diese strafbar unterstützen. Das LG hat das alles auf 30 Seiten ausgeführt. Bemerkenswert ausführlich für einen solchen Beschluss.
Anders schätzte das nächsthöhere Gericht, das OLG, den Fall ein. Mit markigen Worten. Kienerts Text sei kein Journalismus, sondern "Propaganda" – und das Archiv von "linksunten indymedia" ein strafbares "Denkmal". Außerdem sei es "wahrscheinlich", dass die verbotene Vereinigung im Hintergrund weiter existiert habe. Auch der Vergleich des LG mit der Verlinkung durch andere Medien lassen die Richter nicht gelten: Die hätten nämlich – anders als Radio Dreyeckland – "sachlich über das Gesamtgeschehen informiert".
Auch ungewöhnlich: Die Beschlüsse werden in der öffentlich zugänglichen Entscheidungsdatenbank der Justiz Baden-Württemberg veröffentlicht. Ungewöhnlich deshalb, weil solche Beschlüsse als Zwischenentscheidungen in laufenden Ermittlungsverfahren in der Regel nicht veröffentlicht werden. Journalistinnen und Journalisten ist es sogar strafrechtlich untersagt, aus solchen Entscheidungen wörtlich zu zitieren (§ 353d Nr. 3 StGB). Die OLG-Entscheidung wird am 2. August 2023 bereits eingestellt. Und interessant: Das LG zieht nach, am 17. August 2023 wird sein Beschluss veröffentlicht. Den Gerichten kam es also offenbar darauf an, dass ihre Erwägungen die (Fach-)Öffentlichkeit erreichen.
LG mit deutlichen Worten Richtung OLG
Nun kam das LG also gegen seinen Willen noch einmal zum Zug. Im Anklageverfahren gegen den Journalisten musste es ein Urteil fällen. Und es macht sich daran, akribisch Argumente des OLG abzuräumen.
So greift es das Argument des OLG an, die spätere Bereitstellung und Verfügbarhaltung des digitalen Archivs sei nicht nur ein strafbares "Denkmal", sondern spreche auch für das Fortbestehen der verbotenen Vereinigung. Dem entgegnet das LG: "Nicht jede Gruppierung, für die – von wem auch immer – ein Denkmal errichtet wurde oder deren Bibliothek oder Archiv erhalten geblieben ist, besteht auch fort."
Die Prüfung erfolgt auch mit harten Aussagen in Richtung OLG. Das hatte argumentiert, dass auch aus juristischen Schritten gegen das Vereinsverbot von "linksunten indymedia" auf eine Fortexistenz geschlossen werden könnte. Dazu das LG: "Dass gegen ein Vereinsverbot juristisch (zunächst mittels Klage zum Bundesverwaltungsgericht und anschließend mittels Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht) vorgegangen wird, ist in einem Rechtsstaat als zulässig anzusehen und kann nicht ohne Weiteres umgedeutet […] werden."
Das LG resümiert: "An stichhaltigen Indizien für eine Fortexistenz der verbotenen Vereinigung fehlte es". Auch Verfassungsschutz und Polizei hätten keine neuen Erkenntnisse zu einer Fortführung beisteuern können.
Wann ist das Setzen eines Links strafbar?
Wann die Verbreitung von fremden Texten in der Presse eine strafbare Unterstützung einer Vereinigung darstellen kann, hatte der Bundesgerichtshof (BGH) Ende der 1990er Jahre mal entschieden. Damals wurde eine Erklärung der verbotenen türkischen Arbeiterpartei PKK in einer Wochenzeitung abgedruckt. Wenn das Medium sich dadurch zum "Sprachrohr" macht, dann ist dieses Verhalten strafbar, so der BGH. Online-Journalismus und Links in Texten standen damals noch ganz am Anfang. Und die Verlinkung auf eine andere Website sei "wesensmäßig" etwas ganz anderes als der Abdruck einer fremden Erklärung, führt das LG nun 2024 aus. Bislang fehlt es erstaunlicherweise an einer Grundsatzentscheidung durch die Gerichte dazu. Eine Entscheidung des OLG Stuttgart stammt aus dem Jahr 2006. Sie hatte betont, den Kontext der Linksetzung einzubeziehen.
Das LG berücksichtigt dazu den Text, der dem Link vorausgeht, die Position des Links am Ende des Textes sowie die einfache Auffindbarkeit der verbotenen Seite im Netz. Die Kammer wirft auch die Frage auf, ob es bei der strafrechtlichen Beurteilung einen Unterschied macht, ob ein aktiver Link zur (verbotenen) Website gesetzt wird oder nur die URL-Adresse hingeschrieben wird, die von den Nutzern aber noch in die Adresszeile eines Browsers kopiert werden muss. Und wie wäre es, wenn der Text nur beschreiben würde, dass die verbotene Website im Netz existiert und sie mit üblichen Internetsuchmaschinen gefunden werden kann?
Die Kammer kam zu dem Ergebnis, dass nach keinem der Maßstäbe ein Unterstützen nach § 85 Abs. 2 StGB nachweisbar sei. "Das Landgericht stellt Maßstäbe für die Strafbarkeit von Links auf, die weit über den Einzelfall hinaus reichen", sagt David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Diese begleitet das Verfahren juristisch. "Insbesondere stellt das Gericht klar, dass eine Verlinkung nicht ohne Weiteres dazu führt, dass man sich fremde Inhalte zu eigen macht."
Ob der BGH nun Gelegenheit zur rechtlichen Klärung bekommt, entscheidet sich noch im September. Bei der Staatsanwaltschaft Karlsruhe prüft man derzeit, ob man an der nach der Urteilsverkündung eingelegten Revision festhalten will, wie ein Sprecher auf LTO-Anfrage mitteilte. Der Fall wird aber ohnehin eine Karlsruher Rechtsangelegenheit bleiben. Gegen die Durchsuchungen hat der Radiojournalist Kienert Verfassungsbeschwerde eingelegt.
Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Variante hieß es versehentlich “OLG Karlsruhe”
Wann ist das Setzen eines Links strafbar?: . In: Legal Tribune Online, 13.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55404 (abgerufen am: 10.11.2024 )
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