Ein auch von Bundespräsident Steinmeier viel kritisierter Prozess gegen die Menschenrechtsorganisation Memorial hat am Donnerstag in Russland begonnen. Der Organisation droht ein Verbot.
Unter großer internationaler Anteilnahme hat in Moskau der viel kritisierte Prozess gegen die russische Menschenrechtsorganisation Memorial begonnen. Bei der Verhandlung vor dem Obersten Gericht des Landes waren am Donnerstag auch mehrere ausländische Diplomat:innen anwesend, wie die Agentur Interfax unter Berufung auf das Gericht meldete. So verfolgten etwa Vertreter:innen aus den USA, Großbritannien und Frankreich den Prozess vor Ort.
Der Organisation droht ein Verbot. Die Generalstaatsanwaltschaft will das Zentrum der Einrichtung und Memorial International wegen mutmaßlicher Verstöße gegen die russische Verfassung schließen lassen. Memorial weist die Vorwürfe zurück.
Vor dem Gerichtsgebäude versammelten sich Hunderte Menschen, wie Fotos in sozialen Netzwerken zeigen. Viele trugen schwarze Corona-Schutzmasken mit der Aufschrift "Memorial nicht verbieten". Die russische Justiz wirft Memorial wiederholte Verstöße gegen das Gesetz über sogenannte ausländische Agenten vor. Dieses sieht vor, dass Empfänger:innen von Zahlungen aus dem Ausland als "Agenten" bezeichnet werden können. Memorial weigert sich, sich selbst so zu nennen. Die Menschenrechtler:innen beklagen politische Verfolgung.
Einsatz für NS-Aufarbeitung der Sowjetunion
Zudem stört sich die russische Justiz daran, dass Memorial eine Liste mit mehr als 300 politischen Gefangenen führt. Viele werden von der Justiz als Extremist:innen eingestuft. Die Einrichtung sieht sich deshalb dem Vorwurf ausgesetzt, "das Mitwirken in terroristischen und extremistischen Organisationen" zu rechtfertigen. Das sei falsch - erfasst würden Menschen, die aus politischen Gründen verfolgt würden, sagte die Memorial-Juristin Tatjana Gluschkowa.
Die Ende der 1980er Jahre gegründete Gesellschaft setzt sich für politische Gefangene ein, aber auch für die Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen in der Sowjetunion. Ihr drohendes Aus hatte in den vergangenen Wochen international Proteste ausgelöst. Kritik kam auch aus Deutschland, etwa von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Das drohende Aus der renommierten Einrichtung mache "fassungslos".
Die Stiftung Topographie des Terrors rief zudem deutsche Erinnerungsorte und Gedenkstätten auf, sich mit Memorial solidarisch zu zeigen. Die Institution sei wichtig für die deutsch-russischen Beziehungen. "Vor allem die historische Aufarbeitung und dabei besonders die in der Sowjetunion verübten nationalsozialistischen Verbrechen stehen immer wieder im Fokus der Arbeit", hieß es in einer Resolution. Memorial habe "unermüdlich für die Entschädigung von sowjetischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern gekämpft".
dpa/pdi/LTO-Redaktion
Russland: . In: Legal Tribune Online, 25.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46755 (abgerufen am: 07.12.2024 )
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